Essen. .

Schwarz-Gelb will die ermäßigte Mehrwertsteuer überarbeiten. Ex-Minister Hans Eichel weiß, wie schwer das ist. Seine Idee, Tierfutter voll zu besteuern, hetzte ihm Legionen von Hundeliebhabern auf den Hals.

Die Steuerermäßigung für Hotels hat der Bundesregierung vor allem Spott eingebracht. Doch während sich ein halbes Jahr nach ihrer Einführung selbst führende Liberale von der Steuerermäßigung distanzieren, erzielt sie plötzlich einen sehr nützlichen Nebeneffekt: Die Debatte über ihre Rückabwicklung beschleunigt die Pläne einer grundlegenden Reform der ermäßigten Mehrwertsteuer.

Seit vielen Jahren ärgern sich Politiker lautstark über Absurditäten bei den Mehrwertsteuersätzen von sieben und 19 Prozent. FDP-Chef Guido Westerwelle fragt mit Vorliebe, warum für Tierfutter der ermäßigte, für Babynahrung aber der volle Steuersatz gilt. Gern genannt werden auch Trüffel und Rennpferde als privilegierte Luxusgüter oder Windeln und Wasser als fälschlich verteuerte Waren.

Die sozialen Gründe für die Einführung des ermäßigten Satzes 1967 werden im heutigen Ausnahme-Dickicht nicht mehr sichtbar. Es sollten Le­bensmittel des täglichen Be­darfs, der öffentliche Nahverkehr und kulturelle Güter für jeden erschwinglich bleiben. Doch dabei ist es nicht geblieben, viele Lobbygruppen setzten viele Ausnahmen durch.

Nun nimmt Schwarz-Gelb einen neuen Anlauf, die Subventionierung auf jene Güter zu beschränken, für die sie einmal gedacht war. Aufs Tempo drückt die FDP.

„Die Überarbeitung der Mehrwertsteuersätze ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Wir haben das Thema jetzt noch einmal aufgegriffen, damit die Reform in Gang kommt”, sagte FDP-Steuerexperte Hermann-Otto Solms dieser Zeitung. Den Liberalen ist Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bei diesem Thema offenbar zu zögerlich.

Der FDP bietet sich die Chance, wenigstens einigermaßen glaubwürdig die Hotel-Begünstigung zurückzunehmen. Wenn alle Ausnahmen auf den Prüfstand kommen, müsse natürlich auch darüber geredet werden, heißt es aus FDP und CDU. Nun zeigt sich, wer die Hotellobby noch stärker vertritt als die Liberalen: CSU-Chef Horst Seehofer ließ gestern wissen, er stehe „mit eiserner Konsequenz” zur Steuersenkung für die Hotels.

FDP-Mann Solms rät davon ab, einzelne Ausnahmen infrage zu stellen. Nicht, weil er sie verteidigt, sondern weil er weiß, was dann blüht: „Wenn man die Schnittblumen nennt, hat man sofort alle Händler und Züchter auf den Barrikaden – und schon steckt man in der Falle.” Er sei für eine systematische Überarbeitung. Doch wenn das nicht durchsetzbar sei, könne am Ende auch eine Senkung des Regelsatzes bei Abschaffung der Ausnahmen herauskommen. Doch die schwarz-gelbe Koalition will an die einzelnen Ausnahmen heran. Sie hat sich damit vorgenommen, was keiner ihrer Vorgänger-Regierungen gelungen ist.

Unter Rot-Grün gab der „eiserne“ Finanzminister Hans Eichel (SPD) dieses Unterfangen entnervt auf, nachdem er zwischen die Lobbyfronten geraten war. Seine Idee, Tierfutter voll zu besteuern, hetzte ihm Legionen von Hundeliebhabern auf den Hals. Zuletzt kamen sogar neue Ausnahmen hinzu: Die Große Koalition senkte 2008 die Steuern für Skilifte und Seilbahnen, Schwarz-Gelb be­dachte 2010 die Hoteliers.

Doch es geht nicht nur um die Abschaffung von Absurditäten des Steuerrechts, sondern auch um viel Geld. Der Staat verzichtete zuletzt auf rund 24 Milliarden Euro jährlich, weil er 54 Produktgruppen geringer besteuerte. In der aktuellen Haushaltsnot wird daher der Druck größer, Ausnahmen abzuschaffen.

Wie es aus Berlin heißt, werden mögliche Mehreinnahmen bereits verplant, etwa für den Sozialausgleich bei den Krankenkassen. Allein durch eine volle Besteuerung von Hotelbetten, Tierfutter, Schnittblumen und Rennpferden könnte der Staat gut 1,7 Milliarden Euro im Jahr mehr einnehmen.

Andererseits wird auch darüber diskutiert, bisher voll besteuerte Waren herunterzustufen, etwa Arzneien, Kinderkleidung oder Babywindeln. Doch das würde die Einsparungen mehr als auffressen. Allein ein ermäßigter Satz für Arzneien würde rund 3,7 Milliarden Euro kosten, für Kinderbekleidung und -Schuhe etwa eine Milliarde. Im Herbst sollen erste Vorschläge auf dem Tisch liegen.