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Erst streikt die IG Metall, dann die Werksfeuerwehr und schließlich die neue Gewerkschaft der Ingenieure. Dieser Alptraum verfolgt derzeit so manchen Arbeitgeber. Denn in diesem Sommer steht der deutschen Tariflandschaft eine tiefe Zäsur bevor.

Das könnte weitreichende Folgen haben: Arbeitgeber befürchten, mit mehreren Gewerkschaften verhandeln und folglich auch mit mehr Streiks rechnen zu müssen. Groß-Gewerkschaften wie Verdi drohen Überbietungswettläufe mit Sparten-Gewerkschaften. Und schließlich sind auch Neugründungen von Gewerkschaften denkbar, die für kleine, aber unentbehrliche Berufsgruppen in den Kampf ziehen.

Im Juni will das BAG seine Entscheidung verkünden. Darum gebeten wurde der zehnte vom vierten Senat, der im Januar in einem Fall von der Tarifeinheit abgewichen war und dies nun grundsätzlich bestätigt wissen möchte. Die Arbeitgeber befürchten eine „Erosion der Tarifordnung“.

Die Tarifeinheit ist kein geschriebenes Gesetz, sondern ein Grundsatz, den das BAG seit mehr als 50 Jahren anwendet, um die Arbeitsbedingungen innerhalb eines Betriebes übersichtlich zu halten. Es sieht vor, dass in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag gilt, auch wenn die Beschäftigten Mitglieder verschiedener Gewerkschaften sind. Im Zweifel verdrängt der speziellere Vertrag den oder die anderen.

Verfassungsexperten bezweifeln seit längerem, dass dies mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit vereinbar ist. Das sieht auch der Justiziar der IG Metall, Thomas Klebe, so, „weil diese Praxis einen Teil der Gewerkschaftsmitglieder enteignet”.

Allerdings gab es schon in den vergangenen Jahren immer mehr Ausnahmen. So erzielte die Pilotengewerkschaft Cockpit 2001 ihren Durchbruch, als sie 30 Prozent mehr Geld für die Piloten der Lufthansa durchsetzte. Das gelang ihr zum einen aufgrund ihres besonderen Drohpotenzials: Die Piloten legten seinerzeit den Luftverkehr weitgehend lahm. Ähnlich eindrucksvoll demonstrierten später die Ärztevertretung Marburger Bund und die Lokführergewerkschaft GDL, dass ihre Mitglieder zwar wenige, aber unverzichtbar sind. Zum anderen waren ihre Tarifverträge für die einzelne Berufsgruppe in der Regel die spezielleren.

Neue Gewerkschaften

Im konkreten Fall war es umgekehrt: Ein Klinikarzt setzte beim BAG durch, dass ihm Urlaubszuschläge gezahlt werden müssen, die mit dem Marburger Bund ausgehandelt wurden. Seine Klinik hatte diesen Tarifvertrag außer Kraft gesetzt mit dem Verweis, der Verdi-Tarifvertrag verdränge den des Marburger Bundes. Nun muss die Klinik beide Verträge erfüllen.

Dadurch könnten sich künftig weit mehr kleine Berufsgruppen ermutigt fühlen, eigene Gewerkschaften zu gründen, weil sie nicht mehr um ihre Legitimierung kämpfen müssen. Die Werksfeuerwehren werden immer wieder als Kandidaten genannt. Und warum sollte etwa nicht der Verband der Ingenieure künftig als Gewerkschaft für seine Mitglieder auftreten? Ein Horrorszenario vor allem für die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die oft Tarifverträge für Branchen mit vielen verschiedenen Berufsbildern aushandelt, etwa für das Personal von Kliniken.

Möglich wäre aber auch, dass in einem Betrieb für eine Berufsgruppe mehrere Tarifverträge parallel gelten, somit dieselbe Tätigkeit auch unterschiedlich entlohnt wird. Als Konkurrent der DGB-Gewerkschaften treten seit langem die Christlichen Gewerkschaften auf. Allerdings steht dieser Wettbewerb unter ganz anderen Vorzeichen als der mit Spartengewerkschaften: So sind die Christlichen Gewerkschaften für eher arbeitgeberfreundliche Abschlüsse bekannt, oft als Haustarif. In einem Überbietungswettlauf etwa mit der IG Metall hätten sie schlechte Karten, weil sie in den Betrieben nur wenige Mitglieder haben und entsprechend wenig Druck machen können

Verdi hat Zweifel

Deshalb sieht Thomas Klebe, Justiziar der IG Metall, im Wegfall der Tarifeinheit für die größte Einzelgewerkschaft auch keinen Nachteil – ganz im Gegenteil: „Wer bisher vom Flächentarif abweichen wollte, musste nur einen Hausvertrag mit den Christlichen Gewerkschaften abschließen. Der ist in der Regel spezieller als der Flächentarif, und schon verlieren IG-Metall-Mitglieder ihre Ansprüche. Das wird künftig nicht mehr möglich sein.”

So gelassen wie die IG Metall ist Verdi längst nicht. Man werde sich mit seinen Tarifverträgen schon durchsetzen, heißt es. Doch zwischen den Zeilen steht der Zweifel.