Dortmund. .

Die Arbeit im selben Betrieb kann künftig unterschiedlich bezahlt werden. Das Bundesarbeitsgericht hat die seit den 50er-Jahren praktizierte Tarifeinheit gekippt. In einem Betrieb können nun mehrere Tarifverträge gelten.

Die Arbeit im selben Betrieb kann künftig unterschiedlich bezahlt werden. Das Bundesarbeitsgericht hat die seit den 50er Jahren praktizierte Tarifeinheit gekippt. Das bedeutet, dass in einem Betrieb mehrere Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften gelten können. Die höchsten Arbeitsrichter haben die Freiheit des Einzelnen, sich seine Gewerkschaft aussuchen zu können, über die bisherige Rechtsprechung gestellt, die eher praktischer denn juristischer Natur war.

Wie war die Praxis bislang?

Im Zweifel, also wenn es tatsächlich mehrere Tarifverträge gab, verdrängte bisher der speziellere den oder die anderen. Damit konnten sich im vergangenen Jahrzehnt bereits einige Spartengewerkschaften ihre Räume erobern: Wo Piloten, Lokführer und Ärzte eigene Tarifverträge erstritten, waren die für ihre Berufsgruppen natürlich spezieller als für die Gesamtbelegschaften etwa der Lufthansa oder der Bahn. Damit verdrängten sie die Flächentarife von Verdi oder Transnet – allerdings nur für ihre Berufsgruppe.

Was könnten die wichtigsten Folgen sein?

Die Gründung von Spartengewerkschaften wird leichter. Die Pilotengewerkschaft Cockpit oder die Lokführergewerkschaft mussten jahrelang kämpfen, bis sie als Tarifpartei anerkannt wurden. Diese Hürde fällt weg, was viele Berufsgruppen ermuntern könnte, eigene Gewerkschaften zu gründen. Das ist freilich nur Erfolg versprechend, wenn sie mit ihrer Unersetzbarkeit drohen können. Werksfeuerwehren könnten das, IT-Spezialisten und der Verband deutscher Ingenieure ebenso.

In welchen Betrieben könnte dies die größten Auswirkunge n haben?

Immer dort, wo viele Berufsgruppen arbeiten. Besonders betroffen ist die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. „In einem Krankenhaus müssten wir allen Berufsgruppen hinterher laufen”, sagt Rechtsexperte Jens Schubert, „Elitegruppen wie die Ärzte können mit weniger Leuten natürlich mehr erreichen”. Als nächstes sonderten sich womöglich die OP-Schwestern ab. „Was dabei verloren geht, ist die Solidarität in der Belegschaft. Die Beschäftigten werden gegeneinander ausgespielt.”

Und mehrere Gewerkschaften könnten um ein und dieselbe Berufsgruppe buhlen?

Ja. Auch wenn das längst geschieht, vor allem durch Christliche Gewerkschaften. Allerdings werden deren Chancen eher schlechter, weil ihnen die Verhandlungsmacht fehlt. Die Christlichen kommen oft mit arbeitgeberfreundlichen Haustarifverträgen zum Zuge. Die sind spezieller als die Flächentarife der großen IG Metall und verdrängen sie. Deshalb ist die IG Metall - anders als Verdi - eher froh über die BAG-Entscheidung. „Dadurch ist es nicht mehr ohne weiteres möglich, Dumping-Tarifverträge abzuschließen, die Flächentarife der IG Metall aushebeln”, sagt Sabine Maaßen, IGM-Juristin. Da die größte deutsche Einzelgewerkschaft mächtig genug ist, bessere Abschlüsse zu erzielen, könnte ihr dies sogar neue Mitglieder bescheren.

Die Arbeitgeber äußern dagegen ausschließlich Kritik. Warum?

Sie befürchten, es künftig mit mehreren Tarifgegnern aufnehmen zu müssen und von einem Arbeitskampf in den nächsten zu rutschen. Nebenbei droht noch ein Überbietungs-Wettlauf konkurrierender Gewerkschaften.

Und weshalb sucht der DGB den Schulterschluss mit den Arbeitgebern?

Weil die neue Tarifeinheit nicht mehr den spezielleren Verträgen den Vorrang geben soll, sondern denen, die für die meisten Beschäftigten gelten. Davon würden die Großgewerkschaften profitieren.