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Steigende Strompreise und kein Ende: RWE dreht zum 1. August kräftig an der Schraube. Doch mit den Preisen nimmt auch die Not Bedürftiger zu. Die neue Landesregierung will etwas gegen die Energiearmut tun.
Die Zeilen 1564 bis 1570 und 2295 bis 2299 im rot-grünen Koalitionsvertrag machen Klaus Müller Hoffnung. Dort haben SPD und Grüne ihre Pläne niedergeschrieben, wie sozial Schwache bei den galoppierenden Preisen für Strom entlastet werden sollen. „Die neue Landesregierung hat sich auf Eckpunkte festgelegt, die unserer Linie entgegenkommen“, lobt Müller, der Vorstand der NRW-Verbraucherzentrale ist.
Die Verbraucherzentrale fordert seit zwei Jahren einen Sozialtarif für Ärmere. Mit Antritt der neuen Landesregierung werde man das Thema forcieren, kündigte Müller an. Steigende Energiepreise auf der einen und wachsende Armut auf der anderen Seite seien nach wie vor ein drängendes Problem.
Landesregierung kündigt Finanzierungsmodelle an
Rot-Grün in NRW hat sich die Entlastung Ärmerer bei den Strompreisen auf die politische Agenda geschrieben. Im Koalitionsvertrag steht dazu: „Wir werden im Dialog mit den Energieversorgern und Verbraucherverbänden Lösungen erarbeiten, um Stromsperren zu vermeiden und Energiearmut wirksam zu reduzieren.“ In etwa 800.000 Fällen drehten 2008 Versorger ihren Kunden Strom und Gas ab. Aktuellere Zahlen als diese Hochrechnung der Verbraucherzentrale gibt es nicht. Die Verbraucherschützer vermuten aber, dass es nicht weniger geworden sind.
Der Fraktionschef der Grünen im Landtag, Reiner Priggen, unterstrich im Gespräch mit DerWesten: „Wir werden die soziale Tarifgestaltung stärker diskutieren.“ Priggen nannte in diesem Zusammenhang die Vorstellungen der Verbraucherzentrale NRW „interessant“.
Diese hatte vorgeschlagen, Bedürftigen ein gewisses Kontingent an Kilowattstunden gratis zur Verfügung zu stellen. Für jede weitere Kilowattstunde sollte zwar kein Grundpreis dafür aber ein höherer Arbeitspreis fällig werden. Damit, so argumentiert die Verbraucherzentrale, würde der Anreiz zum Stromsparen steigen.
Auch SPD und Grüne wollen vor allem das Energiesparen fördern. Die derzeitige Tarifgestaltung der Versorger ist Rot-Grün dabei ein Dorn im Auge: „Die geltenden Tarife der Stromanbieter sind weder ökologisch noch sozial“, heißt es im Koalitionsvertrag. Hoher Energieverbrauch werde vielfach noch durch die Tarifgestaltung belohnt. Um das zu ändern, setzt Grünen-Fraktionschef Priggen vor allem auf Gespräche mit den Versorgern.
Des Weiteren kündigt die Landesregierung Finanzierungsmodelle an, so dass sich ärmere Menschen energiesparende Geräte leisten können. Auch die so genannte haushaltbegleitende Energieberatung soll ausgebaut werden.
Preise für Privatkunden sind 2009 um 68 Prozent gestiegen
Die Entwicklung der Strompreise setzt besonders Sozialhilfeempfänger und Hartz-IV-Bezieher immer stärker unter Druck, berichten Sozialverbände. So sind in den vergangenen zehn Jahren die Preise für Privatkunden um 68 Prozent gestiegen, berichtet das Tarifportal Verivox. In diesem Jahr erhöhten bis Mitte Juli bereits 435 Versorger ihre Stromtarife um durchschnittlich sechs Prozent. „Der Trend zeigt weiter nach oben“, sagte Thorsten Storck, Redaktionsleiter bei Verivox. Unter anderem wird Anfang August der Stromriese RWE kräftig an der Preisschraube drehen und die Preise um über sieben Prozent erhöhen.
Angesichts galoppierender Strompreise hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel bereits 2008 einen Sozialtarif für Arme gefordert. Debatten darum gab es in vielen Städten. Unter anderem auch in Duisburg, Dortmund oder Köln. Getan hat sich fast nichts. Die allermeisten Versorger lehnen einen Sozialtarif ab. Häufigste Begründung: Wettbewerbsverzerrung. Nach Recherchen des Essener Energiefachverlags Energate bieten derzeit weniger als ein Dutzend Unternehmen Rabatte für bedürftige Menschen an, darunter die sechs Eon-Regionalgesellschaften.
Der Düsseldorfer Konzern Eon bietet einen Sozialrabatt bereits seit 2006 an. Wer von der GEZ-Gebühr befreit ist, dem wird die Grundgebühr erlassen. So entstehen Einsparungen von 60 bis 108 Euro pro Jahr und Haushalt, sagt ein Sprecher von Eon Vertrieb Deutschland. Die Nachfrage nach dem Rabatt ist dagegen eher gering. Weniger als ein Prozent der Kunden nutzen diesen Tarif, so Eon. Genaue Kundenzahlen nennt man nicht. Offensiv beworben wird der Tarif vom Konzern auch nicht. Dennoch sei man stolz auf dieses Alleinstellungsmerkmal in der Branche.
Energie-Fachleute stehen Sozialtarifen jedoch skeptisch gegenüber. Oftmals gebe es günstigere Tarife als die angebotenen Sozialrabatte, so Storck von Verivox. Zudem setze eine flächendeckende Einführung Monopolstrukturen voraus, die es im Strommarkt nicht gibt. Man solle die Preisgestaltung deshalb besser dem Wettbewerb überlassen. Wenn man Bedürftigen helfen wolle, solle die Politik über eine Erhöhung der Sozialleistungen nachdenken, sagt Storck.
Im Haushalt lässt sich viel Strom sparen
Der Eon-Tarif wurde mit der Caritas in Bayern erarbeitet. Doch selbst innerhalb der Caritas steht man einem Sozialtarif gespalten gegenüber. Es entstünden Kunden 1. und 2. Klasse, sagt Markus Lahrmann von der Zeitschrift „Caritas in NRW“. Einige Ortsverbände setzen seit einigen Monaten lieber auf Energiesparhelfer, die Bedürftige zu Hause aufsuchen und Tipps zum Energiesparen geben.
Mit Erfolg, wie Rainer Knubben vom Caritas-Verband Gladbeck berichtet. Seit März vergangenen Jahres haben die 14 Energiesparhelfer – allesamt ehemalige Arbeitslose – 400 Haushalte in Gladbeck beraten. Es zeigt sich: Das Einsparpotenzial ist groß. Pro Haushalt ließen sich je nach Größe schnell 60 bis 100 Euro pro Jahr Stromkosten sparen. Oft seien es viele kleine Dinge, die unterm Strich viel bringen. Insgesamt machten die Helfer bei den 400 Haushalten ein Potenzial von 90.000 Euro aus.
Das größte Problem können aber auch die Energiesparberater nicht ändern: alte Kühlschränke und Waschmaschinen sind in den Haushalten oft Energiefresser Nummer 1. Allerdings fehlt den Betroffenen das Geld, um sie durch energiesparende Geräte auszutauschen. „Die Hartz-IV-Sätze reichen nicht aus, um Rücklagen für solche Anschaffungen zu bilden“, weiß Knubben.