Essen. Konflikt im Roten Meer, Frachtraten brechen ein. Was sind die Folgen für die NRW-Verbraucher? Das sagen Duisburgs Hafenchef und KiK.
- Konflikt im Roten Meer eskaliert: USA und Großbritannien haben Huthi-Rebellen im Jemen angegriffen.
- Die transportierten Container-Mengen über den Suezkanal sind im Dezember um über die Hälfte eingebrochen, zeigt eine aktuelle Erhebung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW).
- Duisburgs Hafen-Chef sieht bislang noch keine Auswirkungen auf den Binnenhafen – „würden erst mit entsprechender Verzögerung sichtbar“.
- Textildiscounter KiK ist besorgt, sieht die Versorgung der Filialen allerdings als gewährleistet an.
Der Umweg kostet. Geld, Treibstoff, Zeit und vor allem: Nerven. Seit Beginn des Krieges in Israel greifen die Huthi-Rebellen Frachtschiffe im Roten Meer an. Die Handelsroute führt durch den Suezkanal, eine der wichtigsten Schifffahrtsstrecken für den Welthandel – und für den Handel in Nordrhein-Westfalen. 18 Reedereien, darunter die deutsche Hapag-Lloyd, Maersk aus Dänemark und das französische Unternehmen CMA CGM, sind sich einig: Sie wollen vorerst die Route meiden und einen Umweg über das Kap der Guten Hoffnung fahren. Der „Kiel Trade Indicator“, eine monatliche Erhebung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, zeigt deutliche Auswirkungen: Im Vergleich von November und Dezember 2023 ist die Frachtrate im Roten Meer um 66 Prozent (von rund 500.000 auf 200.000 Container) gefallen. Damit liege die Menge an Containern deutlich unter dem eigentlich erwarteten Aufkommen.
Neun Prozent des gesamten deutschen Handels laufen über die Route durch den Suezkanal, was die Frage aufwirft: Müssen Verbraucher in NRW sogar mit leeren Regalen oder höheren Preisen rechnen? Zugleich erhöht die Aussicht auf das Chinesische Neue Jahr, das ab dem 10. Februar den asiatischen Export für über zwei Wochen weitgehend stilllegen wird, den Druck auf Unternehmen in NRW. Der Textildiscounter KiK zeigt sich besorgt aufgrund der aktuellen Lage, eine Velberter Spedition warnt vor chaotischen Zuständen. Gleichzeitig gibt der Chef des Duisburger Hafens vorerst Entwarnung.
Angriffe der Huthi-Rebellen im Roten Meer zwingen Reedereien zu großen Umwegen
Zum Hintergrund: Seit Monaten attackiert die jemenitische Bürgerkriegspartei der Huthi-Rebellen, unterstützt von der iranischen Regierung, immer wieder Frachtschiffe in der Meeresstraße Bab al-Mandab, die die einzige Verbindung des Golfs von Aden mit dem Roten Meer ist. Dahinter befindet sich der Suezkanal, der zentral für den Welthandel ist. Die Forderung der Huthi-Miliz: Das Ende der Militäroperationen im Gaza-Streifen.
Der Großteil der Reedereien nimmt deshalb eine zusätzliche Länge der Handelsrouten von rund 6000 Kilometern auf sich. Nach Angaben des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) entspricht dies bei langsamer Fahrt auf der Strecke von Singapur über das Kap der Guten Hoffnung bis Hamburg einem Zeitverlust von elf Tagen. Je nach Beschaffenheit dauere die Schiffsfahrt von Asien nach Europa (in eine Richtung) zehn bis 14 Tage länger, berichtet auch Theodoros Varvatsos, Mit-Geschäftsführer der Spedition Dörrenhaus in Velbert.
Duisburger Hafen: Sind die Folgen des Konfliktes vor dem Suezkanal schon spürbar?
Die Route durch das Rote Meer sei für den Duisburger Hafen sehr wichtig, erklärt Markus Bangen, CEO der Duisburger Hafen AG. Laut Bangen führt die Umleitung der Reederein nicht zu einem Schiffsstau, wie es bei der Ever Given, einem Frachtschiff, das im März 2021 knapp eine Woche lang den Suezkanal blockierte, der Fall war. Derzeit habe die Entwicklung vor dem Suezkanal noch keine spürbaren Auswirkungen auf den Hafen: „Diese würden erst mit entsprechender Verzögerung sichtbar. Wenn zum Beispiel Containerschiffe verspätet in den Seehäfen Rotterdamm oder Antwerpen ankommen, können die Güter auch nur mit Verspätung per Bahn oder Binnenschiff nach Duisburg transportiert werden.“ Auf die neuen Ankunftszeiten könne der Hafen sich mit ausreichend Vorlauf vorbereiten.
Spediteur Varvatsos beschreibt in dem Zusammenhang den „Ketchup-Flaschen-Effekt“, der zunächst den Hafen Rotterdam treffe: „Es gibt in der Regel getaktete Slots für die einzelnen Frachter. Durch den Umweg ist das nicht mehr so möglich. Es passiert also, dass manchmal zehn oder 20 Schiffe gleichzeitig einlaufen“ – vergleichbar mit einer Ketchup-Flasche, die nach mehrmaligem Klopfen einen Großteil des Inhalts auf einmal preisgibt. „Die Häfen stehen dann voll, im Grunde genommen geht dann gar nichts mehr.“
„Mit Engpässen wie in der Corona-Pandemie rechnen wir derzeit zwar noch nicht, beobachten die dargestellten Entwicklungen aber sehr genau“, fasst Hafenchef Bangen zusammen. Grundsätzlich gebe es genug Schiffskapazitäten, zumal der starke Anstieg der Seefrachtraten wiederum nicht dafür und zugleich gegen genügend Angebote im Markt spreche. Die Folgen des Konfliktes könnten mutmaßlich erst in Wochen und Monaten den Hafen und Handel in NRW treffen. Trotz eines merklichen Anstieges der Transportkosten seien keine spürbaren Folgen für die Verbraucherpreise in Europa zu erwarten, stellt Julian Hinz, Leiter des „Kiel Trade Indicators“, klar.
Für den Textildiscounter KiK ist der Konflikt bereits spürbar: „Die Entwicklungen im Suezkanal und der gesamten Region beobachten wir mit Sorge“, erklärt das Unternehmen auf Anfrage unserer Redaktion. Betroffen sei schon die Ware, die Mitte Dezember 2023 auf die Schiffe in Asien verladen wurde. Langfristige Planungen und etablierte Prozesse sollen dabei die Versorgung aller 4100 Filialen in Europa gewährleisten. Die Kundschaft finde „nach wie vor unser bewährtes Sortiment“. Zu möglichen Auswirkungen auf die Preise sagte KiK nichts.
Spedition Dörrenhaus erläutert drohende Hürden für den Handel
Im Gespräch mit Branchenvertretern der Logistik und Spedition offenbaren diese ein uneinheitliches Stimmungsbild. Der Transport der Waren dauere derzeit länger und sei teurer, sagt Bernhard Philipps vom Verband Spedition und Logistik NRW. Als Dienstleister seien sie dazu berechtigt, die Mehrkosten einfach an ihre Kunden weiterzugeben, fasst Philipps unaufgeregt zusammen. Hinzu kommt: Viele Logistiker priorisieren. „Was sich rechnet, wird gefahren“, so Philipps – die anderen Waren stünden erstmal hinten an. Folglich ist anzunehmen: Die Waren könnten auch für die Verbraucher in NRW teurer werden, sofern die Unternehmen die Kosten an sie weiterreichen.
Anders als der Verband befürchtet die Spedition Dörrenhaus weitreichendere Folgen beim Warentransport. Geschäftsführer Varvatsos identifiziert vier grundlegende Probleme, die in Summe dazu führen, dass Fahrten einzelner Waren derzeit nicht stattfinden (können) oder sich deutlich verzögern – „es gibt einen Domino-Effekt“:
- Reedereien haben sich dazu entschieden, einen Umweg zu fahren. Die Lieferungen verzögern sich enorm, Unternehmen können Lieferketten nicht einhalten. Der Druck auf die Reedereien steigt durch die Versicherungen, die bei einer potenziellen Durchfahrt durch die Gefahrenzone höhere Prämien fordern.
- Längere Fahrten bedingen einen Mangel an Equipment. Konkret: Es fehlt an Containern zum Transport. Seien 24.000 Twenty-Foot Equivalent Units (TEU) (sechs Meter lange Container) knapp zwei Wochen auf einer Strecke länger unterwegs als geplant, fehlten diese bis zu vier Wochen zusätzlich zum Beladen am Hafen in Asien, resümiert Varvatsos.
- Die Reeder haben laut dem Spediteur seit letztem Jahr immer mehr Fahrten oder Häfen auf einzelnen Routen ausfallen lassen. Je nach Durchschlagskraft der Frachtraten für die jeweiligen Waren entziehen die Reedereien dem Markt damit die Kapazitäten. „Vom Arbeitsaufwand ist unsere Situation eins zu eins vergleichbar mit Corona“, stellt der Spediteur klar.
- Ab dem 10. Februar finden die Feierlichkeiten zum Chinesischen Neuen Jahr statt. Über zwei Wochen lang wird dort weitestgehend die Arbeit niedergelegt. Unternehmen versuchen deshalb, möglichst viele Waren im Vorhinein zu ex- und importieren. Jährlich sei dies ein kalkulierbarer Lockdown, der in diesem Jahr den Druck umso mehr erhöht.
Ob und wie viele von den Mehrkosten der Logistiker auf die Verbraucherpreise draufgeschlagen werden, ist offen und von Warengruppe zu Warengruppe verschieden. Die Dramatik, mit der die Preise im Transport ansteigen, ist an den Kosten je Seecontainer abzulesen.
Frachtraten steigen rasant – „Tendenz steigend, open end.“
Vor den Angriffen der Rebellen habe der Preis für einen Container zeitweise unter 1000 US-Dollar (USD) gelegen, sagt Varvatsos. Aktuell gebe es Angebote in Höhe von 5000 bis 7000 USD. Bei hohen Nachfragen könnten Reedereien individuell einen sogenannten „Peak Season Surcharge“ (PSS) festlegen, einen Zuschlag, der aktuell bei 500 bis 550 USD liege – einer auffällig geringen, branchenweiten Spanne, stellt der Spediteur fest. „Die Preise haben sich demnach versechsfacht. Tendenz steigend, open end.“
Michael Dircksen, Professor für internationale Distributionslogistik an der Fachhochschule in Münster, verweist darauf, dass die Mehrkosten für die Reedereien (im Gegensatz zu den geforderten Preisen) bisher überraschend gering seien. Dabei entspricht die Gebühr, die bei der Fahrt durch den Suezkanal anfällt, in etwa den Kosten für den Treibstoff der Afrika-Umfahrt. Dircksen hebt einen weiteren Aspekt hervor: Durch den Umweg werde gemessen an der Distanz circa ein Fünftel mehr Treibstoff benötigt, was den Transport von Asien nach Europa umweltschädlicher mache.
Auf demselben Niveau wie während der Hochzeit der Corona-Pandemie sind die Preise im Transport nicht. Ein einzelner Container kostete zwischen 12.000 und 14.000 USD. Die leeren Regale im Einzelhandel wird es nach der Meinung von Varvatsos nicht geben, die Verfügbarkeit bleibt gegeben, Firmen könnten einzelne Produkte verteuern. „Während der Pandemie waren ganze Fabriken geschlossen. Das ist dieses Mal nicht der Fall.“
Verbände sind weniger besorgt um den Konflikt im Roten Meer
„Die letzten Jahre haben doch gezeigt: Egal welche Krise es gibt, wir kriegen es irgendwie auf die Kette“, sagt Bernhard Philipps. Er ergänzt: „Die Branche leidet grundsätzlich, weil im Moment weniger transportiert wird.“ Ähnlicher Meinung ist Peter Abelmann, Geschäftsführer des LOG-IT Clubs. Gemeinsam mit dem Verband Verkehrswirtschaft und Logisitk NRW (VVWL) bildet dieser das Kompetenznetz Logistik.NRW. Die Mitglieder seien sich einig: Schwerwiegende Auswirkungen auf die Logistik in NRW werde die Situation im Golf von Aden nicht haben. Die Branche habe aus der Corona-Krise gelernt, importiere deutlich weniger aus Asien, um Probleme mit den Lieferketten zu vermeiden – zudem seien die Lager gefüllt. Stattdessen setze die CO₂-Steuer sowie die LKW-Maut die Transporteure unter Druck, betont Abelmann.