Berlin. Köche und Kellner werden händeringend gesucht. Die Lage ist desolat: Eine Umfrage zeigt, warum jeder Dritte seinen Job aufgeben will.
Eigentlich liebt er das Geschäft, den lässigen Plausch mit Gästen. Schon als Student hat Boris hinter dem Tresen eines Restaurants gejobbt. Schließlich eröffnete der heutige Mittfünfziger einen eigenen Imbiss mit Catering-Service. Corona versetzte seinem Business jedoch den Todesstoß. Von heute auf morgen gab es keine Aufträge mehr, alles stand still.
Seine Beschäftigten erhielten Kurzarbeitsgeld – bis sie kündigten. Denn selbst das Kurzarbeitergeld reichte ihnen nicht zum Leben. Einige nahmen Jobs als Verkäufer im Handel an. Sein Laden schlitterte in die Insolvenz. Er selbst, der seinen wahren Namen nicht in der Zeitung lesen mag, arbeitet heute in der Altenpflege.
Es gibt keine Branche in Deutschland, die von der Corona-Krise derart in Mitleidenschaft gezogen wurde wie die Gastronomie und Hotellerie. Waren vor der Pandemie noch mehr als 2 Millionen Menschen im Gastgewerbe tätig, so sank die Zahl wenige Wochen nach Ausbruch des Virus 2020 schon um 330.000 Beschäftigte. Und dies trotz Kurzarbeit und anderer Unterstützungsmaßnahmen, wie eine Studie der Beratungsgesellschaft wmp Consult für die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) und Hans-Böckler-Stiftung ergeben hat.
Personalmangel in Gaststätten: 100.000 weniger Beschäftigte
Und die Branche hat sich bis heute nicht wieder erholt. „2022 waren noch rund 100.000 Beschäftigte weniger im Gastgewerbe tätig als vor der Pandemie“, so die Studienautorin Katrin Schmid. Das Vorkrisenniveau ist nicht wieder erreicht. Viele Restaurants, Bars oder Cafés suchen händeringend Personal. Dies bekommen Gäste oft hautnah zu spüren: Manche Lokale haben Ruhetage eingeführt, andere schließen früher. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) schlägt bereits seit Monaten Alarm. Es fehlen Zehntausende Mitarbeiter.
Insgesamt mussten laut Studie rund 5000 Betriebe im Jahr 2020 aufgeben – davon 4200 in der Gastronomie. Zwischenzeitlich werden zwar insgesamt wieder rund 159.000 Betriebe gezählt – und damit sogar etwas mehr als vor der Corona-Pandemie. Doch die Umsätze lassen zu Wünschen übrig. Nach einem drastischen Einbruch um gut 40 Prozent im Jahr 2020 sind sie zwar wieder gestiegen, haben aber das Vorkrisenniveau von 2019 nicht mehr erreicht.
Gastronomie in Not: Umsätze unter Vorkrisenniveau
2022 setzte die Branche nicht knapp 100 Milliarden Euro um – vor der Pandemie im Jahr 2019 waren es noch 104,2 Milliarden Euro. Laut Statistischem Bundesamt liegt der preisbereinigte Umsatz des Gaststättengewerbes im ersten Halbjahr real um 10,4 Prozent unter den Werten des Vorkrisenniveaus.
Gleichzeitig leidet die Branche aufgrund der Inflation unter stark gestiegenen Preisen für Lebensmittel, Getränke, Energie und Personal. Kosten, die sie teilweise oder ganz an ihre Gäste weitergeben mussten, was wiederum zu sinkenden Kundenzahlen führt. „Die Existenzängste in der Branche sind unvermindert hoch“, so der Dehoga-Präsident Guido Zöllick.
Doch woran liegt es, dass so viele Menschen ihren Job an den Nagel gehängt haben oder dies wollen? Rund 80 Prozent der Beschäftigten kritisieren, dass die Entlohnung im Gastgewerbe zu niedrig sei, wie eine Umfrage unter 4000 Beschäftigten ergeben hat. 70 Prozent bemängeln die fehlende Wertschätzung ihrer Arbeitgeber.
Weitere 57 Prozent sagen, dass die psychische Belastung zu hoch sei und die Arbeitszeiten schwer mit dem Privatleben vereinbar seien. Überstunden, Doppelschichten und kurzfristiges Einspringen für ausgefallene Mitarbeiter seien ein weiteres Manko. Entsprechend sieht gut ein Drittel der Beschäftigten keine Zukunft in dieser Branche.
Personalmangel: Gewerkschaft fordert mehr Geld
Der NGG-Gewerkschaftschef wertet das Ergebnis als Alarmsignal: „Das Gastgewerbe braucht einen Neustart“, fordert Guido Zeitler. „Die Löhne müssen rauf, die Arbeitszeiten runter.“ Konkret fordert Zeitler ein Einstiegsgehalt von mindestens 3000 Euro brutto für ausgebildete Köchinnen, Köche sowie Hotel- und Restaurantfachleute. Für bessere Arbeitsbedingungen pocht der Gewerkschaftschef auf Tarifverträge für alle. Aktuell arbeiten nur 20 Prozent der Gastronomie-Beschäftigten in Betrieben, die nach Tarif bezahlen. Viele Minijobber in der Gastronomie haben sogar einen Zweitjob, so die Studie.
Das Gastgewerbe gilt als klassische Branche für An- und Ungelernte. Ein Arbeitsplatz, an dem sich Festangestellte und Minijobber die Waage halten. Ähnlich wie vor der Pandemie arbeiten heute 52 Prozent der Beschäftigten sozialversicherungspflichtig und die übrigen 48 Prozent als Minijobber, wobei deren Anzahl steigt. Etwa 63 Prozent sind laut NGG-Studie im Niedriglohnbereich tätig. Fast jeder zweite Auszubildende bricht seine Ausbildung vorzeitig ab.
Am schlechtesten verdienen Festangestellte im Gastgewerbe in Mecklenburg-Vorpommern mit durchschnittlich 2076 Euro brutto, am besten jene in Bayern mit 2622 Euro. In Berlin gibt es 2410 Euro, in Hamburg 2325 Euro. Ein Gehalt, von dem es sich in Großstädten nicht gerade üppig leben lässt. Zum Vergleich: Bundesweit liegt der Bruttoverdienst über alle Branchen im Schnitt bei 4100 Euro.
Bei der Frage, ob die Mehrwertsteuer für das Gastgewerbe, die im Zuge der Corona-Hilfen von 19 auf 7 Prozent gesenkt wurde, im Januar wieder erhöht werden soll, steht die Gewerkschaft ganz an der Seite der Arbeitgeber: „Eine Erhöhung ist aus unserer Sicht falsch“, so Zeitler. Die Dehoga befürchtet bei einer Erhöhung das Aus von weiteren 12.000 Betrieben.