Essen. Der neue Thyssenkrupp-Chef López spricht von einem „grünen Industrie-Powerhouse“. Mit der Sparte „Decarbon“ weckt López große Erwartungen.
In seinen fünfzehn Wochen an der Spitze von Thyssenkrupp hat sich Vorstandschef Miguel López den Ruf erarbeitet, ein harter Kostensenker zu sein. Die Botschaft, dass er auch gestalten kann, soll nun mit der Gründung einer neuen Konzern-Sparte verbunden sein, die López zusätzlich zu seiner Arbeit als Konzernchef selbst führen will: „Decarbon Technologies“ nennt sich der Bereich, in dem ab Oktober voraussichtlich rund 15.000 der knapp 100.000 Thyssenkrupp-Beschäftigten arbeiten. Es soll eine neue Klimaschutz-Sparte entstehen in dem von Stahl und Industriegütern geprägten Revierkonzern. In einem Schreiben an die Beschäftigten, das unserer Redaktion vorliegt, spricht López von einem „grünen Industrie-Powerhouse“.
In Dortmund wird die neue Sparte angesiedelt, nicht am Konzernsitz in Essen. Es gebe in Dortmund eine größere Nähe zu den Geschäftsaktivitäten jener Thyssenkrupp-Firmen, die Teil der neuen Sparte werden: die Anlagenbauer Uhde, Polysius und Rothe Erde sowie die kürzlich erfolgreich an die Börse gebrachte Wasserstoff-Firma Nucera. Zusammen stehen diese Unternehmen für einen Jahresumsatz von zuletzt rund drei Milliarden Euro. „Mit dem neu gegründeten Segment bündeln wir unsere Schlüsseltechnologien zur Energiewende“, formuliert López in seinem Brief an die Beschäftigten.
In der neuen Dortmunder Sparte gehen weite Teile des bisherigen Thyssenkrupp-Segments „Multi Tracks“ aufgehen. Im Herbst 2020 hatte der Thyssenkrupp-Vorstand unter der damaligen Konzernchefin Martina Merz zahlreiche Aktivitäten der Einheit „Multi Tracks“ zugeordnet. Der Vorstand sprach zum Start der Einheit mit rund 20.000 Arbeitsplätzen von Firmen, für die es „keine nachhaltige Zukunftsperspektive“ innerhalb der Thyssenkrupp-Gruppe gebe. Auch die mittlerweile geschlossene Grobblech-Produktion in Duisburg sowie das Edelstahlwerk AST im italienischen Terni, das vor einigen Monaten verkauft worden ist, wurden „Multi Tracks“ zugeordnet. Weitere Geschäftsaktivitäten, darunter das Bergbaumaschinen-Geschäft, hat Thyssenkrupp ebenfalls veräußert.
Plötzlich Hoffnungsträger: Uhde, Polysius und Rothe Erde
Die Firmen Uhde, Polysius und Rothe Erde galten bei der Eingliederung in „Multi Tracks“ größtenteils als Sanierungsfälle. Dass sie nun als Teil der Thyssenkrupp-Zukunftssparte fungieren, ist eine durchaus bemerkenswerte Wende in der Strategie. Rothe Erde stellt Großwälzlagern her, die in Windrädern zum Einsatz kommen. Uhde verfügt über Kompetenzen im Geschäft mit Ammoniak-Anlagen. Polysius fertigt Fabriken für die Zementindustrie, die ebenfalls unter dem Druck steht, klimaneutral werden zu müssen. Nucera ist auf den Bau von Elektrolyseuren für die Wasserstoff-Produktion spezialisiert.
Die IG Metall lobt die Neuaufstellung. Die Gründung des Segments „Decarbon“ zeige den „Weg in die Zukunft auf“, sagt Gewerkschaftsvorstand Jürgen Kerner, der auch Vize-Aufsichtsratschef bei Thyssenkrupp ist. Daniela Jansen, die Konzernbeauftragte der IG Metall, merkt an: „Wir haben in den vergangen drei Jahren immer wieder die Frage an den Vorstand gestellt, wie es mit den Geschäften weitergehen soll.“ Dass Uhde, Polysius, Rothe Erde und Nucera nun „eine gemeinsame Zukunft“ hätten, sei „eine positive Nachricht“, urteilt Jansen.
Mit der Gründung der neuen Decarbon-Sparte in Dortmund wird nun auch nach außen deutlich, dass Thyssenkrupp weniger ein zentral geführter Konzern ist, sondern von verschiedenen Standorten in Nordrhein-Westfalen geprägt wird: mit der Hauptverwaltung in Essen, aber auch mit Machtzentren in Duisburg, wo sich die Stahlsparte Thyssenkrupp Steel befindet, sowie in Dortmund mit den Anlagenbauern, die der Vorstand nun als Klimaschutz-Sparte aufwertet.
Neuer Name für Konzern-Quartier in Essen
Das firmeneigene Essener Gelände der Konzernzentrale, als „Thyssenkrupp-Quartier“ bekannt, benennt das Unternehmen um in „ruhr tech kampus essen“. Unter eigenwilligen Namen solle das Areal weiterentwickelt werden. Personalvorstand Oliver Burkhard berichtet, der Platzbedarf für Thyssenkrupp habe sich in Essen verringert – auch „aufgrund hybrider Arbeitsmodelle“. Das Quartier werde nun nicht mehr ausschließlich von Thyssenkrupp genutzt, sondern auch von Unternehmen wie Eon und Siemens.
Bei Thyssenkrupp soll nun auch das von Konzernchef López angestoßene Effizienz-Programm namens „Apex“ starten. Nahezu alle Bereiche im Konzern sollen auf den Prüfstand kommen. Die „Handlungsfelder“ seien das Personal, Materialkosten, Vermögenswerte, Geschäftsmodelle und die Leistungskultur („Performance Culture“), so der Vorstand unlängst in einem Schreiben an die Belegschaft.
Thyssenkrupp-Chef López ruft Margen-Ziele aus
Thyssenkrupp strebe mittelfristig eine Marge beim Betriebsgewinn von vier bis sechs Prozent an, um das Ziel zu erreichen, eine „verlässliche Dividendenzahlung“ für die Aktionäre zu liefern, betont Vorstandschef López. Mit dem „Performance-Programm“ würden nun „alle Geschäfte fit“ gemacht.
Die IG Metall lehnt Personalabbau ab. „In den letzten Jahren lag der Fokus auf Restrukturierung und Personalabbau. All das hat nicht dazu geführt, dass wir besser geworden sind“, sagt Tekin Nasikkol, der neue Konzernbetriebsratschef.
Wegen der Auflösung des Segments „Multi Tracks“ Ende September soll sich der bisherige Spartenchef Volkmar Dinstuhl nun um das Beteiligungsmanagement von Thyssenkrupp kümmern. Dinstuhl wird aber auch als möglicher Nachfolger des scheidenden Finanzvorstands Klaus Keysberg gehandelt.