London. Londons Stellung als Finanzplatz Nummer eins wankt, unken Kritiker. Warum es daran Zweifel gibt und Fintechs das Gegenteil beweisen.
Ende März gingen am Finanzplatz London die Alarmglocken an. Anlass war die Veröffentlichung eines neuen Reports durch die Stadtverwaltung. Den neuen Daten zufolge habe London seine alleinige Führung als weltweit führendes Finanzzentrum verloren, liege nun nur noch punktgleich mit New York City an der Spitze. Erstmals überhaupt sei die britische Hauptstadt in diesem Ranking nicht mehr klarer Spitzenreiter.
Bereits vor dem Brexit hatten Finanzfachleute gewarnt, London könnte seinen Platz als Top-Finanzstandort der Welt verlieren, weil Banken und andere Unternehmen nach dem EU-Austritt ihre Geschäfte auf das europäische Festland verlagern würden. Befürchtungen, wonach bis zu 12.500 Jobs im Finanzsektor verloren gingen könnten, haben sich aber nicht bewahrheitet. Und auch London als Finanzplatz macht nach wie vor gute Geschäfte.
Brexit: Finanzplatz London verlor Arbeitskräfte – aber weniger als erwartet
Einer Analyse von EY zufolge wanderten bis Jahresmitte 2022 zwar etwa 7000 Finanzarbeitsplätze von London in die EU ab. Nach wie vor sind allerdings mehr als 1,2 Millionen Arbeitnehmer in der britischen Banken- und Finanzbranche tätig. Die Dienstleistungsgeschäfte der Unternehmen erfreuen sich zudem weiter relativer Stärke: 2022 erwirtschaftete der britische Sektor der Finanz- und Unternehmensdienstleistungen einen Handelsüberschuss von 64 Milliarden Pfund (rund 74,5 Milliarden Euro)– den größten aller Länder.
UK Finance, ein Dachverband für die Banken- und Finanzindustrie im Land, sieht deshalb auch keinen Grund, auf Schwächen zu verweisen: „Das Vereinigte Königreich bleibt ein weltweit führender Banken- und Finanzsektor. Der Sektor ist ein wichtiger Exporteur für das Vereinigte Königreich und eine der wichtigsten Quellen für Steuereinnahmen für die Regierung“, sagt UK-Finance-Sprecher Tom Reynolds. Er verweist auf Vorteile, die auch nach dem Brexit weiter bestehen würden. Dazu gehöre etwa ein angesehenes rechtliches und regulatorisches Umfeld, Vertragssicherheit sowie Vertrauen in die öffentlichen Institutionen.
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Der Talentepool ist auch für immer mehr junge Finanzfirmen – sogenannte Fintechs – ein Grund, nach London und Großbritannien zu kommen. Neuen Daten zufolge zog London im vergangenen Jahr mehr Risikokapital für Fintechs an als jede andere Stadt der Welt. Insgesamt flossen 9,7 Milliarden Dollar an hiesige Jungunternehmen, die mit ihren Geschäftsmodellen den Finanzsektor verändern wollen. London habe damit im vergangenen Jahr nicht nur mehr Investitionen angezogen als New York und die San Francisco Bay Area, sondern auch 42 Prozent der gesamten europäischen Fintech-Finanzierung, heißt es von den Wirtschaftsförderern von London & Partners. Weltweit – auch in Großbritannien – gingen 2022 aber Risikokapitalinvestitionen zurück.
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Viele Briten sind aufgeschlossen gegenüber neuen Finanz-Dienstleistungen
Laura Citron, Geschäftsführerin von London & Partners, sieht die britische Metropole dennoch weiter gestärkt. „Wir beobachten ein starkes Interesse von internationalen Unternehmen, die ihre Fintech-Geschäfte in London aufbauen und ausbauen wollen“, sagt Citron. London biete den Fintechs im Gegensatz zu vielen anderen Standorten auf der Welt Zugang zu einem der weltweit führenden Finanzzentren und dem größten Tech-Ökosystem in Europa. Diese Kombination sei ein Rezept für Innovationen.
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Ein weiterer Faktor sei die Aufgeschlossenheit der Briten gegenüber neuer Technologie: „Das Vereinigte Königreich verfügt über einen digital versierten Kundenstamm mit einer hohen Akzeptanz von Fintech-Dienstleistungen – dies macht London zu einem idealen Testgelände für Fintechs, um neue Produkte einzuführen“, betont die Managerin. Diese geringere Skepsis gegenüber Neuem lässt sich in London an einer banalen Sache wie Bargeld festmachen: Während die Deutschen gerne einen Notgroschen in der Tasche haben, zahlen die Briten getrost alles per Karte oder App – egal, ob den Coffee to go, den Haarschnitt oder eine Theaterkarte.
Fintech-Gründer Sébastien Paillet hatte mit seinem Unternehmen Earlymetrics lange eine größere Niederlassung in London. Mittlerweile sitzt das Fintech in Paris, nur ein paar Beschäftigte halten in Großbritannien die Stellung. London aber sei nach wie vor der „place to be“ wenn es um internationales Wachstum gehe. „Es ist einfacher von hier, Geschäfte in Asien, dem Mittleren Osten oder den USA aufzubauen. Man kann sehr schnell Kontakte knüpfen“, erzählt Paillet.
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Diese Vorteile sieht ein Fintech für die Jungunternehmen in London
Earlymetrics sammelt Daten und Informationen zu Start-ups, die gerade noch im Aufbau sind und erste Finanzierungen benötigen. Daraus aufbereitete Informationen sollen Investoren helfen, Entscheidungen zu treffen. Earlymetrics hat unter anderem ein Punktesystem entwickelt und auch Vorhersagen, was einen möglichen Bankrott oder etwaige Exit-Optionen angeht. Banken wie Barclays, BNP Paribas oder HSBC nennt die Firma als Kunden.
In Sachen Personal sei London vor allem flexibler. „Man kann von heute auf morgen seinen Job wechseln“, so der Gründer. Besonders junge Leute seien einfacher zu rekrutieren und würden niedrigere Einstiegsgehälter in Kauf nehmen, die dann aber schneller anwachsen würden als zum Beispiel in Deutschland. Und mit Blick auf die Geschäftsidee sei man viel stärker an den Lösungen interessiert. „Es ist egal, ob Du aus Großbritannien kommst oder die Sprache sprichst: Wer die beste Idee hat, bekommt den Zuschlag“, sagt Paillet, der künftig eigenen Angaben zufolge wieder stärker am Standort London wachsen will.
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Deutsche Bank hat Personal verlagert, hält aber an London fest
Auch Deutschlands größtes Geldhaus, die Deutsche Bank, sieht in London weiterhin ein wichtiges Finanzzentrum. Ein Sprecher verweist auf die am Standort vorhandene hohe Dichte an Banken, Finanzdienstleistern und Dienstleistern für die Finanzindustrie. Zudem gebe es Fachkräfte, ein breites Finanzmarkt-Wissen, enge internationale Verknüpfungen und eine hoch entwickelte, spezialisierte Rechtsprechung.
Doch auch die Deutsche Bank, für die in Großbritannien 7500 Mitarbeiter tätig sind, hat nach dem Brexit Aufgaben abgezogen. „Kundenbetreuer für italienische Unternehmen hat die Deutsche Bank nach Italien verlagert – die müssen nicht notwenderweise von London aus arbeiten“, so der Sprecher. Lösen will man sich von London aber nicht. Immerhin eröffnete hier vor 150 Jahren die erste europäische Niederlassung der Deutschen Bank.