Duisburg. Bundespräsident Steinmeier bei Thyssenkrupp in Duisburg und Air Liquide in Oberhausen: Es geht um Wasserstoff und eine große Herausforderung.
Die präsidiale Tour beginnt – wie sollte es anders sein – am Hochofen. Der „8er“, wie er in Duisburg genannt wird, sei zwar nicht der größte, aber „der schönste Hochofen der Welt“. So scherzt jedenfalls ein langjähriger Thyssenkrupp-Mitarbeiter. Als die Anlage Ende 2007 in Betrieb ging, machte der Konzern noch mit einem besonderen Farbkonzept von sich reden. Heute dient der rot getönte Ofen als Kulisse für eine Reise, in der es um die „Transformation der Stahlindustrie“ gehen soll. Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf dem riesigen Thyssenkrupp-Areal in Duisburg-Hamborn eintrifft, bietet sich indes erstmal das klassische Bild: Funken sprühen, Roheisen pulsiert.
Die Strategie lautet längst: Schluss mit den Hochöfen – sie gehören zu den großen Emittenten von klimaschädlichem Kohlendioxid (CO2). Stattdessen soll es eine andere Technologie richten: Direktreduktionsanlagen – betrieben mit Erdgas oder Wasserstoff statt Kohle. Eine erste neue DRI-Anlage soll den Plänen von Thyssenkrupp zufolge Ende 2026 den Betrieb aufnehmen. Dafür hat Deutschlands größter Stahlkonzern einen benachbarten NRW-Konzern beauftragt: den Anlagenbauer SMS Group aus Düsseldorf. Auftragsvolumen: 1,8 Milliarden Euro.
Steinmeier spricht von Mut, von der Tradition des Stahlkonzerns – und von seiner Zukunft. Die Produktion auf Klimaneutralität umstellen? „Das ist eine riesige Herausforderung“, sagt Steinmeier. „In Deutschland wollen wir, vielleicht müssen wir den Beweis erbringen, dass klimafreundliche, klimagerechte Stahlerzeugung in dieser Welt möglich ist.“
Ist klimafreundlicher Stahl überhaupt wettbewerbsfähig?
Es geht nicht nur um ein industrielles, sondern auch um ein betriebswirtschaftliches Großprojekt. Neben dem Aufbau der neuen Technologie müsse erreicht werden, dass klimafreundlich erzeugter Stahl auch „auf Weltmärkten absetzbar“ sei, also „wettbewerbsfähig“ bleibe, sagt Steinmeier.
Denn: Aller Voraussicht nach ist Stahl, der nicht mehr auf Basis von Kohle, sondern mit Hilfe von Erdgas und später mit Wasserstoff produziert, deutlich teurer als der konventionell hergestellte Werkstoff – zumindest in den Anfangsjahren. Einen Ausgleich soll eine milliardenschwere staatliche Förderung schaffen.
Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt Thyssenkrupp mit der größten Einzelförderung, die es jemals in NRW gegeben hat, wie Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im Beisein von Steinmeier in Duisburg betont. Bis zu 700 Millionen Euro aus der Landeskasse sollen kommen, um in Duisburg die klimafreundliche Stahlproduktion aufzubauen. Mehr Geld habe bislang noch nie eine NRW-Landesregierung „auf den Tisch gelegt für irgendein Projekt“, so Wüst. Deutlich mehr finanzielle Mittel könnten über Jahre hinweg zusätzlich noch vom Bund fließen, um höhere Produktionskosten für den „grünen Stahl“ zu berücksichtigen.
Er habe „selten so eine Aufbruchstimmung“ in der Belegschaft erlebt, erzählt Tekin Nasikkol, der Stahl-Gesamtbetriebsratschef von Thyssenkrupp, betont aber auch: „Wir haben noch viel, viel vor uns.“ Die RWE-Managerin Sopna Sury skizziert in Duisburg, wie komplex der Aufbau einer neuen Wasserstoff-Infrastruktur sein wird. Pipelines müssen her. In Oberhausen schaut sich Bundespräsident Steinmeier beim Konzern Air Liquide einen Elektrolyseur zur Wasserstoff-Herstellung an.
„An der Schwelle einer neuen Technologie der Stahlerzeugung“
„Wir sind an der Schwelle einer neuen Technologie der Stahlerzeugung“, sagt Bundespräsident Steinmeier. „Nicht nur hier bei uns, sondern in der ganzen Welt wird darüber nachgedacht, wie wir CO2 bei der Stahlerzeugung einsparen.“ So soll im Norden Schwedens das weltweit erste grüne Stahlwerk entstehen. „H2 Green Steel“ heißt das Vorhaben. Der Unterschied zu Duisburg: Hier wird im Bestand gebaut, in Schweden alles neu aus dem Boden gestampft. Der Düsseldorfer Anlagenbauer SMS ist in Schweden ebenfalls eingebunden. Die Stahlproduktion dort soll schon 2025 beginnen, gefolgt von einer Hochlaufphase im Jahr 2026. Deutschland sei beim Neustart der Stahlindustrie „im Wettbewerb mit anderen“, betont Steinmeier. Auch Länder wie Indien und China seien an der Umstellung ihrer Stahlproduktion interessiert.
Und ausgerechnet jetzt zieht sich Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz zurück? „Mir ist von allen Seiten klar versichert worden, dass es eine personelle Veränderung ist, aber keine Strategieänderung. Und das ist gut so“, sagt NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) dazu auf Nachfrage unserer Redaktion. Martina Merz habe „riesengroße Verdienste“ mit Blick auf die Transformation des Unternehmens, fügt Wüst noch hinzu. Auch Martina Merz ist nach Duisburg gereist, um den Bundespräsidenten zu begrüßen. Zu Wort meldet sie sich aber nicht. Diese Rolle hat Bernhard Osburg übernommen – der Stahlchef von Thyssenkrupp.