Hagen. Die mittelständische Bäckerei Kamp sucht Rezepte, um durch die Kostenkrise zu kommen. Wieso jetzt die Löhne erhöht wurden, erklärt der Chef.

Martin Kamp ist anzusehen, dass er unter Strom steht. Dabei ist an diesem Morgen der größte Stress bereits vorbei, das Tagewerk der Hagener Stadtbäckerei Kamp schon beinahe erledigt. 32 Filialen sind gegen 9 Uhr gut versorgt. In der zentralen Backstube herrscht bereits Kehraus. Alltag, einerseits. Was den 50-jährigen Bäcker- und Konditormeister derzeit rund um die Uhr beschäftigt, ist klar. Die seit Monaten anhaltenden Preisexplosionen für Rohstoffe. Die Kosten für Weizen, Zucker, Butter, Walnüsse, Rosinen sind innerhalb eines Jahres zum Teil weit über einhundert Prozent gestiegen. Und dann das Energiethema. „Wir haben für Gas und Strom noch Verträge bis zum Jahresende“, sagt Kamp. Was ab Januar wird, ist völlig offen. „Unser Versorger schließt keinen neuen Vertrag mit uns ab. Wie es aussieht, müssen wir im kommenden Jahr Energie zu Tagespreisen einkaufen.“ Preissteigerungen scheinen unvermeidlich. Wird das Brötchen nun teurer oder kleiner? Oder beides?

Veränderte Öffnungszeiten

Es ist eine beängstigende Situation für die gesamte Branche. Bäckereien sind energieintensive Betriebe. Und so wie Kamp in Hagen geht es vielen der rund 10.000 Handwerksbäckereien in Deutschland. Schon Monate. Seit diesem Frühjahr versucht der Zentralverband des Bäckerhandwerks die Entscheidungsträger in der Bundesregierung auf die brenzlige Lage für die Branche hinzuweisen. Im September startete die Aktion „Alarmstufe Brot“. Was womöglich witzig klingen mag, ist bitterernst gemeint.

Stefanie Kamp und ihr Mann Martin wollen sich nicht allein auf Gas- und Strompreisdeckel der Bundesregierung verlassen: „Es ist ein wichtiger Schritt, aber noch sind es nur Ankündigungen.“
Stefanie Kamp und ihr Mann Martin wollen sich nicht allein auf Gas- und Strompreisdeckel der Bundesregierung verlassen: „Es ist ein wichtiger Schritt, aber noch sind es nur Ankündigungen.“ © Jens Helmecke/wp | Jens Helmecke

Die angekündigten Gas- und Strompreisdeckel lassen Martin Kamp und seine Frau Stefanie noch nicht ruhiger schlafen. „Es ist ein wichtiger Schritt, aber noch sind es nur Ankündigungen.“

Am vergangenen Donnerstag sendete der Verband erneut SOS nach Berlin, verbunden mit einem konkreten Forderungskatalog, der so manchen Handwerksbäcker vor dem nahenden Untergang bewahren soll. Ein Härtefallfonds für Unternehmen, deren Verträge für Strom und Gas ausgelaufen sind beziehungsweise absehbar auslaufen, gehört zu den Hilferufen. Und: „Wir fordern in einem beschleunigten Gesetzgebungsverfahren kurzfristig einen Versorgungszwang für Unternehmen, die derzeit keine neuen Verträge für Strom und Gas erhalten“, erklärt der Verband auf Anfrage dieser Zeitung.

Verbände sind dazu da, pointiert die Belange ihrer Klientel zu vertreten. Wer dies im vielstimmigen Chor der Interessenvertreter momentan nicht maximal laut tut, dessen Klagelied wird womöglich in Berlin überhört. Das hilft insofern, als dass Jammern häufig nicht die Sache des klassischen Unternehmers ist. Sicher nicht die von Martin Kamp: „Wir denken über Alternativen bei der Energieversorgung nach und versuchen, die Reserven im Betrieb zu entdecken.“ Veränderte Öffnungszeiten in den Filialen gehören zum Denkmodell, um durch die Krise zu kommen. An den Standorten, an denen die Kundenfrequenz am Nachmittag üblicherweise stark sinkt, könnte bald eher der Feierabend eingeläutet werden. „Vielleicht können sich die Kunden darauf einstellen“, hofft Kamp auf Verständnis.

Handwerklich hergestelltes Brot soll bezahlbar bleiben

„Wenn die Situation ein Umdenken bewirken würde, weg von der Überflussgesellschaft, hätte die Situation etwas Gutes“, findet Stefanie Kamp, die die Rohstoffpreise im Blick behält, und deren Credo es ist, dass handwerkliches Brot für jeden bezahlbar bleiben müsse und das Frühstücksbrötchen nicht zum Luxus werden darf. Nur wie?

In der zentralen Backstube werden die Öfen mit Gas betrieben. Für mehr Glanz werden die Kasselerbrote mit Wasserdampf besprüht. Straffere Backpläne sollen helfen, Energie zu sparen. 
In der zentralen Backstube werden die Öfen mit Gas betrieben. Für mehr Glanz werden die Kasselerbrote mit Wasserdampf besprüht. Straffere Backpläne sollen helfen, Energie zu sparen.  © Jens Helmecke/wp | Jens Helmecke

Die meisten Öfen in der modernen Backstube werden mit Gas betrieben. Ebenso wichtig im Tagesgeschäft sind die Kühlhäuser, die die Stromzähler rotieren lassen. Warum? Die Teige brauchen Zeit, um sich zu entwickeln. Ausgeruht geht es ihnen besser, sprich, es macht etwas mit der Qualität. An der mag Martin Kamp partout nicht sparen. Schon allein die Vorstellung, an Rezepturen zu rütteln, scheint den 50-Jährigen nervös zu machen. Er lenkt den Blick in der Backstube schnell zurück auf die technischen Möglichkeiten. Es wird nicht mehr jeden Tag jedes Brot geben. „Wir schauen über die Backpläne und darauf, wie in den Filialen gebacken wird.“ Die Strom betriebenen Öfen zum Backen von Brötchen an den 32 Standorten sind überwiegend so modern, dass einzelne Backzonen angesteuert werden können, um Kilowattstunden zu sparen. Das wäre früher schon möglich gewesen, sicher, aber erst jetzt schärft sich der Blick dafür – auch bei den Beschäftigten: „Meistens haben die Mitarbeiter schon von sich aus die Öfen runtergeregelt.“

Das Unternehmen investiert gerade am Backstubenstandort in eine neue Halle. Auf dem Dach sollte eine mit 140 Kilowatt/Peak recht große Photovoltaikanlage installiert werden – Kamps denken um: Die Anlage wird voraussichtlich größer werden, der Fuhrpark auf E-Transporter umgestellt, um mittel- und langfristig Transportkosten zu verringern.

Brötchenpreise steigen ab sofort

Mit der Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde hat Kamp die Löhne für seine Festangestellten um eine Tarifgruppe erhöht, damit Abstand zu den ungelernten Aushilfskräften – häufig Schülerinnen oder Studentinnen – bleibt. „Weil wir das richtig finden.“

Strom, Gas, Diesel, höhere Lohn- und Rohstoffkosten. „Viele Unternehmen haben diese eine Baustelle Energiepreise. Wir im Bäckerhandwerk haben gerade viele“, sagt Stefanie Kamp. Also: Wo es Sinn macht, verkürzte Öffnungszeiten. Optimieren des Energieverbrauchs, wo immer es geht. Aber auch eine leichte Preiserhöhung in der Hoffnung, dass sie für alle Kunden verträglich ist: Brötchen werden beim Stadtbäcker ab sofort 42 statt 39 Eurocent pro Stück kosten – Qualität und Größe bleiben unverändert, verspricht Familie Kamp.

Forderungen des Zentralverbands an die Bundesregierung

70 Prozent der rund 10.000 Betriebe nutzen laut Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks Gasbacköfen.

Der Verband fordert Einmalzahlungen nicht nur für Dezember, sondern auch für Januar und Februar 2023.

Ab März bis mindestens April 2024 müsse eine Gaspreisbremse von 5 Cent pro Kilowattstunde gelten, bezogen auf 80 Prozent des Jahresverbrauchs aus dem Jahr 2021. Die Bremse soll unbürokratisch automatisch wirken, also ohne Antrag.

Bäckereien, die mit anderen Energieträgern als Gas arbeiten, werden analog unterstützt.

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