Essen. Die Folgen des Ukraine-Kriegs prägen die Messe E-World in Essen: Branchenvertreter und Bundesnetzagentur zeigen sich tief besorgt.
Als er durch die Essener Messehallen gegangen sei, habe er fröhliche Gesichter gesehen, erzählt Klaus Müller, der Chef der Bundesnetzagentur. „Die allermeisten Menschen denken gerade an die schönen Dinge des Sommers.“ Auch wenn er Freunden und Bekannten zuhöre, gehe es meist um den nächsten Freibadbesuch, den Sommerurlaub oder Grillfeste. Er hingegen laufe als „Miesepeter durch die Gegend“ und wolle jetzt „über den Winter reden“.
Es ist Müller anzumerken, dass er aufrütteln will. Scharf ist seine Wortwahl. Der Behördenchef hat das Ziel, sich Gehör zu verschaffen. Dass weniger Gas aus Russland in Deutschland ankommt, nennt er „dramatisch“. Denn die Gasspeicher, die bundesweit bis zum Winter zu 90 Prozent aufgetankt sein sollen, sind aktuell nur zu rund 58 Prozent gefüllt. Dass der russische Präsident Wladimir Putin ein Interesse daran haben könnte, Deutschlands Gasreserven zu verbessern, darf bezweifelt werden. Müller mahnt daher einen eisernen Erdgas-Einsparkurs an. Je mehr der Gasverbrauch gesenkt werde, desto eher könne in Deutschland „eine Gasnotlage“ vermieden werden.
Wenn zu wenig Gas verfügbar sei, wäre seine Behörde gezwungen, die Marktmechanismen außer Kraft zu setzen und „Gas zu rationieren, abzuschalten, zuzuweisen“, wie es Netzagentur-Chef Müller sagt. So einen Fall hat es noch nie gegeben in Deutschland.
Die Essener Messe „E-World“ wird überlagert von den Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Schon vor Wochen hat die Messegesellschaft bekanntgeben, dass russische Unternehmen in diesem Jahr von einer Teilnahme ausgeschlossen seien. Einen Stand des russischen Staatskonzerns Gazprom, der jahrzehntelang enge Kontakte zu den Ruhrkonzernen gepflegt hat, gibt es diesmal nicht unter den 730 Ausstellern aus 27 Nationen.
Eon-Vorstand: „Die Lage ist ernst“
Bemerkenswert groß ist die Fläche, die ein vom NRW-Wirtschaftsministerium unterstützter Gemeinschaftsstand einnimmt. Neben internationalen Konzernen wie Uniper, Shell oder Iberdrola haben so auch kleine Unternehmen aus der Region die Chance bekommen, sich auf der „E-World“ zu präsentieren. So auch Martin Daft, der Gründer der Hertener Firma Turbonik, die eine Mini-Turbine entwickelt hat, die unter anderem bereits in einer Molkerei zum Einsatz kommt. Die Technologie soll nicht mehr als die Standfläche einer Euro-Palette benötigen und „viel Strom aus wenig Dampf“ erzeugen, wie der 38-jährige Firmengründer Daft, ein gebürtiger Herner, verspricht.
Ein paar Stände weiter versprühen Magdalena Becker, Leon Husemann und Miles Wetekam von der Bochumer Nachhaltigkeitsberatung namens Grubengold Optimismus. Es ist ihre Premiere auf der E-World. „Wir wollen die Welt retten. Oder sie zumindest ein kleines bisschen besser machen“, verspricht das junge Bochumer Unternehmen – ein Kontrastprogramm zu den ernsten Wortbeiträgen auf den prominent besetzen Podien, bei denen die Folgen des russischen Angriffskrieges den meisten Raum einnehmen.
„Die Lage ist ernst“, sagt beispielsweise Thomas König, Vorstandsmitglied von Deutschlands größtem Energieversorger Eon. Doch ist das Deutschlands Öffentlichkeit bewusst? „Wir haben zurzeit ein Kommunikationsdefizit“, urteilt der Eon-Manager. Vielen Menschen sei „die Lage, in der wir tatsächlich sind, nicht klar“.
„Energiekosten sind der Brotpreis des 21. Jahrhunderts“
Kerstin Andreae, die Chefin des Branchenverbands BDEW, erklärt: „Wir schauen natürlich alle auf den kommenden Winter.“ Es gehe nun darum, die Gasspeicher zu füllen.
Der Chef der staatlichen Bundesnetzagentur, Klaus Müller, zeigt sich auch mit Blick auf die sozialen Folgen der Energiekrise besorgt. „Wir brauchen eine Fokussierung auf die Menschen, die es sozial nötig haben“, sagt er. Für breit gestreute staatliche Hilfen – quasi mit der Gießkanne – sei weder bei den Energiekonzernen noch bei den Steuerzahlern das Geld vorhanden. „Das muss man in aller Härte sagen. Das wird nicht finanzierbar sein“, sagt Müller.
Der Chef des Düsseldorfer Energiekonzerns Uniper, Klaus-Dieter Maubach, regt indes „progressive Tarife“ an, bei denen ein höherer Verbrauch mit massiven Kosten verbunden sei, um Energieeinsparungen zu erreichen. Er selbst, sagt Maubach, gehöre zu den Menschen, die viel Gas verbrauchen.
Der scheidende NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart mahnt, Strom und Gas müssten bezahlbar bleiben. „Die Energiekosten sind der Brotpreis des 21. Jahrhunderts“, betont Pinkwart. Der FDP-Politiker plädiert auch dafür, die drei verbliebenen Atomkraftwerke angesichts der Krisensituation länger laufen zu lassen – zumindest bis zum kommenden Frühjahr.