Düsseldorf. Beim Gas-Engpass zuerst die Industrie abschalten? NRW-Arbeitgeberpräsident Kirchhoff möchte private Haushalte und die Industrie gleichbehandeln.
Der nordrhein-westfälische Arbeitgeberpräsident Arndt G. Kirchhoff hinterfragt die geltenden Regeln für den Fall einer Gasknappheit. Dass bei einem Versorgungsengpass in Deutschland zuerst Industriebetrieben der Hahn zugedreht werden soll, gefährde Arbeitsplätze, sagte Kirchhoff vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung (WPV) in Düsseldorf. Kirchhoff plädiert dafür, private Haushalte und die Industrie gleichzubehandeln, sollte es angesichts des Krieges in der Ukraine eine Lieferunterbrechung beim Erdgas aus Russland geben.
Derzeit sind in Deutschland nicht nur Einrichtungen wie Krankenhäuser, sondern auch Haushaltkunden durch gesetzliche Bestimmungen bei der Gasversorgung besonders geschützt. In privaten Wohnungen könnten damit auch in einer Notlage die Heizungen „volle Pulle“ laufen, gibt Kirchhoff zu bedenken. Es stelle sich die Frage: „Was hilft es, wenn die Arbeiter zu Hause sitzen im Warmen und die Arbeitsplätze sind weg?“ Die Alternative sei möglicherweise, ob es in einem Haushalt zwei Grad wärmer oder kälter sei oder ein Arbeitsplatz wegfalle.
Technisch sei es kaum möglich, die Gaszufuhr bei privaten Verbrauchern zu regeln, sagt Kirchhoff. Daher gehe es in der aktuellen Lage eher um Appelle und nicht um Gesetzesänderungen. Verbraucher mit Gasheizungen könnten gebeten werden, „einen Pullover anzuziehen und ein bisschen weniger Gas zu
verbrauchen“, so der Arbeitgeberpräsident. „Ich glaube, wenn die Not wirklich groß ist, wird unsere Gesellschaft zusammenstehen.“ Es sei zudem sinnvoll, wenn die Menschen schon jetzt ihren Gasverbrauch reduzierten. „Was wir noch im Speicher lassen, das hilft schon mal, und wir müssen die Speicher noch auffüllen.“
Problematisch sei es insbesondere, wenn einzelne Betriebe bei einem Gas-Engpass von der Versorgung abgeschnitten würden, sagt Kirchhoff vor der WPV. Die Folgen könnten auch von der Politik und Behörden wie der Bundesnetzagentur kaum überblickt werden. In Deutschland basiere die Industrie auf komplexen Lieferketten. Wenn plötzlich ein kleiner Mittelständler, der zum Beispiel Gummidichtungen herstelle, nicht mehr produzieren könne, stünden womöglich anderen Unternehmen notwendige Vorprodukte nicht mehr zu Verfügung.
Sorge vor Kettenreaktion bei Gas-Versorgungsengpass
Daher sei es sinnvoller, nicht einzelne Betriebe abzuschalten, sondern die Industrie in einer Notlage zu pauschalen Kürzungen zu verpflichten. So könnte beispielsweise eine Drosselung des Verbrauchs um 20 Prozent angestrebt werden, sagt Kirchhoff. „Und die Industrie verpflichtet sich, damit klarzukommen.“ Betriebe könnten dann beispielsweise darauf verzichten, bestimmte „Luxusartikel“ herzustellen – und stattdessen lediglich Produkte, die wichtig sind, um den Betrieb bei den Kunden aufrechtzuerhalten.
Arndt G. Kirchhoff ist Familienunternehmer und ehrenamtlicher Metall-Arbeitgeberpräsident. Seine Unternehmensgruppe mit Sitz in Iserlohn gehört mit weltweit rund 13.000 Beschäftigten zu den größten mittelständischen Unternehmen der Autozuliefererbranche. Kirchhoffs Firma stellt unter anderem Müllfahrzeuge her.
Auch der Verband der Chemischen Industrie (VCI) als einer der großen deutschen Industriezweige hat bereits vor einer Kettenreaktion gewarnt, sollte es einen Importstopp von russischem Erdgas geben. Nahezu alle Branchen wie etwa Landwirtschaft, Ernährung, Automobil, Kosmetik und Hygiene, Bauwesen, Verpackung, Pharma oder Elektronik wären nach Einschätzung des VCI im Falle eines Erdgas-Embargos von einer Unterbrechung ihrer Lieferketten betroffen.