Lennestadt. Windkraftgegner aus dem Sauerland berichten, warum sie für die Energiewende, aber gegen das Zwei-Prozent-Ziel der Regierung sind.
Nicht erst seit dieser Woche ist klar, woher der Wind weht. Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien liefert die aktuelle Abhängigkeit von fossilen Brennstoffimporten dem Bundeswirtschafts- und Bundesklimaschutzminister Robert Habeck zusätzlich Argumentationshilfe, um auf maximale Beschleunigung zu pochen.
Auch wenn das Zwei-Prozent-Flächenziel beim Windkraftausbau an Land im „Osterpaket“ des Ministers nicht direkt zementiert wird, weil es noch Verhandlungsbedarf mit den Bundesländern gibt, ist ein massiver Zubau mit durchschnittlich 10 Gigawatt pro Jahr bis 2030 im Gesetzesentwurf festgeschrieben. Das funktioniert allenfalls, wenn einschränkende Hürden fallen.
Neue Zielvorgaben von Habeck
Zu Beginn der Woche flankierte Kabinettskollegin Steffi Lemke (Umweltministerin) Habecks Zielvorgabe: Die Themen Umwelt- und Artenschutz sollen bei Genehmigungsverfahren künftig offenbar im Höchsttempo abgehandelt werden. Unisono klingt dies bei den beiden Regierungsverantwortlichen bei der Vorlage eines entsprechenden Eckpunktepapiers am vergangenen Montag so kurz wie simpel: „Die Bremsklötze sind weg.“
Bürgerinitiativen laufen Sturm
Zu simpel, finden Matthias Reißner und Frank Dubberke. Die Vorsitzenden der Bürgerinitiativen „Gegenwind Olpe-Drolshagen-Wenden“ und „Rothaarwindwahn“ würden wohl am liebsten Sturm laufen. Vor dem Hintergrund drohender Energieknappheit im Kontext des schrecklichen Krieges scheint nicht nur jede Kilowattstunde zu zählen (Habeck), sondern auch ausgeruhte Analyse und vernünftige Abwägung hinten über zu fallen, fürchten die beiden Sauerländer: „Alarmismus und Aktionismus“ glauben sie in der aktuell getriebenen Debatte in weiten Teilen der Politik in Berlin und mitunter vor der eigenen Haustür auszumachen.
Der Wald soll geschützt werden
Worum geht es den Bürgerinitiativen mit nach eigenen Angaben zusammen rund 500 Mitgliedern und deren Vorsitzenden? „Wir befürchten, dass aus dem Sauerland eine Industrielandschaft wird, denn Wald, der auf natürliche Weise CO2 und Wasser speichert, ist eine endliche, nicht mehr erneuerbare Ressource ist, die seit Beginn des technischen Zeitalters bereits enorm geschrumpft ist. Daher sollte auf einen weiteren Ausbau der Landschaft zu Industriegebieten für regenerative Energien grundsätzlich verzichtet werden, solange es noch andere nutzbare Flächen gibt“, sagt Dubberke.
Es geht um den Charakter der Region
Der Geschäftsführer eines erfolgreichen mittelständischen Unternehmens, das sich in erheblichem Maße mit Lösungen für eine gelingende Energiewende beschäftigt, räumt ein, dass persönliche Betroffenheit Auslöser seines Engagements bei „Rothaarwindwahn“ war. Der Name der Initiative ergibt sich aus der Lage. Blickt Dubberke von seiner Terrasse in die Ferne, sieht er den Rothaarsteig – und eine Handvoll Windkraftanlagen. „Anfangs hat mich das überhaupt nicht gestört. Ich habe es kaum wahrgenommen“, sagt der 63-Jährige gebürtige Bremer. Nach seinem Studium und einer Zeit als Berufssoldat habe er in den 80er Jahren ganz bewusst eine neue, naturnahe Heimat wie das Sauerland gesucht: Ruhe, frische Luft, Natur pur.
Auch Reißner, gebürtiger Olper, und heute bei Drolshagen lebend, geht es darum, dass der Charakter der Region erhalten bleibt – und die Energiewende trotzdem stattfindet. Beide, Dubberke und Reißner, seien keineswegs Gegner Erneuerbarer Energien. Strahlend zeigt der 63-jährige Geschäftsmann Dubberke sein Smartphone, auf dem angezeigt wird, wie viel Strom seine Photovoltaikanlage gerade produziert, welche Verbraucher im Haus gerade wie viel Eigenstrom nutzen und wie viel für die Allgemeinheit ins Netz eingespeist wird. Die Solarthermieanlage unterstützt die Pelletheizung. Energiewende kann richtig Spaß machen. „Ich stehe voll hinter der Energiewende“, betont Dubberke.
Kritische Geister
Auch Reißner hat bereits vor rund zehn Jahren aus Überzeugung sein Dach mit Modulen ausgerüstet, sein 2002 gebautes Haus so konzipiert, dass nachhaltige Wassernutzung möglich ist und sich mit kluger, zukunftsweisender Energieversorgung seit langem beschäftigt. Hier sitzen keine Energiewendegegner, sondern kritische Geister, denen zu viele Fragen unbeantwortet bleiben. Ihre Erfahrung: Fragen zu stellen, bedeute, sich mächtig Gegenwind einzuhandeln. Das hat der 52-jährige Berufsmusiker Reißner schon bei seiner ersten Veranstaltung zum Thema Windkraftausbau in Kreis Olpe erlebt, die er im Frühjahr 2019 besuchte. „Damals hatte ich noch gar nichts gegen Windkraft, nur Fragen.“ Statt befriedigender Antworten habe es Anfeindungen von Kommunalpolitikern ausgerechnet der Grünen gehagelt.
Lukrative Geschäfte
Energiewende in Deutschland geht nur gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern und der Wirtschaft im Einklang mit der Politik. Dubberke und Reißner und die Mitglieder der Bürgerinitiativen „Rothaarwindwahn“ und „Gegenwind Drolshagen-Olpe-Wenden“ fühlen sich bei der Debatte um den richtigen Weg zu einer klimaneutralen Gesellschaft abgehängt, bei der Regionalplan-Entwicklung mit der Festlegung von Windvorrangflächen übergangen. „Ein Dialog mit Betroffenen findet nicht statt“, kritisiert Dubberke.
Weder Erderwärmung noch das aktuelle Argument Energieunabhängigkeit sollten dazu führen, nichts mehr infrage stellen zu dürfen, meinen beide. Etwa, ob das für Projektierer wie Landbesitzer lukrative Geschäft mit dem Wind nun eilig Vorrang vor allen anderen Belangen habe. Ob automatisch dort, wo bereits Windräder stehen, die Flächen für weitere Projekte genutzt werden müssten und ob es tatsächlich sinnvoll ist, auf jeder Schadholzfläche im Sauerland nun Windwirtschaft zuzulassen.
Kombinierte Lösungen suchen
Es gibt Berechnungen, nach denen selbst zwei Prozent Fläche bundesweit nicht ausreichen dürften, um 2035 eine Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien in der Bundesrepublik hinzubekommen, wie es das jetzt in Berlin ausgerufene Ziel ist.
Reißner und Dubberke und die Mitglieder in den Bürgerinitiativen, von denen es in Südwestfalen inzwischen wohl rund ein Dutzend gibt, fordern eine Energiewende mit Augenmaß, die Nutzung aller Bausteine wie Geothermie, Blockheizkraftwerke, Biogaskraftwerke – und auch der Verlängerung der Nutzung von Atomenergie aus Deutschland, wenn es sein muss, um sich von Russland unabhängig zu machen und Zeit bringt, die Energiewende mit Sinn, Verstand und mit den Bürgerinnen und Bürgern wie Reißner und Dubberke zu planen – und nicht gegen sie.