Duisburg. Trotz des Ukraine-Kriegs hat der luxemburgische Stahlkonzern Aperam ehrgeizige Wachstumspläne für den Duisburger Recycling-Spezialisten ELG.
Trotz des Kriegs in der Ukraine und der damit verbundenen Unsicherheit in der Industrie hat der luxemburgische Stahlhersteller Aperam große Pläne für den Duisburger Recycling-Spezialisten ELG. Nach dem Verkauf von ELG durch den Traditionskonzern Haniel will Aperam das Geschäft der Ruhrgebietsfirma ausbauen. „Recycling – und damit ELG – ist für uns eine Wachstumsstory“, sagt Aperam-Finanzchef Sudhakar Sivaji im Gespräch mit unserer Redaktion. „In der gegenwärtigen Lage wird umso deutlicher, wie wichtig eine funktionierende Rohstoffversorgung ist.“
Herr Sivaji, der aus Arcelor-Mittal hervorgegangene Konzern Aperam ist bislang ein lupenreiner Edelstahlhersteller. Warum hat Aperam nun von der Duisburger Haniel-Gruppe die Recyclingfirma ELG übernommen?
Sivaji: Schrott ist für uns ein sehr wichtiger Rohstoff. In Europa befinden sich unsere Stahlwerke im belgischen Genk und in Chatelet. Dort betreiben wir Elektrostahlwerke, in denen wir in großen Mengen Schrott einschmelzen damit rostfreien Stahl produzieren, beispielsweise für Hersteller von Haushaltsgeräten. ELG ist für uns wie der Zugang zu einer nachhaltigen Mine, in Europa liefert die Recyclingindustrie bis zu drei Millionen Tonnen Rohstoff pro Jahr.
Dennoch konzentrieren sich gerade börsennotierte Konzerne oft auf ihr Kerngeschäft, im Fall von Aperam ist das die Edelstahlherstellung. Ein Einstieg ins Recycling-Geschäft wirkt daher ungewöhnlich.
Sivaji: Ja, es ist nach meinem Kenntnisstand das erste Mal in unserer Industrie, dass ein Stahlhersteller ein Recycling-Unternehmen kauft. Wir sind von der Logik dieses Deals überzeugt. ELG hat sich darauf
spezialisiert, Rohstoffe für die Edelstahlindustrie aufzubereiten. Von dieser Kompetenz können wir profitieren. In unseren Schmelzwerken gehören bis zu 90 Prozent Schrott zu unserem Rohstoffmix. Durch den Einsatz von Recyclingmaterial verbessern wir unsere Umwelt- und CO2-Bilanz.
Bieten Sie auch CO2-freien Edelstahl an?
Sivaji: Bislang nicht, aber wir arbeiten daran. Wir spüren ein wachsendes Interesse bei unseren Kunden. Daher befassen wir uns mit dem Thema.
Der Aperam-Konzern, der seinen Sitz in Luxemburg hat, will nach eigenen Angaben erst im Jahr 2050 komplett CO2-neutral produzieren. In Deutschland lautet das Ziel aber 2045. Hinken Sie bei der Dekarbonisierung hinterher?
Sivaji: Schon jetzt erreichen wir mit dem Ausstoß von rund einer halben Tonne CO2 pro Tonne Edelstahl im weltweiten Vergleich einen hervorragenden Wert. Wir wollen uns selbstverständlich weiter verbessern. Bis zum Jahr 2030 streben wir eine Reduzierung unserer CO2-Emissionen um 30 Prozent an. Dabei wollen wir nicht stehenbleiben. Die Übernahme von ELG hilft uns dabei.
Ihre globale CO2-Bilanz bessern Sie als Konzern auf, indem Sie bei der Stahlherstellung in Brasilien Biomasse aus dortigen Wäldern einsetzen. Ist das aus Ihrer Sicht auch ein Modell für Europa?
Sivaji: Wir haben die in unserer Industrie einzigartige Fähigkeit, rostfreie Stähle und Spezialstähle aus kostengünstiger Biomasse herzustellen. Dabei verwenden wir Holzkohle aus eigener, anerkannt zertifizierter Forstwirtschaft. Die Logik dahinter: Unsere Wälder nehmen mehr CO2 auf als unsere Werke ausstoßen. Das funktioniert an unserem Standort in Brasilien gut, ist aber sicherlich nicht einfach auf andere Regionen übertragbar.
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Die Edelstahlherstellung ist ein globales Geschäft. Deutschlands größter Stahlkonzern Thyssenkrupp hat sich von diesem Markt verabschiedet und schon vor Jahren Werke in NRW geschlossen. Ist die Perspektive für europäische Hersteller düster, weil die Konkurrenz insbesondere aus Asien günstiger ist?
Sivaji: Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Wir sind mit unseren Werken in Belgien, Frankreich und Deutschland sehr wettbewerbsfähig. Das sind Top-Werke auf modernstem Stand der Technik, in denen wir in den letzten drei Jahren mehrere hundert Millionen Euro investiert haben. Aber der Wettbewerb ist hart. In Asien wird Edelstahl auch mit Verfahren hergestellt, die zum Teil eine deutlich schlechtere Umweltbilanz haben als europäische Werke mit bis zum achtmal schlechteren CO2-Ausstoßwerten. Dies in Europa zu berücksichtigen, ist auch eine politische Herausforderung. Eine Lösung könnte ein CO2-Grenzausgleich sein, damit Importwaren mit schlechter Ökobilanz in Europa nicht aufgrund geringerer Produktionskosten das Rennen machen.
Thyssenkrupp plant einen großen Umbau am Standort Duisburg. Die Hochöfen sollen durch riesige Anlagen ersetzt werden, die mit Wasserstoff statt Kokskohle betrieben werden. Hat Aperam ähnliche Pläne?
Sivaji: Wir haben andere Voraussetzungen. Wir produzieren mit Elektrostahlwerken, schmelzen also Rohstoffe ein, vornehmlich Schrott. Wenn wir die Versorgung auf erneuerbare Energien umstellen, können wir mit dem Einsatz von Recyclingmaterial Klimaneutralität erreichen.
Warum haben Sie die Versorgung noch nicht auf erneuerbare Energien umgestellt – zumindest zu einem Großteil?
Sivaji: Die Energiekosten müssen so sein, dass wir wettbewerbsfähig bleiben. Wir brauchen mehr und vor allem mehr bezahlbare erneuerbare Energien. Einen Teil unserer Energieversorgung können wir schon jetzt selbst decken: mit der zweitgrößten Solarinstallation in ganz Belgien auf unserem Werksgelände in Genk.
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Der Aufstieg der Wasserstoff-Wirtschaft beflügelt die Fantasie in der Stahlindustrie. So auch bei Aperam?
Sivaji: Wir erhoffen uns viel von der Wasserstoff-Wirtschaft. Beim Transport und der Lagerung von Wasserstoff wird Stahl mit speziellen Legierungen benötigt. Stärker noch als beim Erdgas wird es künftig darum gehen, Wasserstoff zu speichern. Beim Bau dieser Lagerstätten können wir ins Spiel kommen.
Bleibt es dabei, dass ihre Tochterfirma ELG mit 1200 Mitarbeitenden an 51 Standorten in 20 Ländern eigenständig bleibt – mit einer eigenen Zentrale in Duisburg?
Sivaji: Ja, ELG hat sich als Spezialist für den Handel, die Aufbereitung und das Recycling von Rohstoffen zu einem der führenden Unternehmen in der Branche entwickelt. Wir wollen das Geschäft weiter ausbauen und setzen dabei auf eine eigenständige Aufstellung von ELG. Das Unternehmen hat hohe Kompetenz bei Hochleistungswerkstoffen wie Titan und sogenannten Superlegierungen. Ich denke, auch im Zusammenhang mit der Elektromobilität ergeben sich Chancen, etwa beim Recycling von Rohstoffen, die für Batterien notwendig sind. Recycling – und damit ELG – ist für uns eine Wachstumsstory.
Ändert der Krieg von Russland gegen die Ukraine etwas an Ihren Plänen für ELG?
Sivaji: Nein, wir haben eine langfristige Strategie. In der gegenwärtigen Lage wird umso deutlicher, wie wichtig eine funktionierende Rohstoffversorgung ist. Dazu gehört maßgeblich auch Recycling. Damit stärken wir die Wertschöpfungsketten innerhalb Europas durch geschlossene Kreise.