Mülheim. Tengelmann-Chef Christian Haub äußert sich über seinen Großonkel und erklärt, warum so wenige Dokumente aus der NS-Zeit vorhanden sind.
Gemeinsam mit seinem inzwischen für tot erklärten Bruder Karl-Erivan hat Tengelmann-Chef Christian Haub die Geschichte des Mülheimer Familienunternehmens während des Nationalsozialismus aufarbeiten lassen. Christian Haub berichtet über seine Erinnerungen an seinen Großonkel Karl Schmitz-Scholl jun. und erklärt, warum so wenige Quellen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges verfügbar waren.
Herr Haub, wie ist es zu erklären, dass die historische Quellenlage des Traditionsunternehmens Tengelmann so viele Lücken aufwies?
Christian Haub: Nach dem Zweiten Weltkrieg stand in der Unternehmensgruppe der Wiederaufbau im Vordergrund, nicht die Historiendokumentation. Wie auch das Historikerteam ermittelt hat, wurde die Situation dadurch erschwert, dass Unterlagen im Krieg zerstört wurden. Überliefert ist zum Beispiel der Unfall und das Ausbrennen eines Lkw im Juni 1945, der Unterlagen aus der Ausweich-Zentrale Saalfeld zurück nach Mülheim bringen sollte. Darüber hinaus waren Dokumente und Unterlagen von unterschiedlichen Unternehmensbereichen an den unterschiedlichsten Stellen archiviert und nicht immer fachgerecht aufbewahrt worden. Mit all diesen Erschwernissen mussten die Historiker umgehen – auch ein Grund, warum die Historie nicht chronologisch und lückenlos aufgesetzt werden konnte.
Wird es als Konsequenz nun in Mülheim ein zentrales Archiv geben?
Haub: Bereits zur Unterstützung der Buchrecherche und während des Prozesses haben wir begonnen, das Archiv zu systematisieren und digitalisieren und werden das auch weiterhin tun, damit in der Zukunft keine Lücken entstehen.
Wie bewerten Sie die Forschungsergebnisse über das Wirken von Karl Schmitz-Scholl jun. während der NS-Zeit?
Haub: Zuerst einmal bin ich froh, dass wir durch diesen aufwändigen Prozess gegangen sind und die Rolle des Unternehmens und seiner Protagonisten von unabhängiger und kompetenter Seite haben aufarbeiten lassen. Es ist wichtig, sich seiner Geschichte zu stellen. Die Untersuchung hat im Kern nichts Neues gegenüber dem hervorgebracht, was uns unser Vater aus dieser Zeit bereits berichtet hatte.
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Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren Großonkel?
Haub: Ich habe leider keine persönlichen Erinnerungen mehr an meinen Großonkel, aber er wird allgemein als jemand geschildert, der für sein Unternehmen, seine Mitarbeiter und Kunden gelebt hat. In dem Buch wird das ambivalente Bild eines Mannes gezeichnet, der einerseits eine Zweckgemeinschaft mit dem Regime eingeht, um Vorteile für sein Unternehmen zu generieren. Andererseits hält er die Hand über verdiente Mitarbeiter, die drohen, ins Fadenkreuz der NS-Schergen zu geraten. Ich vermute, dass Opportunismus und scheinbare Widersprüchlichkeit damals weit verbreitet waren.
Ihr Vater Erivan Haub, der über Nacht Nachfolger von Karl Schmitz-Scholl wurde, stand für Freiheit, Ökologie und Sozialstandards. Welche Werte zählen für Sie in der Gegenwart?
Haub: Mit unseren Werten knüpfen wir nahtlos an das Werteverständnis meines Vaters und übrigens vieler Familienunternehmer an. Langfristiges Denken, nachhaltiges Wirtschaften und Wertschätzung, insbesondere gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, das steht für uns im Vordergrund. Aber auch Fairness und Transparenz gegenüber unseren Kunden, Lieferanten und Geschäftsfreunden sowie ausgeprägter Innovationsgeist sind uns wichtig. Wir wollen bewahren, aber auch sinnvoll weiterentwickeln.