Hagen. 20 Jahre Euro: Fünf Generationen aus Südwestfalen erzählen ihre Geschichte über den Euro.
Am 1. Januar 2002 wurde der Euro als neues Bargeld eingeführt. Viele Finanzexperten sprechen von einer Erfolgsgeschichte und bezeichnen den Euro trotz zurzeit hoher Inflation als „Stabilo“. Diese Meinung teilen nicht alle Deutschen. Viele sehen in ihm einen „Teuro“. Die Gespräche mit mehreren Generationen aus Südwestfalen zeigen: Geliebt wird er nicht, aber die meisten haben Frieden mit ihm geschlossen.
Der Anhänger
Der wird schon 20 Jahre alt?“ Marcel Marcon überrascht die Anfrage dieser Zeitung, über das runde Jubiläum des Euro zu reden. Er ist 22, gebürtig aus Bestwig und studiert in Dortmund an der FH Wirtschaftsinformatik. „Ich bin mit dem Euro aufgewachsen und kenne nichts anderes.“ Er habe sich nie Gedanken über die Währung gemacht. Von älteren Familienangehörigen höre er immer wieder: Früher war mit der Deutschen Mark (DM) alles besser und vor allem billiger. Er habe wenig Verständnis für solche nostalgischen Anwandlungen. Der Euro hat seiner Ansicht nach nur Vorteile gebracht. Er erinnere sich, wie unangenehm es gewesen sei, bei der Abitur-Abschlussfahrt 2019 nach Polen ständig alle Preise umzurechnen. „Ich fühle mich als Europäer.“ Und der Euro sei ein starkes Symbol für die Einheit Europas. Zu Gesicht bekäme er ihn aber selten: „Ich zahle meist mit EC-Karte.“
Die Nostalgische
Kabarettistin Anja Geuecke aus Attendorn rechnet oft um, wie viel ein Angebot in DM gekostet hätte. „Zuletzt an einem Glühweinstand, wo ich dachte: vier Euro für einen Becher, wie bitte, das sind ja acht Mark.“ Die 49-Jährige rechnet nur um, wenn sie Geld ausgibt, nicht aber wenn sie etwas erhalte, wie Lohn zum Beispiel. „Komisch“ sei das. „Oder?“ Anja Geuecke war 30, als der Euro eingeführt wurde. Damals habe sie gedacht: „Das kann doch nicht sein, dass unsere geliebte DM einfach verschwindet.“ Sie habe von jeder DM-Münze eine behalten. Auch von den Scheinen, „allerdings habe ich sie früh wieder in Umlauf gebracht“. Sie erinnert an ihre vielen Freundinnen, die Pfennige als Glücksbringer für die Brauttour in einem Glas sammelten. „All das musste weg.“ Mittlerweile habe sie ihren Frieden mit dem Euro geschlossen. „Ich sehe die Vorteile beim Reisen und für den Arbeitsmarkt“, sagt die Attendornerin und fügt hinzu: „Aber 20 Jahre haben noch nicht für eine eigene Euro-Redewendung wie ,Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Geldes nicht wert’ gereicht. Das kommt vielleicht in 100 Jahren.“
Der Pragmatiker
Martin Wiese-Wagner ist Landwirt in Eslohe. Der 59-Jährige sieht die aktuelle Währung pragmatisch: „Beim Euro habe ich das selbe Problem wie mit der DM: Man hat immer zu wenig davon.“ Der Mann hat Humor. Vor 20 Jahren habe er sich, berichtet er, noch viele Gedanken gemacht, „ob das alles gut geht“. Das habe aber von Jahr zu Jahr abgenommen. „Was vorbei ist, ist vorbei.“ All seine Bedenken hätten sich „relativiert“, sagt der Sauerländer. Der Euro habe sich als stabile Währung gezeigt. Für die Märkte sei er von Vorteil. „Ob das in Zukunft so bleibt, werden wir sehen.“
Der Kalkulierer
Für Günter Ulber aus Wilnsdorf war die Umstellung auf den Euro Teil seiner Arbeit. Der 77-jährige Siegerländer hat in einem metallverarbeitenden Unternehmen, das Produkte für die Baubranche herstellt, im Vertrieb-Marketing-Bereich gearbeitet und musste dort „alles neu kalkulieren“. „Die DM-Beträge wurden linear in Euro umgerechnet. Ein Euro war 1,95583 DM wert und musste dann nach kaufmännischen Regeln auf zwei Nachkommastellen auf- bzw. abgerundet werden.“ Damals habe die Firma Entscheidungen treffen müssen, wie die Kunden bei der Preisumstellung fair behandelt werden können. Natürlich habe es in so mancher Branche schwarze Schafe gegeben, die sich einen schnellen Euro verdienen wollten. Vor allem Möbel seien bald sehr teuer geworden. Seine Generation sei in den Wirtschaftswunderjahren in den 1950er Jahren groß geworden. Da überrascht es nicht, dass er seinen Enkeln immer wieder einmal seine gesammelten DM-Münzen und -Scheine zeigt. „Ich erkläre ihnen gerne, was die Symbole wie das Eichenblatt bedeuten.“ Zurzeit bereite ihm die Inflation Sorge. Allgemein, sei er ein Typ, der immer auf der Suche nach Sicherheit ist. „Das war mit einem 50-Mark-Schein in der Tasche so und das ist mit einem 50-Euro-Schein ebenso der Fall.“
Die Gelassene
Helene Lange mag den Euro. Die 91-Jährige aus Schwerte sagt es frei heraus. Die ehemalige kaufmännische Angestellte bezeichnet sich als Kriegskind. „Ich war neun Jahre alt, als er (der Zweite Weltkrieg) ausbrach.“ Die Seniorin erinnert sich an den Fliegeralarm, die Zeit im Luftschutzkeller. „Wir haben alles über uns ergehen lassen. Wir konnten ja auch nichts anderes tun.“ Der DM weine sie nicht nach. „Nützt ja auch nichts.“ Ja, sie habe sich mit dem Euro angefreundet. Es habe allerdings eine Zeit gebraucht, gibt sie zu, bis sie sich an die neuen Münzen und Scheine gewöhnt habe. An ihre erste erlebte Währungsreform, die am 20. Juni 1948 in Kraft trat, kann sie sich kaum erinnern. Nur dass jeder Bürger an diesem Tag 40 Reichsmark gegen 40 DM eintauschen konnte. Am Ende des Tages, erzählt die Seniorin, die in einem Altenheim der Diakonie Mark-Ruhr lebt, hätten nicht alle Bürger die gleiche Summe mit nach Hause gebracht. Eine Rückkehr zur DM findet Helene Lange „ein Hirngespinst: Es gibt Dinge, die man nicht ändern kann.“
>>> Hintergrund <<<
Vergessen in Taschen und Einkaufstüten oder versteckt im Bücherregal: Auch zwanzig Jahre nach der Einführung des Euro-Bargeldes sind DM-Scheine und Münzen im Milliardenwert noch nicht zurückgegeben. Nach Angaben der Deutschen Bundesbank belief sich der Gesamtwert Ende November auf 12,35 Milliarden Mark (6,31 Mrd. Euro).
Die Bürger in Nordrhein-Westfalen brachten 2021 insgesamt rund 7,7 Millionen Mark in die NRW-Filialen der Deutschen Bundesbank. Über 5400 Wechselvorgänge verzeichneten die Banker.
Der Wechselkurs ist unverändert: Einen Euro bekommt man für 1,95583 DM.