An Rhein und Ruhr. Noch immer gibt es Bewerber ohne einen Ausbildungsplatz – offene Stellen gibt es noch mehr. Im Einzelfall hilft diese Rechnung allerdings nicht.
Ein warmer Septembertag in der Essener Innenstadt. Bei einem Spaziergang durch die Fußgängerzone kann nicht nur an zwei mobilen Impfstationen bei der Bekämpfung der Pandemie geholfen werden. Auch die Agentur für Arbeit Essen steht an diesem Tag mit fünf Beratern bereit und versucht, potenziellen Auszubildenden in ihrer Findungsphase weiterzuhelfen.
Das Ausbildungsjahr hat längst begonnen. Manche Azubis starteten bereits am 1. August in die Ausbildung. Andere klassisch zum Stichtag 1. September. Allerdings können Jugendliche und junge Erwachsene auch noch später einsteigen. „Am 15. Februar ist der späteste Zeitpunkt für das Ausbildungsjahr“, erklärt Nils Heinen-Kock, Teamleiter der Berufsberater.
Man kann noch einsteigen
Der Zeitpunkt sei fast egal, sofern das zwischen dem Arbeitgeber, der Berufsschule und dem Auszubildendem vernünftig abgestimmt werde. Fördermöglichkeiten für verpassten Schulstoff gebe es auch.
Die Arbeitsagentur in Essen lud explizit noch Unvermittelte zum offenen, zwanglosen Gespräch ein. Zusammen mit der spontanen „Laufkundschaft“ ergaben sich rund 180 Beratungsgespräche, darunter bereits 40 in der ersten Stunde. Allein in Essen gibt es laut der Berater noch 500 offene Ausbildungsstellen, vor allem im medizinischen Bereich oder in Handelsberufen.
Laut der Bundesagentur für Arbeit gab es Ende August noch 19.000 Bewerber in ganz NRW, die weiterhin einen Ausbildungsplatz suchen. Diese potenziellen Auszubildenden treffen mit 27.700 auf eine weitaus höhere Zahl an offenen Stellen.
Es gibt noch viel Zurückhaltung
Für den Bereich der IHK Duisburg, Wesel, Kleve kommen etwa 1500 Bewerber auf rund 2000 offene Stellen. „Wir haben einen Überhang an freien Stellen“, teilt Leiter der Aus- und Weiterbildung Matthias Wulfert mit. Mit den Zahlen habe man aber bisher noch nicht das Niveau aus der Zeit vor Corona erreicht. „Wir erholen uns nur langsam“, erklärt Wulfert.
Noch sei Zurückhaltung zu spüren, potenzielle Auszubildende haben Bedenken, ob die Branchen wieder sicher wirtschaften können. Rein rechnerisch würde sich für alle noch nicht Versorgten eine Möglichkeit bieten. Theoretische Rechnungen helfen jedoch nicht, wenn es praktisch bisher einfach nicht funktioniert hat.
Melisa Akyüz aus Essen ist 20 und hat 2019 ihr Fachabitur mit einer Spezialisierung im Bereich Mediengestaltung absolviert. Mittlerweile ist sie schon zwei Jahre auf der Suche nach einer passenden Lehre. 150 Bewerbungen für eine Ausbildung als Mediengestalterin haben nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Nur zwei weiterführende Gespräche haben sich ergeben, leider ohne positiven Ausgang.
Psychischer Druck
„Das hat mich fertig gemacht“, erzählt Akyüz. Sie plagten große Selbstzweifel: „Ständig fragt man sich, was man denn bisher falsch gemacht hat.“ Dann Ende 2020 hat sie sich jedoch vom ursprünglichen Berufswunsch gelöst, da auch ihre Berater bei der Agentur für Arbeit keine wirklichen Chancen mehr gesehen haben.
Woran es lag, wisse die Essenerin nicht, laut ihrer Berater seien ihre Bewerbungsunterlagen gut gewesen und auch ihre Noten waren nicht schlecht. Akyüz kann nur Vermutungen anstellen: „Vielleicht ist es auch mein Erscheinungsbild, ich sehe sehr viel jünger aus als ich bin.“
Eisenbahnerin statt Mediengestalterin
Mit dem Programm AsA flex (Assistierte Ausbildung flexibel) hat sie sich nun umorientiert und würde gerne Eisenbahnerin werden. „Ich finde spannend, dass man als Lokführerin so viel Verantwortung trägt und auch viel unterwegs ist“, beschreibt sie. Nun hofft Melisa Akyüz, dass sie demnächst zumindest schon mal ein Praktikum in diesem Bereich beginnen kann. Ende des Monats hat sie ein Bewerbungsgespräch.