Hagen. Katastrophen-Experte Julius Weitzdörfer spricht über Mängel des Warnsystems und erklärt, warum Deutschland noch von anderen Ländern lernen kann.

Mit Katastrophen kennt sich Prof. Dr. Julius Weitzdörfer aus. Er forscht seit vielen Jahren zu diesem Thema und hat sich auf das Katastrophenmanagement in Japan spezialisiert. Seit Ende letzten Jahres lehrt er an der FernUniversität Hagen. Wir sprechen mit ihm über das Jahrhundertunwetter und die Mängel des Katastrophenwarnsystems und er erklärt, was Deutschland noch von anderen Ländern lernen kann.

Extremwetterverhältnisse sind kein neues Phänomen. Es ist bekannt, dass sich solche Ereignisse durch den Klimawandel häufen werden. Hätten wir also besser auf die Unwetterkatastrophe vorbereitet sein müssen?

Wir sind bei weitem nicht so gut vorbereitet gewesen, wie man das angesichts der Informationslage hätte erwarten können. Da ist zum einen die Vorbereitung der Bevölkerung. Es gibt detaillierte Ratschläge und Empfehlungen vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz, wie man sich schützen kann, zum Beispiel was die Bevorratung von Trinkwasser und Lebensmitteln betrifft. Aber diese Hinweise sind leider bei der Bevölkerung kaum bekannt. Zum anderen gibt es die institutionelle und politische Seite. Es ist kein Geheimnis, dass in Deutschland der Bevölkerungsschutz und die Katastrophenvorsorge seit Ende des Kalten Krieges vernachlässigt worden sind, gerade angesichts der Tatsache, dass die Risiken solcher Extremwetterereignisse steigen.

Prof. Dr. Julius Weitzdörfer ist Professor an der FernUniversität Hagen
Prof. Dr. Julius Weitzdörfer ist Professor an der FernUniversität Hagen © FernUniversität Hagen

Gibt es konkrete Dinge, die hätten anders laufen müssen?

Das Warnsystem hat insgesamt und flächendeckend nicht voll funktioniert. Es scheint die Informationen sind entweder nicht oder nicht rechtzeitig bei der Bevölkerung angekommen oder wurden nicht richtig verstanden. Dabei ist die Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit dieser Systeme das allerwichtigste, wenn es um den Schutz von Menschenleben geht. Das haben auch Erfahrungen in meinem Forschungsgebiet, dem Risikomanagement in Japan, gezeigt.

Sollte sich Deutschland bei der Katastrophenwarnung also an anderen Ländern orientieren?

Ich glaube, dass die Beispiele Japan und Israel für uns lehrreich sein können. In Israel ist die Vorbereitung der Bevölkerung auf einem weltweit einzigartigen Niveau. Da ist der Vorbereitungsgrad einfach besser und die Warnsysteme sind hochmodern. Auch in Japan gibt es Frühwarnsysteme, die sehr gut funktionieren. Daran muss sich auch Deutschland messen lassen.

Vieles hängt von der Elementarschadenversicherung ab

Angenommen es wurden beim Katastrophenmanagement Fehler seitens des Staates oder der Behörden gemacht. Würden sich daraus rechtliche Konsequenzen ergeben?

Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich im Falle konkreten Versagens Fragen der Staatshaftung stellen könnten. Das gilt für Schäden, die zumutbar verhinderbar gewesen wären und bei denen es eine Schutzpflicht des Staates gegeben hätte, dies auch zu tun. Es lässt sich derzeit noch nicht beurteilen, inwieweit das in diesem Fall wahrscheinlich ist. Es ist aber ein globaler Trend, dass für Naturkatastrophen Menschen verantwortlich gemacht und zunehmend vor Gericht gezogen werden.

Viele Opfer der Flutkatastrophe stehen vor dem Nichts und fragen sich: Bleibe ich auf den Kosten sitzen oder kümmert sich die Versicherung?

Vieles hängt davon ab, ob Betroffene eine Elementarschadenversicherung abgeschlossen haben. Und selbst wenn man diese hat, heißt das nicht, dass die Versicherung alle Schäden deckt, weil bestimmte Schäden ausgeschlossen sind oder eine Höchstdeckungssumme vereinbart worden ist.

Muss hier der Staat finanziell helfen?

Die Politik hat schnell großzügige und unbürokratische Hilfen versprochen. Es wird sicher Zahlungen geben, die über das normale staatliche Sicherungssystem hinausgehen. Hier stellt sich aber die Frage der Verteilung: Sollte man z.B. eine Kopfpauschale einführen oder sollte sich die Hilfe an der Höhe des Schadens bemessen? Das sind schwierige Gerechtigkeitsfragen.

Experte: Klimafolgenfonds hätte Vorteile

Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hatte schon vor einigen Wochen von einem „Klima-Anpassungsfonds“ gesprochen, der Menschen, die aufgrund klimabedingter Ereignisse geschädigt wurden, finanziell unterstützen soll…

Ein Klimafolgenfonds auf Bundesebene hat den Vorteil, dass er über die gestaffelten Steuersätze gerechter erhoben wird: Starke Schultern tragen mehr, weil sie mehr Steuern zahlen müssen. So würden auch Betroffene, die sich keine Versicherung leisten können, Zahlungen erhalten. Der Vorteil der Versicherung ist hingegen, dass die Beiträge risikogerecht erhoben werden – wer zum Beispiel direkt an einem Fluss wohnt, muss ggf. eine höhere Prämie zahlen. So wird belohnt, wer an einem „sichereren“ Ort wohnt. Außerdem haben hohe Prämien eine Signalfunktion: Achtung, vielleicht sollte ich hier doch nicht mein Haus bauen. Staatliche Fonds bieten wenig Anreize, das konkrete Risiko zu reduzieren.

Von Harvard und Cambridge nach Hagen

Prof. Dr. Julius Weitzdörfer ist 39 Jahre alt und ist gebürtiger Pfälzer. Er hat Japanologie und Jura studiert und sich dann vor einigen Jahren auf das Katastrophenmanagement in Japan spezialisiert.

Seit vergangenem Jahr lehrt er als Juniorprofessor Japanisches Recht an der FernUniversität Hagen.

Zuvor war er bereits am Darwin College in Cambridge und an der Harvard Kennedy School of Government sowie für das Kompetenzzentrum Japan am Max-Planck-Institut tätig.

Wohnhaft ist Julius Weitzdörfer in Leipzig.

Ist es aber nicht so, dass die Menschen, die in Risikogebieten wohnen, oft gar keine Elementarversicherung abschließen können?

Dass Versicherer einen Vertrag ablehnen, ist vielleicht bei einem Prozent so, in Gegenden, wo es in den letzten drei Jahren mehrfach Überflutungen gab. Das Problem ist eher die Frage, wie man sich dort die hohen Beiträge leisten können soll. Leider ist es häufig so, dass von Naturkatastrophen bedrohte Orte eher von Menschen bewohnt werden, die ärmer sind.

Auch in unserer Region wurden vor allem ärmere Menschen von der Katastrophe getroffen.

Das ist ein globales Phänomen, das ich auch in Japans Küstenregionen erforscht habe. Dafür gibt es leider keine einfache, einzelne Lösung. Teilweise ist auch die bittere Wahrheit: Es ist nicht mehr wirtschaftlich, an bestimmten Orten zu leben. Das ist ein Teufelskreis – wer arm ist, kann sich keine teure Versicherung leisten und wird von Katastrophen umso schwerer getroffen. Deshalb gibt es auch gute Argumente für staatliche Hilfsfonds. Die würden jedoch langfristig sehr teuer werden, da sich solche Extremwettereignisse häufen werden.

Unterstützung in der Krise: Ein Wahlkampfthema?

Wie handhaben andere Länder denn die finanzielle Krisenunterstützung?

Die meisten Staaten, die ein gut ausgebautes Versicherungssystem für Naturkatastrophen haben, nutzen ein Hybridsystem zwischen staatlichen und privaten Lösungen. Das hat damit zu tun, dass die Schadensrisiken womöglich in naher Zukunft Dimensionen annehmen werden, die für Rückversicherer finanziell zu umfangreich, zu wenig gestreut oder zu schwer einzuschätzen sind. Daher tritt der Staat auf den Plan und übernimmt in letzter Instanz einen Teil der Haftung mit. So ist es auch in Japan. So oder so wird eine Art der staatlichen Finanzierung erforderlich sein – sei es durch einen Fonds oder eine Pflichtversicherung, die dann durch den Staat mitgedeckt werden muss.

Glauben Sie, dass das auch im anstehenden Wahlkampf ein Thema sein wird?

Früher oder später geht es immer um Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen. Die Diskussion wird an Intensität gewinnen, wenn es um die Frage geht, wer das künftig alles bezahlen soll. Schon heute richten Gerichte weltweit den Blick auch bei Haftungsfragen auf die Verursacher des Klimawandels. Hier sind noch mutige politische Entscheidungen erforderlich.