Kreis Kleve. Umweltverbände bemängeln, dass der Umbau der Gewässer jahrelang vernachlässigt und verschleppt worden ist. Behörden zeigten Desinteresse

Das Papier stammt vom 22. Juni und erhält nach der Flutkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz eine ungeahnte Brisanz. Die Stellungnahme der Umweltverbände Nabu, BUND und der Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt (LNU) zum Entwurf des nordrhein-westfälischen Bewirtschaftungsplans zur Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtline enthält enormen Sprengstoff, der sich kurz zusammenfassen lässt: Seit vielen Jahren wird der Gewässerschutz systematisch vernachlässigt und verschleppt.

Blutleere Tabellen und Technokratie

Der Umbau von Gewässer erfolgt viel zu langsam. Fast schon vorbildlich ist die Arbeit des Deichverbandes Kleve - Landesgrenze. Hier der Deichgräf Julius Meisters an einem Entwässerungskanal in Kranenburg, der aufgeweitet wurde.
Der Umbau von Gewässer erfolgt viel zu langsam. Fast schon vorbildlich ist die Arbeit des Deichverbandes Kleve - Landesgrenze. Hier der Deichgräf Julius Meisters an einem Entwässerungskanal in Kranenburg, der aufgeweitet wurde. © NRZ | AG

An Deutlichkeit lässt das 220 Seiten starke Papier nichts zu wünschen übrig. Die von der EU vorgegebenen Ziele zum Umbau der Gewässer werden auch bis 2027 nicht erreicht, weil es keinen notwendigen Rückenwind in der Gesellschaft gebe. Die Verbände stellen fest, dass die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie „in blutleere Tabellen, in Technokratie und Bürokratismus erstarrt ist. Statt den Gewässerschutz von den Menschen her zu denken, wird der Gewässerschutz aus der Sicht der Verwaltung betrieben“, heißt es.

Seit 2009 sind die europäischen Staaten gehalten, die Gewässer in einen guten ökologischen Zustand zu versetzen. Das heißt auch, die Gewässer notfalls umzubauen, damit sie zum Beispiel Starkregen besser verarbeiten können und mehr Wasser in der Fläche gehalten wird. Dies alles ist bislang nicht oder nur schleppend geschehen.

EU hat Gewässerschutz mehrfach bemängelt

Seit 2009 habe man zuerst „die tiefhängenden Trauben“ geerntet, so die Umweltverbände: „Realisiert wurden Maßnahmen, gegen die sich wenig Widerstand aufgebaut hatte und die vergleichsweise preisgünstig und schnell umgesetzt werden konnten.“ Folge: Die Maßnahmen, die jetzt bis 2027 getroffen werden müssen, seien teuer, politisch heikel, umstritten, flächenintensiv und bautechnisch ambitioniert.

Die EU habe mehrfach bemängelt, dass der Gewässerschutz in Deutschland nur schleppend vorankommt. Die Wasserbehörden scheiterten am Desinteresse oder gar am Widerstand anderer Behörden, anderer Verwaltungen und Politikbereiche, so die Umweltverbände. Dazu zählten die Landwirtschaft, der Verkehr, der Bergbau, die Infrastruktur und die Rohstoffförderung.

Desinteresse oder gar Widerstand

Dabei verfolgen die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie genau das, was heute im Lichte der Flutkatastrophen gefordert wird: Die Abflussmengen werden ungleichmäßiger, und es gibt eine Zunahme von Starkregen, was ein gutes Wassermanagement besser regeln könnte. Die Naturschutzverbände erinnerten bereits im Juni daran, dass den durch den Klimawandel veränderten Verhältnissen durch eine stringentere Wasserbewirtschaftung begegnet werden müsse. Das von der NRW-Landesregierung vorgelegte Maßnahmenprogramm lasse diesen Willen nicht erkennen.

An den deutschen Zuflüssen der Maas wurde bislang wenig gemacht. Im niederländischen Ottersum ist eine riesige Seenlandschaft entstanden.
An den deutschen Zuflüssen der Maas wurde bislang wenig gemacht. Im niederländischen Ottersum ist eine riesige Seenlandschaft entstanden. © NRZ | Andreas Gebbink

So werde weiterhin verzögert und verschleppt. Ein Beispiel: Rund 55 Prozent aller 750 Maßnahmen für die Region Maas-Nord sollen erst bis 2033 oder sogar 2039 umgesetzt werden. Den Naturschutzverbänden fällt auf, dass Abwassermaßnahmen meist gesetzeskonform bis 2024 umgesetzt werden, jedoch hydromorphologische Maßnahmen, also die Anpassung von Gewässerstrukturen, auf die lange Bank bis 2039 geschoben werden sollen.

Verbesserungen der Straßenentwässerung jahrelang verschleppt

Bemängelt wird zum Beispiel, dass man Straßen NRW zur Verbesserungen der Straßenentwässerung bis 2039 Zeit gegeben habe. Dies beträfe unter anderem die Regionen von Ems, Lippe, Emscher, Weser und Erft. Bereits im Juni bemängelten die Verbände, dass sich die Umbauarbeiten von Erft, Ems, Weser, Wupper, Emscher, Deltarhein und Maas-Nord bis 2045 hinziehen können. Obwohl die Umsetzungsfrist eigentlich bis 2027 gesetzt ist. Seit 2009 hatte man dafür Zeit.

Beschämend seien auch die Maßnahmen zum Rückhalt von Wasser in der Fläche. Von 1727 Gewässern habe man bislang nur 43 Maßnahmen umgesetzt: „Das kann unmöglich ausreichen, um zumindest einige Folgen des Klimawandels wie die zurückgehende Grundwasserneubildung abzumildern“, schrieben die Umweltverbände im Juni. Seit Jahren weise man darauf hin, dass eine nachhaltige Wasserwirtschaft sich verstärkt auf den Wasserrückhalt in der Fläche konzentrieren müsse. Dazu gehören die Wiederherstellung von Auen, Mooren, Feuchtgebieten und die Wiederanbindung von Nebengewässern und Altarmen.

Behörden ducken sich bei Problemen weg

Beim Thema Absenkung des Grundwasserspiegels im Rheineinzugsgebiet würden sich Behörden konsequent „wegducken“ und Probleme erst gar nicht angehen. Die niedrigen Grundwasserstände würden als „wetterbedingt“ abgetan, und in den Bewirtschaftungsplänen wurden die Grundwasserkörper am Niederrhein von „mengenmäßig schlecht“ auf einmal als „gut“ eingestuft – obwohl de facto keinerlei Verbesserungen erkennbar seien.

>> Kaum Maßnahmen gegen sinkende Grundwasserstände

Pro Jahr sinke der Grundwasserspiegel am unteren Niederrhein um 1,14 Zentimeter. Zwischen 1983 und 2009 seien dies 30 Zentimeter gewesen, heißt es.

Die Böden trocknen so schneller aus und nehmen kaum Regen oder Starkregen auf. Getan werde wenig, um diese Entwicklung aufzuhalten, so die Umweltverbände weiter. Im Gegenteil: Im Kreis Kleve seien von 2018 bis 2020 über 500 Grundwasserentnahmen von Industrie und Landwirtschaft genehmigt worden.