Essen. Die Essener Zeche Zollverein wird digital und will so die Folgen der Pandemie abfedern. Was Stiftungschef Noll mit dem Welterbe vorhat.

Die Zeche Zollverein in Essen ist ein Magnet für Touristen, Kulturliebhaber und Konferenzteilnehmer. Wegen der Corona-Pandemie ruht das Leben auf dem riesigen Welterbe-Areal weitgehend. Stiftungschef Hans-Peter Noll erklärt im Gespräch mit Frank Meßing, warum seine großen Veranstaltungshallen gerade jetzt so gefragt sind und wie er das alte Bergwerk digitalisiert.

Herr Noll, die Zeche Zollverein ist ein riesiger Ort für Kultur, Freizeit und Wirtschaft. Wie hart trifft die Corona-Krise das Welterbe und Ihre Stiftung?

Hans-Peter Noll: Unsere Gastronomie und das Hotel leiden natürlich massiv darunter, dass sie über weite Strecken schließen mussten. Das gilt auch für das Ruhrmuseum. Unter dem Strich haben wir im vergangenen Jahr durch fehlende Veranstaltungen 1,4 Millionen Euro verloren. Das Geld müssen wir jetzt an anderer Stelle wieder einsparen.

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Als Spaziergänger konnte man aber beobachten, dass während des Lockdowns dennoch auf Zollverein gearbeitet wurde.

Wir haben die Zeit genutzt, um Wege zu pflastern und Ordnung zu schaffen. Da ist viel passiert. Der Vorteil war, dass wir durch die Arbeiten den laufenden Betrieb nicht stören mussten.

Zollverein will demnächst die achte Veranstaltungshalle in Betrieb nehmen. Gehen Sie davon aus, dass es bald wieder große Events geben wird?

Mit Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 gingen die Veranstaltungen bei uns über Nacht auf nahezu null. Seit dem Sommer, als sich das Infektionsgeschehen abflachte, registrierten wir aber wieder eine steigende Nachfrage. Unternehmen suchen große Locations, in denen sie Events mit Abstand organisieren können. Inzwischen proben auch Theater in unseren Hallen. Wir haben ein TV-Studio eingerichtet, um Videokonferenzen anzubieten. Da haben wir ein Alleinstellungsmerkmal. Trotz allem bleibt die Lage aber traurig.

Hans-Peter Noll, Vorstandsvorsitzender der Essener Stiftung Zollverein.
Hans-Peter Noll, Vorstandsvorsitzender der Essener Stiftung Zollverein. © Andreas Buck / FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Experten erwarten, dass die Zukunft der Veranstaltungsbranche hybrid – also eine Kombination aus Gästen vor Ort und virtuell zugeschalteten – sein wird. Ist Zollverein auf diesen Trend vorbereitet?

Wenn das Coronavirus etwas Gutes haben sollte, dann ist es das hohe Tempo, das die Digitalisierung von Zollverein im vergangenen Jahr aufgenommen hat. Weil wir keine Führungen anbieten dürfen, sind wir dabei, neue Formate der Kundenbindung über das Smartphone oder das Tablet zu entwickeln. Dabei spielt uns in die Hände, dass das 100 Hektar große Welterbe-Areal an das Glasfasernetz angeschlossen ist und an diesem historischen Ort bereits das 5G-Netz funkt. Das können auch die ansässigen Unternehmen und natürlich die Besucher nutzen.

Schließen sich Bergbau-Vergangenheit und virtuelles Erlebnis nicht aus?

Ganz im Gegenteil. Zollverein steht wie kein anderes Welterbe für Wandel und Transformation. Wir sind eben nicht nur Denkmal wie die Pyramiden von Gizeh, die als Grabstätten gebaut wurden und heute noch Grabstätten sind, die Touristen besuchen können. Hier in Essen ist das anders. Auf der stillgelegten Zeche arbeiten inzwischen wieder 1500 Menschen. Hier wird studiert und geforscht. Hier gibt es Kulturveranstaltungen und hier verbringen Menschen ihre Freizeit. 2019 hatten wir 1,5 Millionen Besucher auf Zollverein.

Wie digitalisiert man ein Welterbe?

Wir haben eine App entwickelt, die demnächst auf den Markt kommen wird. Sie ermöglicht eine einfache Orientierung auf unserem riesigen Gelände, bietet aber auch Informationen zur historischen und aktuellen Nutzung der Hallen, Rundgänge – zum Beispiel ein eigener für Kinder – und Augmented-Reality-Elemente (computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung, d. Red.). Daneben entwickelt unsere Standortvermittlung Angebote, die den Schwerpunkt auf Unterhaltung und das Erleben des Welterbes legen. App-basiert sind das zum Beispiel eine digitale Schnitzeljagd, eine Bilderjagd, ein Fitnessangebot, eine Online-Führung für Gruppen durch unseren Denkmalpfad.

Wird die Zeche Zollverein denn auch virtuell wieder Kohle fördern?

Wir haben einen dreidimensionalen digitalen Zwilling gebaut. Über Augmented-Reality-Angebote fahren hier wieder Züge auf den Gleisen zur Kokerei und laufen Kumpel über das Gelände. Auf dem Denkmalpfad kann man auf diese Weise den Weg der Kohle aus dem Schacht bis zur Verladung verfolgen. Man kann virtuell durch hohe Türme gehen.

Digitalisierung erfordert am Anfang hohe Investitionen. Lässt sich mit virtuellen Veranstaltungen am Ende auch Geld verdienen?

Zollverein muss als Standort im Gespräch bleiben und auch für ein jüngeres Publikum interessant sein. Das ist unser Ziel. Man muss digital auffindbar sein. Für die App erhalten wir Unterstützung von der Landesregierung. Und natürlich werben wir auch Geld ein – etwa von der RAG-Stiftung oder der König-Baudouin-Stiftung. Im ersten Schritt werden wir durch virtuelle Angebote keine großen Einnahmen erzielen. Wir müssen aber auch zeitgemäß bleiben und dürfen nicht aussterben. Zollverein war vor seiner Schließung das modernste Bergwerk weit und breit. Allein schon durch seine Bauhaus-Architektur steht es für Moderne. So soll es auch bleiben.