Hemer.
Die Bauwirtschaft boomt scheinbar unberührt von der Corona-Pandemie. Die Zinsen sind weiter niedrig, der Bedarf an Wohnraum hoch. Das merkt das Hemeraner Unternehmen Verfuß, das mit rund 100 Mitarbeitern auf zahlreichen Baustellen unterwegs ist, überwiegend in Nordrhein-Westfalen. „Aktuell haben wir etwa 30 größere Baustellen und ungefähr 50 kleinere. Im Schnitt sind es ein paar hundert im Jahr“, sagt Geschäftsführer Georg Verfuß.
Das Bauunternehmen hat Tradition, im kommenden Jahr wird es 150 Jahre alt. „Bis jetzt ist noch nichts eingestürzt, was wir gebaut haben“, bemerkt der Unternehmer. 1872 legte der Maurer Christian Josef Verfuß mit seinem Bruder den Grundstein und gründete das „Baugeschäft“, das vom Urenkel Georg Verfuß heute in der vierten Generation gelenkt wird. „Wir kommen vom Mauern und der Verarbeitung von Stahlbeton.“ Bis zu 80, 90 Maurer waren früher in Hemer beschäftigt, heute sind es noch 35. Dafür zahlreiche Ingenieure, die sich um die Projekte kümmern. Noch findet Verfuß auch Nachwuchs. „Aber Fachkräftemangel ist unser Thema in Südwestfalen“, sagt der Unternehmer aus Erfahrung.
Wohnungen im Weltkriegsbunker
Es geht immer um Hochbau und gern auch um die Spezialität: Sanierung von denkmalgeschützten Gebäuden wie am Kölner Rheinauhafen, wo eine alte Zollhalle saniert wurde. „Gerade haben wir eine Baustelle in Krefeld. Da wandeln wir einen alten Weltkriegsbunker in Eigentumswohnungen um“, erwähnt Verfuß. Die Spannbreite der Projekte ist weit und umfasst auch Neubauten wie die zehn Doppelhäuser nach neuesten Standards auf einem alten Mendener Sportplatz im Ortsteil Lendringsen. Wohnungsbau sei ungebrochen stark. Die Nachfrage steige nicht nur in Ballungszentren, sondern mittlerweile auch in mittelgroßen Städten.
Der Traum vom Eigenheim – er lebt. „Die Wohnungsnot ist in Städten wie Köln erdrückend, aber auch in Hemer oder Menden ist es nicht mehr so einfach, etwas zu finden“, erklärt der Experte, der durchaus kritische Töne für die eigene Branche übrig hat: „Ich denke, der Flächenverbrauch kann nicht mehr so weitergehen wie in der Vergangenheit.“
Auch mit Blick auf die hochaktuellen Themen wie Nachhaltigkeit und Klimawandel hat Verfuß feste Standpunkte. Die Energieeffizienz bei Neubauten sei ziemlich ausgereizt. Da sei die Branche sehr weit und die Grenze der Wirtschaftlichkeit allmählich erreicht, wenn es um neue Techniken gehe.
Nachhaltigkeit bei Baustoffen sei ein großes Thema, etwa die Betonherstellung mit weniger Emissionen als heute oder auch der Einsatz von Holz als Baustoff, der an Bedeutung gewinne. „Der große Schatz der Energieersparnis ist aber woanders zu finden. Im Bestand“, sagt der Unternehmer.
Dass die Branche boomt, bedeutet nicht, dass der Konkurrenzdruck nachlässt. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, musste auch das Hemeraner Unternehmen irgendwann einfache Arbeiten an Subunternehmen vergeben und hat begonnen, selbst stärker auf Ingenieurdienstleistungen zu setzen. Vor allem im Rohbau kämen die Beschäftigten häufig vom Balkan oder aus Italien. „Es gibt Marktteilnehmer, die nur billig, billig bauen. Das tun wir nicht“, betont der Geschäftsführer. Und: „Wir haben nun fast 150 Jahren nicht ein einziges Verfahren bekommen.“
Georg Verfuß redet offen, wenn es um Missstände am Bau geht, die letztlich wegen Schwarzarbeit nicht nur Steuergelder kosten, sondern auch den Wettbewerb für heimische und ehrliche Firmen verzerren.
Tests nach den Weihnachtsferien
Bis ins Jubiläumsjahr 2022 hat Verfuß die Auftragsbücher voll. „Die Krise wird uns auch einholen. Irgendwann. Nächstes Jahr noch nicht, aber 2023 könnte schon sein.“
Tatsächlich hat die Pandemie längst Auswirkungen auf die Arbeit am Bau, auch wenn viel an der frischen Luft stattfindet. Das Unternehmen hat für die Büros und Sozialräume auf den Baustellen mittlerweile doppelt so viele Container. Auch bei Dixiklos und Waschstellen wurde aufgestockt. Wechselschichten für die Pausen wurden verabredet, mehr Fahrzeuge für Transporte zu den Baustellen eingesetzt. Und nach den Weihnachtsferien wurde allesamt getestet. „Das war viel Organisation, auch mit hohen Kosten verbunden, aber das Testen finde ich total wichtig.“ Dabei geht es auch darum, die vereinbarten Termine einhalten zu können – sonst wird es nämlich für das Bauunternehmen noch teurer. Ganz unberührt von Corona bleibt die Branche eben doch nicht.