Essen. Thyssenkrupp-Chefin Merz und ihre beiden Vorstandskollegen erhalten eine Sondervergütung. Aktionärsvertreter reagieren mit scharfer Kritik.
Der Vorstand des angeschlagenen Essener Traditionskonzern Thyssenkrupp erhält mitten in der Corona-Krise eine „Sondervergütung“ für die Arbeit im Geschäftsjahr 2019/2020. Das geht aus der Bilanz des Unternehmens hervor. Zur Begründung heißt es, der Vorstand habe „Außergewöhnliches geleistet“, so etwa beim Verkauf der Aufzugsparte. Daher bekomme Vorstandschefin Martina Merz aufgrund einer Entscheidung des Aufsichtsrats eine einmalige Sonderzahlung in Höhe von 500.000 Euro. Ihre Vorstandskollegen Oliver Burkhard und Klaus Keysberg sollen jeweils 200.000 Euro erhalten. Aktionärsschützer und Vertreter von Investoren sehen die Zahlungen kritisch.
Im Frühjahr hatte der Thyssenkrupp-Vorstand erklärt, er wolle angesichts der Corona-Krise und Kurzarbeit im Unternehmen „auf eigene Initiative“ auf einen Teil des Gehalts verzichten, um das Geld im Unternehmen zu belassen und lokale Hilfsprojekte zu unterstützen. Im aktuellen Geschäftsbericht folgt nun auf eine Darstellung des freiwilligen Gehaltsverzichts wenige Seiten später eine Begründung für die „Sondervergütung“.
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In Summe fließen Thyssenkrupp-Chefin Merz für ihre Arbeit im abgelaufenen Geschäftsjahr rund 2,44 Millionen Euro zu, darunter neben der Sondervergütung unter anderem auch ein Versorgungsentgelt in Höhe von 536.000 Euro. Bei Keysberg sind es insgesamt 1,6 Millionen Euro für die Vorstandsarbeit, bei Burkard 1,15 Millionen Euro (nach knapp 2,4 Millionen Euro im Vorjahr).
Scharfe Kritik von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz
Die Extrazahlung stößt bei Aktionärsvertretern auf Unverständnis. „Wenn die Mitarbeiter um ihren Arbeitsplatz bangen, die Aktionäre keine Dividende erhalten und über Staatshilfen diskutiert wird, ist schlichtweg kein Raum für derartige Millionengehälter oder Sonderzahlungen an den Vorstand“, sagte Marc Tüngler, der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), unserer Redaktion. „Die Gehaltshöhe wirkt ob der Gesamtsituation nahezu obszön und kann auch nicht mit dem Verkauf von Elevator erklärt werden. Denn hier wurde das Aktionärsvermögen und die letzte Perle des Konzerns verkauft.“
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Der Thyssenkrupp-Konzern befindet sich seit Monaten in einer schwierigen Lage. Auf immense Verluste reagiert der Vorstand mit dem größten Stellenabbau in der Geschichte des Unternehmens. Statt der bisher geplanten 6000 Stellen will das Management insgesamt 11.000 Arbeitsplätze streichen. Die Aktionäre des
Unternehmens sollen einmal mehr keine Dividende erhalten. Vorstandschefin Merz betonte bei der Bilanzvorlage, wie wichtig Kostensenkungen für den Konzern seien. „Wir haben im Frühjahr jeden Stein umgedreht. Aber im Zweifel heben wir die jetzt noch mal an und schauen noch mal drunter“, sagte die Managerin. „Wir werden alles hinterfragen – auch bei den Kosten darf es keine Denkverbote mehr geben.“
Deka-Experte Speich vermisst Fingerspitzengefühl beim Thyssenkrupp-Management
Ingo Speich von der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka bemängelt, das Management von Thyssenkrupp zeige beim Thema Sondervergütung wenig Sensibilität. „Mehr Fingerspitzengefühl wäre wünschenswert gewesen. Das Management hat sich damit ein Stück weit von der Belegschaft entfernt“, kritisierte Speich. Zwar habe der Vorstand enorme Verantwortung getragen und eine hohe Arbeitsbelastung gehabt, „allerdings mussten insbesondere die Belegschaft und die Mitarbeiter starke Einschnitte hinnehmen, zudem haben die Aktionäre sowohl deutliche Kursverluste als auch einen Dividendenausfall verkraften müssen“.
Im Geschäftsbericht von Thyssenkrupp wird darauf verwiesen, dass das im Konzern geltende Vergütungssystem die Gewährung einer einmaligen Sondervergütung zulasse. Der auf drei Mitglieder verkleinerte Vorstand habe unter der Führung von Martina Merz den Umbau von Thyssenkrupp „neben der akuten Krisenbewältigung konsequent weiter vorangetrieben“. Unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie sei zudem ein „hervorragender Erlös“ beim Verkauf der Aufzugsparte Elevator erzielt worden.
„Muss das jetzt wirklich sein?“
Dem Vernehmen nach ist die Entscheidung für die Sondervergütung im vom designierten BDI-Chef Siegfried Russwurm geführten Thyssenkrupp-Aufsichtsrat einstimmig gefallen, auch wenn es vereinzelt bei Arbeitnehmervertretern Grummeln gegeben haben soll. „Die Verantwortung für eine solche Entscheidung liegt stets beim Aufsichtsrat. Und der muss sich fragen lassen: Muss das jetzt wirklich sein?“, sagt der Jurist Peter Dehnen, der die Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland (VARD) führt.
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„Vor allem mit dem erfolgreichen Verkauf der Aufzugssparte ist die Sondervergütung für den Vorstand zwar nachvollziehbar begründet“, urteilt Henrik Pontzen von der Fondsgesellschaft Union Investment. „Aber bei den Beschäftigten und vielen Aktionären wird sie als unsensibel wahrgenommen werden. Das ist nicht gut, denn Thyssenkrupp ist noch nicht durch die Krise durch.“
„Auch an den Steuerzahler fatale Signale gesendet“
Christian Strenger, Gründungsmitglied der Corporate-Governance-Kommission, zeigt zwar Verständnis für eine Sondervergütung, da der Thyssenkrupp-Vorstand in der Corona-Krise keine Tantieme erhalte. „Es wäre aber ein deutlich besseres Zeichen gewesen, wenn die Vorstände die Sondervergütung in Aktien erhalten hätten statt in Cash“, sagt Strenger. So würde das Management je nach Entwicklung der Aktie wie die Anleger mitgewinnen oder verlieren.
Aktionärsschützer Tüngler ist anderer Ansicht. „Wenn, dann gehört das Geld in die Taschen der Eigentümer oder zur Erhaltung von Arbeitsplätzen eingesetzt“, sagt er mit Blick auf die Sondervergütung und fügt hinzu: „Die Zahlen lassen den groß verkündeten Gehaltsverzicht des Vorstandes in einem ganz anderen Licht und als Feigenblatt erscheinen. Mit derartigen Gehaltshöhen werden an die Mitarbeiter, die Aktionäre und auch an den Steuerzahler fatale Signale gesendet.“