Marl. Künstliche Fotosynthese – ein Vorzeigeprojekt in Marl: Evonik und Siemens Energy wandeln Kohlendioxid mit Strom und Bakterien in Chemikalien um.

Um ihr komplexes Vorhaben zu erklären, melden sich gleich mehrere Experten von Evonik und Siemens Energy zu Wort. Sie erläutern die Funktion eines Bioreaktors und die Bedeutung des Elektrolyseurs. Evonik-Manager Andreas Fischer sagt, ein einzelnes Unternehmen hätte das, was am Chemiestandort Marl entstanden sei, „nicht schaffen können“. Dabei versuchen Evonik und Siemens Energy etwas nachzuahmen, was in der Natur wie selbstverständlich geschieht: Sonnenlicht, Kohlendioxid (CO2) und Wasser genügen – und schon läuft in Pflanzen die Fotosynthese.

Mit einem Projekt namens Rheticus wollen die Unternehmen nun unter Beweis stellen, dass auch eine künstliche Fotosynthese möglich ist. Durch eine Kombination aus chemischen und biologischen Schritten sollen aus CO2, Wasser und erneuerbarem Strom Alkohole wie Butanol oder Hexanol entstehen – wertvolle Chemikalien also, die für Kunststoffe oder Nahrungsergänzungsmittel benötigt werden.

„Klimaschutz geht nur mit der chemischen Industrie“

Es ist ein Vorzeigeprojekt an einem der größten Chemiestandorte des Landes. Die Versuchsanlage, die nun ihren Betrieb aufgenommen hat, soll dazu beitragen, das klimaschädliche Kohlendioxid als Rohstoff für die Produktion nachhaltiger Chemikalien zu nutzen. Die Chemieindustrie steht unter dem Druck, ihre Produktion klimafreundlich umzubauen. Das Projekt Rheticus ist aus Sicht der Unternehmen ein gutes Beispiel dafür, dass die Industrie beim Umweltschutz nicht ein Problem, sondern ein Problemlöser sein kann.

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„Klimaschutz geht nur mit der chemischen Industrie“, sagt Evonik-Vorstandsmitglied Harald Schwager im Beisein von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU), die nach Marl gereist ist, um symbolisch einen grünen Knopf zum Start der Versuchsanlage zu drücken. Das Forschungsministerium fördert das Projekt mit 6,3 Millionen Euro. Evonik und Siemens Energy haben Unternehmensangaben zufolge gemeinsam nochmal die gleiche Summe investiert.

Chemie- und Energiebranche rücken näher zusammen

Bei ihrem Besuch im nördlichen Ruhrgebiet verweist Karliczek darauf, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Messlatte beim Klimaschutz unlängst höher gelegt hat. Sie will das Ziel der bis zum Jahr 2030 angestrebten Emissionsreduktion auf mindestens 55 Prozent erhöhen. Bislang waren es 40 Prozent im Vergleich zu 1990. „Ehrgeizig“ nennt Karliczek das Ziel, gleichzeitig bestehe für Deutschlands Industrie aber auch die Chance, mit grüner Technologie neue „Exportschlager“ zu entwickeln.

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Das Projekt Rheticus ist auch ein Beispiel für Zusammenarbeit von Unternehmen über Branchengrenzen hinweg. „Power-to-X-Konzepte“ werden in der Industrie Vorhaben genannt, in denen Strom – möglichst aus erneuerbaren Quellen – für die Herstellung von Chemikalien, Gasen und Treibstoffen genutzt wird. Evonik-Vorstand Schwager betont, die neue Anlage könne zweierlei erreichen: Sie ermögliche, das Klimagas CO2 industriell zu nutzen und könne darüber hinaus zur Speicherung von Energie aus erneuerbaren Quellen beitragen.

Kohlenmonoxid (CO) und Wasserstoff dort herstellen, wo es benötigt wird

In dem Elektrolyseur, den Siemens Energy für das Rheticus-Projekt gebaut hat, entstehen zunächst Kohlenmonoxid (CO) und Wasserstoff. Mikroorganismen in dem Bioreaktor, der von Evonik entwickelt wurde, erzeugen daraus anschließend Chemikalien.

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Siemens-Energy-Manager Armin Schnettler betont zum Start der Anlage in Marl, dass auch Kohlenmonoxid ein wichtiger Rohstoff für die Chemieindustrie sei. Im Rheinland indes ist eine CO-Pipeline des Covestro-Konzerns seit geraumer Zeit umstritten. Mit Technologien, wie sie beim Rheticus-Projekt entwickelt werden, könnten möglicherweise künftig Transporte oder Pipelines unnötig werden, wenn die Unternehmen das Gas dort erzeugen, wo es benötigt wird.

Bereits in den 1970er-Jahren habe es ernsthafte Bemühungen gegeben, das Konzept der künstlichen Fotosynthese umzusetzen, wird bei Evonik betont. Doch trotz vieler kleiner Fortschritte habe es einen Durchbruch, mit dem sich das Verfahren wirtschaftlich und im großen Stil einsetzen ließe, nicht gegeben. Mit Rheticus, so heißt es, könne sich dies ändern.