Essen/Leverkusen. Bayer schreibt mit erster virtueller Hauptversammlung Geschichte. Aus vielen Gründen sollte das einmalig bleiben. Wenning geht nach 54 Jahren.

Werner Wenning leitet seine letzte Bayer-Hauptversammlung routiniert wie immer. Doch sonst ist nichts so wie sonst. Der Aufsichtsratschef steht an einem weißen Pult, aber nicht im Bonner Congresscenter, sondern im Pressezentrum in Leverkusen, dies freilich frei von Journalisten. Er spricht auch nicht zu Hunderten Aktionären, sondern in die Kamera, welche die erste virtuelle Hauptversammlung eines Dax-Konzerns ins Internet überträgt.

Bayer-Ikone Wenning hört auf

Und dann muss Konzernchef und Ziehsohn Werner Baumann auch noch sagen, „dass es jetzt sicher einen lang anhaltenden Applaus gegeben hätte“, als er den 74-Jährigen verabschiedet und ihm für 54 Jahre im Dienste Bayers würdigt. „Danke für alles“, sagt Baumann in die Stille des aseptisch wirkenden Raumes hinein. Nur winzige Mienenspiele in seinem und Wennings Gesicht verraten, wie emotional dieser Moment für sie tatsächlich ist. Bevor Wenning wieder ans Pult tritt, reinigt eine Dame mit Maske Pult und Mikrofone ausgiebig.

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Die Spitzenmanager des Pharma- und Agrarchemie-Giganten betonen, wie wichtig es sei, die Hauptversammlung pünktlich durchzuführen – nur eben rein digital, wofür die Bundesregierung wegen der Corona-Krise eigens die Präsenzpflicht bei Hauptversammlungen aussetzen musste. „Uns ist bewusst, dass dies mit der Beschränkung der Aktionärsrechte einhergeht“, sagt Wenning, „insbesondere können Sie nicht wie gewohnt in der Generaldebatte in einen Dialog treten.“ Doch das sei allemal besser als eine Verschiebung um unbestimmte Zeit, nun könnten alle Beschlüsse getroffen werden und die Dividende – wie im Vorjahr 2,80 Euro je Aktie – „zeitnah ausgeschüttet“ werden.

Werner Wenning geht nach 54 Jahren bei Bayer und gut 20 Jahren in Vorstand und zuletzt als Aufsichtsratsvorsitzender. Sein Ziehsohn Werner Baumann dankte ihm „für alles“.
Werner Wenning geht nach 54 Jahren bei Bayer und gut 20 Jahren in Vorstand und zuletzt als Aufsichtsratsvorsitzender. Sein Ziehsohn Werner Baumann dankte ihm „für alles“. © dpa | Guido Kirchner

Was das Management weniger vermissen wird, ist der gewohnt bunte Protest vor und in den Bayer-Hauptversammlungen. er fehlt aber mindestens ebenso wie der würdige Abschied der Aktionäre von der Bayer-Ikone Wenning, schließlich ist der Leverkusener Dax-Konzern alles andere als unumstritten. „Kein Glyphosat auf unserem Salat“, skandierten die Schüler von Fridays for Future vor einem Jahr; Imker schütteten tote Bienen vor den Eingang, weil sie das wegen angeblicher Krebsrisiken in Verruf geratene Pflanzenschutzmittel Glyphosat auch für das Insektensterben verantwortlich machen.

Kritik an Pestizideinsatz in Brasilien

In diesem Jahr geriet Bayer im Vorfeld der Hauptversammlung für den Verkauf von Pestiziden nach Brasilien in die Kritik, weil „deren Haupt-Wirkstoffe in der EU nicht genehmigt sind und die zum Teil als hochgefährlich eingestuft werden“, wie die Umweltschutzorganisation BUND und Misereor erklärten. Das Hilfswerk macht in einer Studie dazu auf Vergiftungen und Erkrankungen indigener Landarbeiter in Brasilien aufmerksam. Bayer weist die Vorwürfe zurück, die Nichtzulassung in der EU sage nichts über die Sicherheit der Mittel aus.

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Mit der Bilanz 2019 und dem ersten Quartal in diesem Jahr kann Bayer-Chef Baumann überzeugen. Aktionärsvertreter beschäftigt aber noch mehr der Blick nach vorn und deshalb die anhaltenden Risiken durch die inzwischen 52.500 Glyphosat-Klagen in den USA. Deka-Manager Ingo Speich drängt wie Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) auf eine bezahlbare Vergleichslösung. Darauf warten die Aktionäre nun schon sehr lange und werden langsam ungeduldig.

Monsanto-Vergleich verzögert sich

Baumann erklärte dazu, man sei bei der Mediation auf einem guten Weg gewesen, nun verzögere sich das Verfahren aber, weil wegen der Corona-Beschränkungen auch in den USA viele Termine ausfielen. Auf die Frage von Tüngler, ob ein Vergleich, der etwa zehn Milliarden US-Dollar koste, ein anderes Licht auf den Kauf des US-Saatgutriesen Monsanto werfe, antwortete der Bayer-Chef ausweichend: „Zu Spekulationen über mögliche Summen äußern wir uns nicht“, sagte er. Räumte zugleich aber ein, eine „erhebliche Vergleichssumme“ verzögere natürlich den Zeitpunkt, ab dem sich der Monsanto-Deal rechnet, und auch den Schuldenabbau des Konzerns.

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Unter Beobachtern an den Finanzmärkten hat sich die Schätzung des Vergleichs auf rund zehn Milliarden Dollar verfestigt. Baumann sagte dazu lediglich, Bayer gehe nur einen Vergleich ein, wenn er finanziell darstellbar sei und alle Verfahren in den USA verlässlich beende. Das gelte angesichts der kommenden Rezession wegen der Corona-Krise mehr denn je. Den Monsanto-Kauf verteidigte er aber erneut mit Nachdruck. Bayer sei dadurch zu einem „weltweit führenden Unternehmen im Bereich Landwirtschaft geworden“, betonte er. Bayer investiere hier mit zwei Milliarden Euro mehr als jedes andere Unternehmen in die Forschung und werde die globale Agrarindustrie der Zukunft dank seiner Innovationen mitgestalten.

Corona-Folgen für Bayer noch unklar

Was die Corona-Pandemie für Bayers-Geschäfte bedeute, sei noch nicht abschätzbar, erklärte Baumann. Frei verkäufliche Arzneien wie Schmerzmittel verkaufte der Konzern zuletzt deutlich mehr als üblich. Es müsse sich zeigen, ab das nur Vorratskäufe waren, also der Absatz nun wieder sinke. Es gebe Medikamente, die Corona-bedingt gefragter seien, aber umgekehrt auch sinkende Absätze, weil Arztbesuche, Behandlungen und Operationen verschoben werden. Die Pandemie zeige aber ganz klar, dass Gesundheit und Ernährung die wichtigsten Grundbedürfnisse weltweit seien – und damit die Hauptgeschäfte des Leverkusener Konzerns. Der Konzern mit seinen mehr als 100.000 Beschäftigten sei also „in den richtigen Geschäften aktiv“, so Baumann.

Die Aktionäre zeigten sich bei den Abstimmungen weit zufriedener mit der Arbeit des Vorstands als noch vor einem Jahr; damals verweigerten sie ihm noch die Entlastung – diesmal gab es 92,6 Prozent Zustimmung.