Berlin. Handelsverbandschef Stefan Genth über die neue Maskenpflicht, drohende Insolvenzen und benötigte Hilfsprogramme in der Corona-Krise.
Nach vier Wochen Stillstand öffnen immer mehr Händler ihre Läden. Wie die Geschäfte laufen, warum Vermieter zu Insolvenzen beitragen und welche Hilfsprogramme zur Ankurbelung des Konsums nötig sind – darüber sprach unsere Redaktion mit dem Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland, Stefan Genth.
Viele Läden haben wieder geöffnet. Wie fällt Ihre Bilanz für diese Zeit in der Corona-Krise aus?
Stefan Genth: In der ersten Woche war der Kundenverkehr verhalten. Die Umsätze sind mit 20 bis 40 Prozent deutlich unter den Vergleichstagen der Vorjahre geblieben. Auch am Samstag blieb der große Kundenansturm aus, ebenso die Kaufimpulse. Erledigt wurden vor allem Bedürfniskäufe wie Kinderschuhe. Die Hygieneauflagen und Abstandsregeln konnten unterdessen auch in größeren Läden völlig unproblematisch eingehalten werden.
Wie viel Umsatz hat der Handel durch den Shutdown eingebüßt?
Genth: In den vier Wochen Schließungen der Geschäfte im Non-Food-Bereich haben wir rund 30 Milliarden Umsatz verloren, den wir auch nicht wiederbekommen werden. Pro Tag war dies rund eine Milliarde Euro. Aktuell verliert der Handel täglich weiterhin einen hohen dreistelligen Millionenbetrag.
Seit dieser Woche gilt Maskenpflicht, aber in jedem Bundesland anders. Ist das sinnvoll?
Genth: Ein Mund-Nasen-Schutz setzt ein aktives Zeichen, die Ansteckungsgefahren zu reduzieren. Wir hätten uns eine bundesweit einheitliche Regelung gewünscht.
Sieht sich der Handel in der Pflicht, seinen Kunden Masken zur Verfügung zu stellen?
Genth: Wir halten das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes für eine Bürgerpflicht. Jeder ist dafür selbst verantwortlich. Wir sehen uns nicht in der Verantwortung, allen kostenlos Masken zur Verfügung zu stellen. Dies machen einige Unternehmen zwar aus Servicegründen, doch ist dies nicht von allen Händlern zu finanzieren. Außerdem stehen auch nicht genügend Masken zur Verfügung.
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Was passiert, wenn Kunden sich nicht daran halten?
Genth: Wir sind nicht dafür zuständig, die Einhaltung der Maskenpflicht zu kontrollieren oder zu maßregeln. Dafür reicht unser Hausrecht nicht aus. Wir sind nicht die Polizei. Das ist eine hoheitliche Aufgabe. Klar ist aber auch: Wir wollen nicht in jedem Laden einen Polizisten als Kontrolleur haben. Die Androhung von Ladenschließungen, weil Kunden keine Masken tragen, halten wir erst recht für überzogen.
Was sollte für den Handel als Nächstes gelockert werden?
Genth: Die willkürliche Begrenzung auf 800 Quadratmeter führt zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen und zu Unsicherheiten beim Handel und bei Verbrauchern – und sollte aufgehoben werden. Der Handel hat gute Hygienekonzepte, die es erlauben, auch größere Läden wieder zu eröffnen und damit etwas mehr Normalität zu erreichen. Berufsgenossenschaften und Virologen empfehlen, maximal einen Kunden pro zehn Quadratmeter Fläche in die Läden zu lassen. Diese Größe ergibt sich aus der Abstandsregelung von mindestens 1,50 Metern. Zur Einhaltung dieser Vorgabe könnte es Kundenzählungen am Eingang geben. Auf größeren Verkaufsflächen ließen sich somit die Abstandsregeln sehr gut einhalten. Außerdem sollte es in der zweiten Jahreshälfte und 2021 bundesweit mehrere Sonntagsöffnungen geben, um den Konsum zu beleben.
Befürchten Sie mehr Insolvenzen?
Genth: Rund 300.000 Läden mussten wegen Corona zeitweise schließen. Wir fürchten, dass nun bis zu 50.000 Geschäfte von Insolvenzen betroffen sein könnten, weil ihr Eigenkapital insbesondere wegen hoher Mietforderungen nicht ausreicht. Institutionelle Vermieter sind oft nicht zu Stundungen der Miete bereit – oder sie verlangen Stundungszinsen von fünf bis neun Prozent. Hier fordern wir eine Risikoteilung. Betroffen von Insolvenzen sind sowohl große Filialunternehmer als auch kleine Geschäfte. Wir fürchten sehr, dass die Innenstädte nach der Krise nicht mehr so aussehen werden wie vor der Krise und viele Läden fehlen.
Reichen die Hilfen denn nicht aus?
Genth: Wir brauchen einen weiteren branchenunabhängigen Rettungsfonds für angeschlagene Unternehmen, die durch die Schließung keine Umsätze erzielen konnten. Denn bei vielen Unternehmen läuft eben der Hauptkostenblock – die Miete – trotz geschlossener Läden weiter. Kleinstunternehmen haben Zuschüsse von 9000 bis 15.000 Euro bekommen, größere Unternehmen Kredite – doch das reicht bei vielen nicht. Selbst gesunde Unternehmen kommen jetzt in eine Talphase, die überbrückt werden muss. Zudem brauchen wir zum Sommer oder Frühherbst ein Konjunkturprogramm, das breit wirkt. Wir schlagen dazu Konsumgutscheine für jeden Bürger von rund 500 Euro vor. Jeder kann dann selbst entscheiden, wo er diesen Gutschein einlöst. Dies würde einen gesamtwirtschaftlichen Nachfrageschub von bis zu 40 Milliarden Euro auslösen.
Hat die Corona-Krise vermehrt stationäre Händler zum Handel im Internet bewegt?
Genth: Viele Mittelständler haben das digitale Geschäft neu für sich entdeckt oder ausgebaut. Dennoch reicht dieser Ausbau nicht, die Ausfälle im stationären Handel zu kompensieren.
Verkäufer und Verkäuferinnen gelten derzeit ja als Helden der Krise. Dürfen Sie sich 2021 auf kräftige Lohnerhöhungen freuen?
Genth: Drei Viertel der Beschäftigten im Einzelhandel erhalten bereits Tariflohn. Im Textileinzelhandel wird oft auch mehr und umsatzabhängig bezahlt. Mitarbeiter sind neben einem guten Sortiment das wichtigste Potenzial, das ein Händler hat. Tarifverhandlungen stehen erst im kommenden Jahr an, dann wird man sehen, was auch wirtschaftlich vertretbar ist. Sicher ist: Der Faktor Mensch ist für den Erfolg des Handels absolut entscheidend.
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