Hagen. Die Corona-Krise ist eine riesige Belastung für die Wirtschaft der Region. Aber es gibt Beispiele der Hoffnung, auch für die Zeit nach der Krise.

In allererster Linie ist sie eine Belastung. Eine enorme und in vielerlei Hinsicht beispiellose Belastung. Die Corona-Krise zwingt viele Unternehmer, Gastronomen und Händler in der Region in die Knie. Doch ob im Sauerland, in Siegen-Wittgenstein, Hagen, dem Märkischen Kreis oder dem Ennepe-Ruhr-Kreis: Es gibt Beispiele aus der Wirtschaft, die Hoffnung machen: Dass die Krise überwunden wird. Und dass es Entwicklungen gibt, die auch nach der Krise noch helfen werden. Fünf Impulse – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

1. Neue Produkte entwickeln

Er sieht ein wenig aus wie ein Flaschenöffner, doch das, was Dennis Böhm mit seiner Kunststofffirma Böhm Plast-Technology GmbH aus Neuenrade im Sauerland entwickelt hat und jetzt herstellt, ist ein Hygienehaken. Mit ihm kann man einen Türgriff oder aber auch die Haltestange an einem Einkaufswagen bedienen, ohne diese anpacken zu müssen.

Dennis Böhm demonstriert den Hygienehaken an einem Fenster .
Dennis Böhm demonstriert den Hygienehaken an einem Fenster . © Böhm | Böhm

„Die Idee dazu hatte ich, als ich mich nach Feierabend mit meiner Freundin über das Einkaufen unterhalten habe. Sie erzählte mir, dass immer mehr Leute mit Einweghandschuhen einkaufen gehen“, sagt Dennis Böhm, der erst im vergangenen Jahr die Firma übernommen hatte. „Dies ist aus meiner Sicht aber ein zweischneidiges Schwert, da ich mit den eventuell kontaminierten Handschuhen die Produkte im Supermarkt ja trotzdem anfasse.“

Quasi in der gleichen Minute habe dann ein ehemaliger Studienfreund ein Foto von einem Modell aus dem 3D-Drucker geschickt, mit dessen Hilfe es möglich ist, Türklinken zu betätigen. „Am nächsten Tag haben wir dann begonnen, erste Konstruktionen am Computer zu zeichnen und übers Wochenende ein Prototypenwerkzeug gebaut. Binnen einer weiteren Woche stand dann das heutige Design.“ Um gleich eine breite Masse an potenziellen Kunden zu erreichen, richteten Böhm und seine Kollegen ein Ebay-Konto an für den Hygienehaken (Stück 5,99 Euro) und wollten schauen, was passiert.

„Übers Wochenende sind wir dann quasi überrannt worden“, sagt der Unternehmer aus Neuenrade. „In der Spitze hatte ich 600 E-Mails in vier Stunden erhalten.“ Für den Ansturm ist seine Firma gar nicht ausgelegt. Daher hat sich Dennis Böhm mit der Klauke + Polte GmbH & Co KG aus Altena einen Partner an Bord geholt, der jetzt Anfragen bis 1000 Stück bearbeitet und die Internetseite www.hygienehaken.de verwaltet. Um die Marke und auch das Design schützen zu lassen, hat Dennis Böhm einen Marken- und Gebrauchsmusterschutz beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Die Bewilligung steht indes noch aus.

2. Millionen-Investition trotz Corona-Krise

Er hat sich in dieser Woche zu Wort gemeldet. Lautstark, wie man es durchaus von ihm gewohnt ist: Ulrich Bettermann, Unternehmer aus Menden (OBO Bettermann), fordert, dass die Corona-Beschränkungen nach Ostern Schritt für Schritt wieder aufgehoben werden müssten, um insbesondere die mittelständische Wirtschaft nicht nachhaltig zu schädigen. Er warnt auf der anderen Seite, Staatsgelder in der Krise in ohnehin marode Unternehmen zu pumpen.

Doch der Unternehmer, der Ex-Kanzler Gerhard Schröder seinen Freund nennt und enge Kontakte zum CDU-Vorsitzenden-Kandidaten Friedrich Merz hat, setzt auch ein Zeichen. Als die Corona-Krise schon im vollen Gange war, kündigte Bettermann an, dass seine Firma OBO rund 25 Millionen Euro am Firmensitz in Menden im Sauerland investieren will. Die Kunststoffkanalproduktion soll erweitert und die Lagerkapazitäten sollen vergrößert werden. So soll eine neue 12.000 Quadratmeter große Zentral-Logistik mit rund 50 neuen Arbeitsplätzen entstehen.

Das ist die für das Sauerland positive Folge aus der Übernahme einer anderen Firma, deren bisheriger Standort in Frankreich allerdings geschlossen wird. Auf der anderen Seite: Weitere 6,5 Millionen Euro sollen am Standort Moskau investiert werden.

3. Firmen passen Produktion schnell an

Im Siegerland ist es die Kreuztaler Firma Siplast: Sie hat einen Spuckschutz für Taxis entwickelt. Der besteht aus einer fast einen Millimeter dicken, durchsichtigen und elastischen Folie, die ganz einfach und schnell zwischen Fahrerkabine und Rücksitzbereich angebracht werden kann. Das Ganze sei auch noch nachhaltig:: „Der Kunststoff kann zu hundert Prozent recyclet werden“, so Geschäftsführer Volker Weihe.

Die Kreuztaler Firma Siplast entwickelt Spuckschutz für Taxen, um die Fahrer zu schützen.
Die Kreuztaler Firma Siplast entwickelt Spuckschutz für Taxen, um die Fahrer zu schützen. © Firma SIPLAST | Firma SIPLAST

Ganz ähnlich im Sauerland beim Auto-Zulieferer Paul Müller GmbH aus Balve-Garbeck. Das Unternehmen hat einen Spuckschutz für Einzelhandel, Dienstleister sowie Arztpraxen und Apotheken auf den Markt gebracht. Dazu kommen mobile Hygienewände für Kliniken und Pflege-Einrichtungen, die gemeinsam mit dem Mendener Unternehmen Optimal Planen GmbH entwickelt werden.

In Menden gibt es noch ein weiteres Unternehmen, das schnell auf den Markt reagiert hat: die Ewald + Goerke GmbH. Sie ist eigentlich auf die Herstellung von Laborbedarf spezialisiert. Doch Geschäftsführer Henning Heck hat die Produktion in aller Schnelle komplett auf die Herstellung von Spuckschutzwänden umgestellt. Ausgestattet werden damit Geschäfte, Arztpraxen und Apotheken. Die Nachfrage ist enorm.

Die Mitarbeiter verzichteten sogar freiwillig auf ihren Urlaub über Ostern, um die Lieferzeiten der zuletzt vernachlässigten Aufträge einzuhalten. Denn die hat Geschäftsführer Hennig Hecke weiter fest im Blick für die Zeit nach der Krise: „Diese sichern langfristig unsere Existenz und sind für ein Fachunternehmen letztlich auch rentabler als die Produktion der Schutzwände.“

Und noch ein Beispiel: die Firma Moss GmbH in Lennestadt. Die 120 Mitarbeiter fertigen unter normalen Umständen großformatige Textildrucke für Ausstellungen, Messen oder den Handel. Doch Messen gibt es derzeit nicht, daher stellen rund 30 Näherinnen jetzt bis zu 1000 Atemschutze pro Tag her. „Die Masken entsprechen natürlich keiner Norm“, stellt Geschäftsführer Peter Bottenberg klar, „aber sie eignen sich hervorragend für den semi-professionellen Einsatz und sind zudem wasch- und kochbar.“ Einen Gewinn erzielt die Moss GmbH nicht. Das Ganze funktioniere mehr zum Selbstkostenpreis. Aber den Beschäftigten werde eine Perspektive geboten. Über die Krise hinaus.

4. Handel und Gastronomie stellen sich neu auf

Ob Sportgeschäft, schicke Boutique, Schuhladen oder Elektrohändler. Sie alle müssen im Kampf gegen das Coronavirus noch mindestens bis 19. April ihre Läden geschlossen halten. Ob gutbürgerliches Sauerland-Restaurant, Eiscafé in Siegen oder Pizzeria in Hagen – die gastronomischen Angebote dürfen keine Gäste mehr an Tischen und Stühlen bewirten, nur noch Außer-Haus-Verkauf oder ein Bringservice sind erlaubt.

Viele Hundert Geschäfte und Gastro-Betriebe sind betroffen. Aber es gibt auch massenweise kreative Ideen, wie der Krise getrotzt und zumindest ein wenig Umsatz und Kundenkontakt aufrecht erhalten werden kann. Ein Beispiel aus sehr vielen in der Region: In Arnsberg hat Frank Chmielewski ein Gutschein-Portal für Gastronomen und Einzelhändler aufgebaut. Mehr als 80 Anbieter machen schon mit.

Die Gutscheine können aber nicht nur nach der Krise eingelöst werden. Sondern schon jetzt bieten viele Geschäfte Bringservices an. Etwa das Modehaus Cruse aus Arnsberg: Per Whats-App-Videocall, Facetime oder auch Anruf gibt es eine Verkaufsberatung. Die Mode wird kontaktlos in Arnsberg, Sundern und Oeventrop geliefert, man kann sie zuhause anprobieren und per Überweisung bezahlen.

Flobee-Abholung beim Bauernlädchen Schlüppner im Selschede: links Thorben Hoffmann, rechts Inhaber Schlüppner. Der lokale Bringservice hat sich in der Coronakrise vergrößert.
Flobee-Abholung beim Bauernlädchen Schlüppner im Selschede: links Thorben Hoffmann, rechts Inhaber Schlüppner. Der lokale Bringservice hat sich in der Coronakrise vergrößert. © WP Sundern | Matthias Schäfer

Solche und ähnliche Angebote gibt es inzwischen fast flächendeckend in der Region. Restaurants bieten ganze Ostermenüs zum Abholen an, Schuhgeschäfte nummerieren ihre Schuhe im Schaufenster, so dass sie per Mail oder WhatsApp bestellt werden können. Und für die vielen Angebote sind auch in aller Schnelle lokale Portale auf den Weg gebracht worden, um diese zu bündeln. Etwa www.hagenliefert.de . Viele Dutzend Anbieter sind dort derzeit zu finden. Für Hagens Wirtschaftsförderer Volker Ruff, Geschäftsführer der Hagen-Agentur, keine Eintagsfliege: „Inzwischen haben das ja auch eine Menge Kollegen in anderen Städten und Kreisen übernommen. Und wir bauen hagenliefert.de weiter aus, damit es seine Berechtigung nach der Pandemie hat. Damit wird der lokale Handel auch in Zukunft Möglichkeiten haben, sich gegen globale Plattformen aufzustellen.“

Großen Zulauf erhält auch eine Plattform wie „Flobee“ (etwa: fleißige Beinchen) aus Arnsberg: Schon vor der Corona-Krise hatte das Arnsberger Start-up die Idee, einen Lieferservice zu organisieren, den lokale Händler nutzen können, um direkt Kunden zu beliefern. In Arnsberg, Ense, Sundern, Meschede, Menden, Wickede, Möhnesee, Balve und Soest ist „Flobbe“ aktiv. In Menden hatte das dortige Stadtmarketing übrigens schon seit Januar Gespräche geführt. Die Corona-Krise hat das nun beschleunigt.

5. Behördeneffizienz und Hochschulkooperationen

Die Klischees sind wie weggewischt. Wenn von „die in Arnsberg“ die Rede war, dann war das in der Vergangenheit oft das Synonym für eine vermeintlich träge Bezirksregierung. Doch als es jetzt darum ging, die von Bund und Land versprochenen Sofort-Hilfen für Selbstständige und kleine Unternehmen zu genehmigen, da arbeitete die Bezirksregierung in Arnsberg ein ganzes Wochenende durch. Rund 150 Beschäftigte hatten sich freiwillig gemeldet, um binnen weniger Stunden Anträge zu bearbeiten. Die Zusagen haben die meisten Antragsteller nun schon in der Tasche oder das Geld auf dem Konto.

Und auch an den Hochschulen in der Region tut sich etwas. Weil die Studierenden nicht in die Hörsäle und Labore kommen können, werden neue digitale Lehrmöglichkeiten geschaffen, die teils schon länger geplant waren oder schon teilweise eingesetzt wurden, jetzt aber werden sie in der Krise zum Standard. Die Fernuniversität Hagen hat schon seit Jahrzehnten Erfahrung in der Lehre über viele Kilometer hinweg. Jetzt bietet sie ihre Expertise auch anderen Hochschulen an. In dieser Woche gab es eine virtuelle Auftaktveranstaltung. Die „Community of Practice“ soll die Hochschulen vernetzen und einen gemeinschaftlichen Austausch über Erfahrungen in der digitalen Lehre ermöglichen.