Bottrop. ArcelorMittal unter Druck: Nach mehr als 100 Anzeigen ermittelt die Staatsanwaltschaft Essen gegen den Betreiber der Bottroper Kokerei.
Der Stahlkonzern ArcelorMittal gerät wegen der Bottroper Kokerei zunehmend unter Druck. Schon 2018 war der Schadstoffausstoß der Anlage an der Essener Stadtgrenze zu hoch. Im vergangenen Jahr haben sich die Werte der Kokerei sogar noch verschlechtert. Undichte Ofentüren gelten als maßgebliche Quelle für den Austritt von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK), die krebserregend wirken können. Bottrops Oberbürgermeister Bernd Tischler (SPD) sieht ArcelorMittal unter Zugzwang. „Ich erwarte, dass die Kokerei endlich die Zielwerte einhält“, sagte Tischler unserer Redaktion. Dies sei die Bedingung für einen Weiterbetrieb der Anlage.
Der Oberbürgermeister betonte, die Kokerei sei ein großer Arbeitgeber und über die Jobs von ArcelorMittal hinaus gebe es viele weitere Stellen, die an der Existenz des Werks hängen. „Deshalb bin ich natürlich für einen Kokerei-Erhalt“, sagte Tischler, „allerdings unter der Voraussetzung, dass künftig die Zielwerte eingehalten werden“.
Staatsanwaltschaft Essen ermittelt nach mehr als 100 Anzeigen
Eine Bürgerinitiative und Anwohner im Bottroper Süden fordern seit einiger Zeit schon die Schließung der Kokerei, die der weltgrößte Stahlkonzern ArcelorMittal im Jahr 2011 vom Bergbaukonzern RAG übernommen hat. In der Vergangenheit war die Kokerei noch Teil eines industriellen Verbunds vor Ort. Doch die benachbarte Zeche Prosper-Haniel stellte bereits Ende 2018 ihren Betrieb ein. Die Kohle für das Werk von ArcelorMittal kommt nun ausschließlich aus dem Ausland, insbesondere aus Australien.
Nachdem es im Laufe der vergangenen Monate mehr als 100 Strafanzeigen gegen den ArcelorMittal gegeben hat, befasst sich auch die Staatsanwaltschaft Essen mit der Bottroper Kokerei. „In dieser Angelegenheit dauern die Ermittlungen noch an“, erklärte Oberstaatsanwältin Anette Milk auf Anfrage unserer Redaktion. Dem Betreiberkonzern wird Körperverletzung durch den Schadstoffausstoß der Anlage vorgeworfen.
Stadt Bottrop will Ergebnisse des Grünkohlmessprogramms präsentieren
Auch die zuständige Bezirksregierung Münster berichtet auf ihrer Internetseite von einer „hohen Anzahl von Fragen hinsichtlich der Luftqualität im Umfeld der Kokerei“. Im vergangenen Frühjahr forderte die Stadt Bottrop Anwohner der Kokerei dazu auf, vorsorglich auf den Verzehr bestimmter Gemüsesorten aus dem eigenen Garten zu verzichten. Aufgrund von Messungen zur Schadstoffbelastung von Grünkohl im Bottroper Süden sah die Stadt „Anlass zu Vorsicht und vorsorglichem Handeln“. Am Dienstag (3. März) will die Stadt die Ergebnisse eines neuen „Grünkohlmessprogramms“ veröffentlichen.
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Nach Angaben der Bezirksregierung hat die Bottroper Kokerei im vergangenen Jahr den Zielwert für den Ausstoß von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) erneut überschritten. So lag laut Messungen des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) die Abgabe von Benzo[a]pyren (BaP) im Jahresmittel bei 2,3 statt bei einem Nanogramm pro Kubikmeter Luft – und damit sogar höher als im Jahr 2018 mit 1,7 Nanogramm. Für BaP gilt auf Basis des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ein Nanogramm pro Kubikmeter als Zielwert.
„Weitere Maßnahmen zur Minderung der Emissionen dringend notwendig“
Bereits in einem Bericht der Landesregierung, den NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) Anfang Januar an Abgeordnete verschickt hat, heißt es, der Zielwert für Feinstaub der Kokerei sei im Jahr 2019 „voraussichtlich abermals überschritten“ worden. „Es sind somit weitere Maßnahmen zur Minderung der Emissionen dringend notwendig“, hob das Ministerium hervor.
Im März vergangenen Jahres unterzeichnete die Bezirksregierung Münster eigenen Angaben zufolge einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit ArcelorMittal, in dem „technische und organisatorische Maßnahmen festgelegt sind, um den Zielwert für BaP möglichst dauerhaft einzuhalten“. So sollte insbesondere die Abdichtung von Ofentüren verbessert werden.
Per Ordnungsverfügung gab die Bezirksregierung der Kokerei im vergangenen Winter vor, alle schwer beschädigten Ofentüren auszutauschen. „Dieser Austausch ist inzwischen erfolgt und abgeschlossen“, teilte die Behörde vor wenigen Tagen mit. Spätestens ab April muss ArcelorMittal demnach bei neuen Defekten die betroffenen Ofentüren am Folgetag ersetzen. Die Bezirksregierung werde dies überwachen, auch bei unangekündigten Besuchen, betonte die Behörde. Wenn nötig, werde die Bezirksregierung der Kokerei „kurzfristig weitere Vorgaben machen und diese durchsetzen“. Bei anhaltenden Verstößen gegen die erlassene Ordnungsverfügung kann die Behörde Bußgelder verhängen und im äußersten Fall die Anlage mit ihren 460 Beschäftigten schließen.
ArcelorMittal erklärte, das Unternehmen habe Verbesserungen auf den Weg gebracht und sei „von der mittelfristigen Wirksamkeit der Maßnahmen überzeugt“. So seien unter anderem beschädigte Ofentüren ausgetauscht worden. „Erste Messungen aus dem Januar zeigen bereits deutliche Verbesserungen“, erklärte das Unternehmen. Zwischen 2015 und 2018 habe das Investitionsvolumen für mehr Umweltschutz am Standort Bottrop bei jährlich rund fünf Millionen Euro gelegen. Für 2019 und 2020 seien Investitionen in Höhe von zehn Millionen Euro geplant – „trotz der wirtschaftlich angespannten Lage“, wie ArcelorMittal betonte.
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Auch der geplante Ausstieg aus der Kohleverstromung stellt ArcelorMittal in Bottrop vor Herausforderungen. „Die Situation ist ernst“, sagte Jens Loock, der für Bottrop zuständige Personalvorstand von ArcelorMittal, vor wenigen Tagen. Denn es ist unklar, was mit dem Kokereigas aus Bottrop geschehen soll, wenn eine Verwendung im Herner Steinkohlekraftwerk der Steag nicht mehr möglich sein sollte.