Hagen. Die Firma biw Isolierstoffe aus Ennepetal setzt alles daran, PCB-Emissionen zu verhindern. Die Umweltbehörde droht weiter mit Produktionsstopp.
Ein Weltmarktführer kämpft ums Überleben. Das Damoklesschwert eines behördlich verordneten Produktionsstopps schwebt weiter über dem Ennepetaler Unternehmen biw Isolierstoffe mit seinen 600 Beschäftigten. Daran hat auch ein kurzfristig anberaumter Termin im Landes-Umweltministerium nichts geändert, bei dem das Unternehmen offenbar weitere Maßnahmen zur PCB-freien Produktion zugesichert hat.
„Das Unternehmen hat bis Mitte kommender Woche weitere Unterlagen zur Konkretisierung zugesagt. Der Kreis wird die Unterlagen prüfen und darauf aufbauend in Abstimmung mit den Aufsichtsbehörden und dem LANUV entscheiden, inwieweit weitere ordnungsrechtliche Maßnahmen erforderlich sind“, hieß es auf Anfrage unserer Zeitung aus dem Landesumweltministerium.
Die Kreisverwaltung des Ennepe-Ruhr-Kreises als untere staatliche Umweltschutzbehörde hält nach wie vor daran fest, kurzfristig den Einsatz von Chlor zu verbieten, um so die Verbreitung von PCB im Umfeld der Firma eindeutig auszuschließen. Damit würden weite Teile der Produktion lahmgelegt.
Innerhalb weniger Tage pleite
Der Zulieferer biw, auf den unter anderem Produzenten aus der Automobilbranche wie Mercedes, VW und auch große Zulieferer in der ersten Reihe wie Bosch oder Continental vertrauen, könnte Verträge nicht einhalten und wäre laut Firmenchef Ralf Stoffels innerhalb weniger Tage pleite. Rund 600 Arbeitsplätze wären damit verloren.
Und auch bei Vertragspartnern würde laut biw Stillstand drohen. „Heute Morgen stand das Telefon nicht still. Unsere Kunden verfolgen die Berichterstattung“, sagte Stoffels.
PCB ist unzweifelhaft gesundheitsgefährdend. Je nach Art wird die Substanz als krebserregend eingestuft. Herstellung und Einsatz von PCB, wie es früher in Dichtmaterial üblich war, sind in Deutschland seit 1989 komplett verboten. Dass Behörden im Sinne des Schutzes von Beschäftigten und Bevölkerung beim Thema PCB alarmiert sind, ist daher ebenso selbstverständlich wie notwendig.
„Wir haben vollstes Verständnis für die Besorgnis“, betont der Unternehmer Ralf Stoffels dieser Tage immer wieder. Allerdings hielt der Seniorchef bislang sowohl die Bürgerinnen und Bürger als auch die Landesbehörden bis hin zum Umweltministerium für falsch oder mindestens unzureichend durch die Kreisbehörde informiert.
Sowohl am Morgen im Ministerium als auch am Abend bei einer Bürgerversammlung in Ennepetal hatte Stoffels die Chance, seine Sicht der Dinge und das Konzept der Firma zum Ausstieg aus der PCB-haltigen Produktion darzulegen.
Das Unternehmen hat demnach seit Herbst 2019 bereits rund eine Millionen Euro in die Entwicklung besserer Ablufttechnik und neuer, chlorfreier Produktionsmethoden investiert. Aus Sicht von biw erfolgreich. Auch die Arbeitsschutzbehörde, die NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) untersteht, sehe alle Auflagen erfüllt und habe grünes Licht gegeben.
Blutuntersuchungen unauffällig
Ein Grund könnten auch die Ergebnisse des Biomonitorings bei mittlerweile 44 Beschäftigten sein. Bei allen Mitarbeitern lägen die nachgewiesenen Werte für PCB 47 im Blut weit unter den Grenzwerten. „Dabei arbeitet einer dieser Mitarbeiter bereits seit 25 Jahren im Bereich der betreffenden Produktion“, bekräftigt Stoffels. Aus seiner Sicht liegt keine Gesundheitsgefährdung vor.
PCB reichert sich über längere Zeiträume im Körper an. Die Werte kumulieren. Je länger ein Mensch also dem Stoff ausgesetzt ist, desto höher sind seine Werte im Blut. Begleitet werden die Bluttests vom renommierten Wissenschaftler Professor Dr. Thomas Kraus, Leiter des Instituts Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin an der Uniklinik der RWTH Aachen. An ihn hätten sich auch mehrere besorgte Anwohner aus dem Umfeld des Industriegebietes gewendet, um ihr Blut untersuchen zu lassen. Es sei kein PCB 47 nachweisbar gewesen, hieß es am Donnerstag vonseiten des in den Fokus geratenen Unternehmens, das das vom Kreis nun angedrohte, kurzfristige Verbot von Chlor im Produktionsprozess für unverhältnismäßig hält.
Messung in Witten im März
Der Kreis und mit ihm Landrat Olaf Schade (SPD) erhielten allerdings am Donnerstag noch Rückendeckung von der Landesregierung. Das Landesumweltministerium sieht auch nach dem Gespräch am Freitagmorgen keinen Grund, vom Gas zu gehen, wenn es um biw geht.
Umgekehrt dauere die Suche nach weiteren Firmen aus der Branche, bei denen ebenso PCB entstehen könnte, noch an. „Jedem bekannten, potenziell ähnlich gelagerten Fall, gehen die zuständigen Behörden mit Sorgfalt nach. Wie erwähnt liegen noch keine belastbaren Erkenntnisse über die abschließende Anzahl der ähnlich produzierenden Unternehmen vor.
Bei den Betrieben, bei denen bereits bekannt ist, dass sie einen potenziell PCB-freisetzenden Vernetzer einsetzen, wird derzeit überprüft, ob auch in diesen Fällen PCB emittiert wurde“, heißt es aus Düsseldorf. Proben aus dem Produktionsprozess einer Firma in Witten ergaben PCB 47 in einer Menge von bis zu 390 mg/kg. Eine Belastung, die aus Sicht des Kreises ausreichend ist, um den Fund als „gefährlichen Abfall“ einzustufen. Die Grenze hierfür liegt bei 50 mg/kg. „Wir werden zusammen mit dem LANUV (Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz) aktiv werden, um die Lage angemessen beurteilen zu können.“ Geplant sind Proben von Löwenzahn auf PCB 47, 51 und 68. Das LANUV wolle für die Beprobung den Beginn der Vegetationsperiode im März abwarten. Eile scheint in diesem Fall nicht geboten zu sein.
Eine Chronik rund um die Ereignisse bei biw finden Sie unter wp.de/pcb-ennepetal