Hagen. Noch sind die Auswirkungen des Corona-Virus auf die südwestfälische Wirtschaft überschaubar. Aber die Sorge vor fatalen Folgen wächst.

Südwestfälische Unternehmen mit Verflechtungen nach China beschäftigt das Corona-Virus in besonderer Weise. Einige Produktionen stehen nach wie vor still. Quer durch diverse Branchen geht die Sorge um, dass sich das Virus in den kommenden Tagen auch außerhalb der zentralchinesischen Provinz Hubai mit der Millionenstadt Wuhan als mutmaßlichem Ausgangspunkt noch einmal rasant verbreiten könnte. „Wenn sich das Virus weiter ausbreitet, reden wir über ganz andere Dimensionen“, warnt Chinakenner Professor Dr. Helmut Wagner, der als Volkswirt an der Fernuniversität Hagen lehrt, vor noch nicht absehbaren Folgen.

Millionen Arbeiter unterwegs

Millionen Wanderarbeiter ebenso wie Festangestellte seien nach dem Ende der verlängerten Neujahrsferien aktuell auf dem Weg zu ihren Arbeitsorten. „Allein nach Peking kommen acht Millionen. Niemand weiß, ob sie das Virus in sich tragen“, vermutet Wagner. Wuhan mit zwölf Millionen und die gesamte Provinz Hubai mit rund 60 Millionen Einwohnern seien für chinesische Verhältnisse klein und am Bruttoinlandsprodukt lediglich mit rund vier Prozent beteiligt. Die Hauptproduktionszentren seien Peking, Shanghai und das Innovationszentrum Shenzhen, wo einige deutsche Firmen beheimatet sind.

200 Mrd. Handelsvolumen

Laut Ökonom Professor Dr. Wagner ist Deutschland mit Abstand Chinas größter europäischer Handelspartner. 2018 lag das Handelsvolumen der beiden Ländern demnach bei rund 200 Mrd. Euro, davon knapp 106 Mrd. Importe.

Eine Gefahr laut Wagner: Wenn die Importe aus China ausbleiben, könnte dies hierzulande zu Stillstand an Bändern führen oder könnten Arzneimittel knapp werden (80 Prozent der Basissubstanzen werden in China hergestellt).

Beispielsweise der Elektrogerätehersteller Severin aus Sundern, dessen Produktion in Shenzhen angesiedelt ist. Treten die Befürchtungen des Ökonomen Helmut Wagner nicht ein und das Virus breitet sich in den kommenden Tagen nicht noch explosionsartig aus, dürften sich die Auswirkungen für Severin in Grenzen halten. „Es kann sein, dass es Ende April/Anfang Mai eine Delle bei den Belieferungen gibt“, sagt Geschäftsführer Ulrich Cramer. Die Sauerländer haben insofern Glück, als dass die Produktion beispielsweise eines der Premiumprodukte, des „eBBQ“-Grills, bereits vor der Messe Ambiente im Januar angelaufen ist. Inwieweit die Lieferketten innerhalb Chinas noch gestört werden könnten, hängt vom Verlauf der Virusausbreitung ab. „Es kann sich natürlich noch verschlimmern“, weiß Cramer.

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Beobachter rechnen damit, dass der Höhepunkt der Ausbreitung – aus den von Professor Wagner genannten Gründen - erst Ende dieses Monats erreicht sein wird und sich die Lage erst im Frühjahr wieder normalisiert. Nicht zuletzt deshalb bleibt die Wirtschaft vorsichtig.

Beispiel: Ein im Februar von Severin neu eingestellter Designer aus Hongkong musste seinen Besuch in der Firmenzentrale im Sauerland aufschieben. Dienstreisen finden aktuell nicht statt. Eine Taskforce in Sundern beurteilt zwei Mal in der Woche die aktuelle Lage. Zur Unterstützung der Kollegen in China besorgte Severin zwischenzeitlich Desinfektionsmittel sowie die in Asien vergriffenen Atemschutzmasken und ließ sie per Flugzeug anliefern. „Es zahlt sich aus, dass wir bereits seit den 90er Jahren in China vertreten und dort gut vernetzt sind“, bleibt Severin-Geschäftsführer Cramer einstweilen optimistisch. Dafür sorge auch das gut gefüllte Hochregallager in Sundern und die Tatsache, dass keine Aktionen mit Discountern geplant seien, für die Lieferdruck zu einem bestimmten Datum bestehe.

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In der Automobilbranche ist es anders und doch ähnlich. Weil auch die Produktionen der Hersteller wie Daimler, VW oder BMW in China stillstanden oder auch noch gar nicht wieder angelaufen sind, haben auch Zulieferer wie Kirchhoff noch nicht den entsprechenden Produktionsdruck. Den Zeitpunkt zur Wiederaufnahme der Produktion bestimmen ohnehin für alle die jeweiligen Provinzregierungen.

Viele Betriebe stehen noch still

Kirchhoff Automotive hat drei Produktionsstandorte in China. In Shenyang, im Norden von China (rund 2000 Kilometer von Wuhan entfernt) soll die Arbeit in der kommenden Woche wieder aufgenommen werden. In Shouzou hat Kirchhoff die Produktion gerade wieder angefahren. Wann es im kleineren Werk in Chongqing (Südwesten Chinas) weiter gehen kann, sei noch unklar. Auch bei Kirchhoff sieht man von Dienstreisen nach wie vor ab und kommuniziert über neue Medien wie Skype.

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Die Vorsicht bei Reisen wird für die Wirtschaft nicht zuletzt bei wichtigen Messeterminen in NRW sichtbar. Zuletzt blieben nach Angaben der Messe Köln bei der Internationalen Süßwarenmesse ISM sieben von 70 Ausstellern aus China der Veranstaltung fern. Für die Internationale Eisenwarenmesse vom 1. bis 4 März gebe es zwar auch bereits einige Absagen, dass aber möglicherweise ganze Hallen leer blieben, glaube man nicht.

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Nahezu unberührt scheinen die Exporte ins Reich der Mitte zu sein, wenn es sich um Nahrungsmittel dreht. Nachdem 2018 die Afrikanische Schweinepest in China grassierte, erleben die Landwirte in den USA und Europa eine wachsende Nachfrage. „Die Waren wie Schweineohren, -pfoten, aber auch Milchpulver werden per Schiff nach Shanghai transportiert. Bislang bemerken wir noch keine Folgen des Virus“, sagt Hans-Heinrich Berghorn, Sprecher des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes. Allerdings sei Corona Gesprächsstoff, denn „Sorgen gibt es schon“.