Ennepetal. In der Kunststoff-Industrie kann bei der Herstellung von Silikonprodukten PCB freigesetzt werden. Marktführer biw bringt das in Schwierigkeiten.

Herstellung und Einsatz des Giftstoffes PCB sind in Deutschland bereits seit Jahrzehnten verboten. Im Ennepe-Ruhr-Kreis schrillen aber wegen PCB seit Monaten die Alarmglocken bei örtlichen Behörden und besorgten Bürgern im Umfeld des mittelständischen Kunststoff verarbeitenden Unternehmens biw.

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Nach Schätzungen von biw dürften in Europa rund 20 Mitbewerber nach dem gleichen Verfahren produzieren, darunter auch einige in NRW. Monate nach Bekanntwerden des Gift-Problems, sind die zuständigen Landesbehörden derweil immer noch auf der Suche nach den betreffenden Firmen, die nach dem gleichen Verfahren arbeiten. „Die Ermittlungen sind hier noch nicht abgeschlossen und eine abschließende Aussage, wie viele Firmen im Land betroffen sein könnten, ist daher aktuell noch nicht möglich“, heißt es auf Anfrage dieser Zeitung in einer gemeinsamen Stellungnahme des NRW-Umwelt- und des Arbeitsministeriums.

Verfahren wird seit 1971 eingesetzt

Biw Isolierstoffe stellt seit 1971 Silikonschläuche her, seit 1995 nach dem gleichen Verfahren Silikonprodukte mit Chlor als Vernetzer. Mehr oder weniger durch einen Zufall stellte sich 2019 heraus, dass dabei im Prozess drei PCB-Arten entstehen und unter Umständen freigesetzt werden können.

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Biw beliefert zahlreiche Branchen mit den am Ende des Herstellungsprozesses absolut PCB-freien Produkten. Sie werden sowohl in der Automobil- wie Luft- und Raumfahrtindustrie eingesetzt. Sie haben die Freigabe für den Einsatz in Medizintechnik, beispielsweise in Dialysegeräten, und finden sich auch in Kaffeevollautomaten wieder.

Die im Produktionsprozess nachgewiesenen PCB-Arten 47, 51 und 68 gehören nicht zu den dioxinähnlichen PCB-Arten die vor einem Jahrzehnt in einem der größten Umweltskandale in Deutschland bei der Firma Envio in Dortmund nachgewiesen wurden. Damals wurde im Dortmunder Hafen in dem Recyclingbetrieb tonnenweise mit PCB hantiert. Beschäftigte und Umwelt wurden jahrelang dem Giftstoff ausgesetzt. Bei biw in Ennepetal handelt es sich um vergleichsweise minimale Mengen PCB.

Das Kürzel PCB für Polychlorierte Biphenyle schreckt ungeachtet der Ausmaße auf. Es hat im Ennepetaler Fall auch Umwelt- und Arbeitsschutzbehörden auf den Plan gerufen, nachdem im Umfeld des Industriegebietes, in dem biw produziert, weiße, flockenartige Substanzen mit PCB-Anhaftungen gefunden worden waren. Die Kreisbehörde gab vorsorglich eine Verzehrwarnung für Gemüse aus dem eigenen Garten heraus.

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„Bis Mitte 2019 war nicht klar, dass es diese Prozesse gibt“, erklärt Firmenchef Ralf Stoffels, im Ehrenamt auch Präsident der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer Hagen (SIHK), gegenüber dieser Zeitung. Seit Herbst vergangenen Jahres habe das Unternehmen daran gearbeitet, die Abluftanlagen so zu modifizieren, dass keinerlei PCB-Emissionen auftreten können – Ende Januar gab es dann nach eigenen Aussagen doch noch einmal einen Zwischenfall: Erneut platzten PCB-haltige Rückstände aus einem Kamin ab und fanden den Weg ins Freie. Nun sollen die Kamine geändert werden.

Chlorfreie Produktion für die EZB

Die Arbeitsschutzbehörde des Landes begleitet seit Wochen das Unternehmen und hat Auflagen gemacht. Blutmonitoring von Mitarbeitern ergab eine geringe Belastung mit PCB 47. Die Arbeitsschutzbehörde sieht keinen Anlass, die Produktion zu stoppen. Im Produktionsprozess sind neue Absauganlagen installiert worden und sukzessive stellt biw die Herstellung gerade um, versucht, Chlor zu ersetzen, so dass gar kein PCB mehr entstehen kann. Erfolgreich. In einem gerade angelaufenen Werk in Iserlohn werde bereits komplett chlorfrei produziert. Dort stellt biw Fensterdichtungen für den EZB-Neubau in Frankfurt her.

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Auch am Standort Ennepetal soll die Produktion der rund 15.000 verschiedenen Teile nach und nach umgestellt werden. Einer der Kunden, ein großer Automobilzulieferer, wird bereits mit Produkten beliefert, die nach dem neuen Verfahren hergestellt werden. Für den Mittelständler kein geringes Risiko, da mit einer entsprechenden Änderung der Verträge erst in Monaten zu rechnen ist. Für Firmenchef Stoffels gibt es dennoch keine andere Wahl: „Wir wollen als Marktführer die ersten sein, die Silikonschläuche chlorfrei produzieren. In Europa gebe es rund 20 Mitbewerber im Markt, die genauso mit Chlor produzierten, wie bei biw. Insofern dürfte sich der Unternehmer wegen der Chancengleichheit wünschen, dass eine chlorfreie Produktion Gesetz wird, auch wenn sie aufwendiger und teurer ist.

Davon scheint man allerdings in Berlin wie in Düsseldorf noch weit entfernt zu sein. Obwohl mindestens seit Ende vergangenen Jahres klar ist, dass nicht nur bei biw PCB im Produktionsprozess entsteht, gibt es in den zuständigen Ministerien nach eigenen Aussagen keinen genauen Überblick, welche Firmen wo betroffen sind. Dabei mahnt das Bundesumweltministerium: „Für diese besonders gefährlichen Stoffe gelten in der EU und in Deutschland grundsätzlich das Verbot oder die Anforderung der Minimierung.“