Essen. Die Bahn will bald klimaneutral fahren, muss aber bald Kohlestrom aus Datteln kaufen. Dabei fahren die ICE schon heute nicht mit reinem Ökostrom.

Die Bahn will grün werden und rühmt sich seit zwei Jahren, ihre Fernzüge führen bereits zu 100 Prozent mit Ökostrom. Was aber, wenn das umstrittene Kohlekraftwerk Datteln 4 tatsächlich im Sommer ans Netz geht – und die Bahn dann aufgrund geltender Verträge ein Viertel ihres Stroms von dort beziehen muss? Wie lange bleibt die Bahn als Deutschlands größter Stromverbraucher noch schwarz-grün? Verbände, die sich für einen klimaschonenden Verkehr in Deutschland einsetzen, sehen einen herben Rückschlag.

Deutschlands größtes Steinkohlekraftwerk, das der Stromkonzern Uniper im Sommer in Betrieb nehmen will, ist nur deshalb so groß geraten, weil es von Anfang an als Bahn-Versorger konzipiert war. Die Umrichteranlage, die 413 der insgesamt 1100 Megawatt Kraftwerksleistung in Bahnstrom umwandeln kann, speist seit 2014 Strom ins bahneigene Netz ein. Nur kommt er bisher aus anderen Quellen, nicht aus dem von Anwohnern und Klimaschützern so leidenschaftlich bekämpften Kohleriesen nebenan. Derzeit spricht fast alles dafür, dass sich dies im Sommer ändert. Die Bundesregierung gibt sich fest entschlossen, Datteln 4 ans Netz zu lassen. Dies, obwohl ihre Kohlekommission das Gegenteil empfohlen hatte.

„Datteln ist ein trauriges Kapitel für die Bahn“

Für die Bahn wäre das ein herber Rückschlag in ihrem Streben, möglichst bald klimaneutral zu fahren. „Datteln ist ein trauriges Kapitel im Bemühen der Bahn, auf Ökostrom umzusteigen“, sagt Dominik Seebach, Energieexperte des Freiburger Öko-Instituts. Oliver Krischer, Energieexperte der Grünen im Bundestag, wird noch deutlicher: „Sollte Datteln 4 endgültig ans Netz gehen, wird die Ökobilanz der Bahn tiefschwarz vor lauter Kohlestaub. Und das über lange Zeit“, sagte er unserer Redaktion. Die Regierung dürfe Datteln 4 nicht in Betrieb gehen lassen. „Es kann nicht sein, dass in Deutschland zur Feier des Kohleausstiegs noch eins der größten Kohlekraftwerke Europas neu ans Netz gehen soll“, so Krischer.

Die Bahn betont auf Anfrage, die halte „an unseren Zielen zum Hochlauf des Anteils an Erneuerbaren im Bahnstrommix auf jeden Fall fest“. Doch in den bisherigen Zielen, bis 2030 den Bahnstrom zu 80 Prozent aus Erneuerbaren Energien zu beziehen und bis 2038 zu 100 Prozent, ist der Kohlestrom aus Datteln auch enthalten. Die Bahn hatte gehofft, Datteln streichen und sich entsprechend höhere Klimaziele setzen zu können. „Details zur Entwicklung des Strommix hängen unter anderem von Entscheidungen der Politik zum Kohleausstieg ab“, sagt dazu eine Bahn-Sprecherin.

Die Bahnstromumrichteranlage vor dem Kohlekraftwerk Datteln 4 liefert ein Viertel des in Deutschland benötigten Bahnstroms.
Die Bahnstromumrichteranlage vor dem Kohlekraftwerk Datteln 4 liefert ein Viertel des in Deutschland benötigten Bahnstroms. © www.blossey.eu | Hans Blossey

„Ginge Datteln 4 nicht ans Netz, könnte die Bahn bereits 2030 klimaneutral fahren“, sagt Philipp Kosok, Bahnexperte des ökologisch ausgerichteten Verkehrsclub Deutschlands (VCD). Der Kohle-Riese verbaue der Bahn den Weg dahin. Das sei ein „katastrophales Signal für den Klimaschutz“. Und es sei „ein schlechter Witz“, dass ausgerechnet die Bahn als klimafreundliche Alternative zu Auto und Flugzeug nun den Kohlestrom aufgrund alter Verträge kaufen müsse. Das könne allein die Regierung verhindern, so Kosok, auch der VCD fordert sie auf, Datteln 4 nicht ans Netz zu lassen.

Bund fällt der Bahn in den Rücken

Aller Voraussicht nach wird die Regierung aber das Gegenteil tun: Das Gesetz zum Ende der Kohleverstromung wird den Betrieb des größten Steinkohlekraftwerks dem aktuellen Entwurf zufolge erlauben. Datteln 4 könnte dann als jüngstes und im Vergleich mit anderen Kohleblöcken sauberstes Kraftwerk womöglich bis zum endgültigen Ausstieg im Jahr 2038 laufen. Der Vertrag mit der Bahn läuft Krischer zufolge sogar bis in die 40er-Jahre. Die Unternehmen schweigen sich dazu aus.

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Damit fiele der Bund seinem Staatsunternehmen in den Rücken. Denn die Bahn meint es mit der Energiewende ernst, hat ihren Ökostromanteil bis dato auf 57 Prozent erhöht und liegt damit weit über Plan. Die DB Energie ersetzt nach und nach auslaufende Verträge mit fossil betriebenen Kraftwerken durch Ökostrom-Kontrakte. Die Bahn würde auch auf den Kohlestrom aus Datteln gern verzichten. Bahnvorstand Ronald Pofalla hat als einer der Vorsitzenden der Kohlekommission höchstselbst versucht, keine Kohlekraftwerke mehr ans Netz zu lassen, worin nicht wenige einen Interessenkonflikt sahen. Die Kommission empfahl der Regierung ausdrücklich, Uniper für Datteln abzufinden.

Doch die Koalition lehnt das ab und betont, für Datteln 4 könnten viele schmutzigere Kohleblöcke abgeschaltet werden. Das Gesetz war eigentlich für die Sitzung des Kabinetts am kommenden Mittwoch zur Verabschiedung vorgesehen, allerdings spricht derzeit viel dafür, dass es erneut verschoben wird, wie aus Berliner Kreisen zu hören ist. Eine Einigung mit den ostdeutschen Bundesländern über den Braunkohle-Ausstieg fällt der Regierung weiter schwer, auch mit RWE dauern die Gespräche über Entschädigungen noch an.

„100 Prozent Ökostrom im ICE“ ist Werbegag

Uniper geht einem Konzernsprecher zufolge „fest davon aus, dass die Bahn ihren Vertrag einhalten wird“. Mit den 413 Megawatt aus dem nach eigenen Angaben weltweit leistungsstärksten Bahnstromumrichter würde der Saft aus Datteln rund ein Viertel des gesamten Bahnstroms in Deutschland decken. Dass die Züge der DB keineswegs zu 100 Prozent mit Ökostrom fahren können, so lange Datteln läuft, versteht sich damit eigentlich von selbst. Die Bahn suggeriert freilich etwas anderes, wenn sie behauptet, ihre Fernzüge führen seit 2018 bereits „mit 100 Prozent Ökostrom“ – und damit offensiv wirbt.

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Wer als ICE-Fahrgast glaubt, sein Zug fahre wirklich nur mit Grünstrom, sieht sich aber schon heute getäuscht. Denn das Versprechen der Bahn ist ein rein statistisches: Ihre Tochter DB Energie kauft so viel Ökostrom ein, wie die Fernzüge verbrauchen. Die fahren faktisch aber mit dem gleichen Strommix, den auch die Regionalbahnen aus der Hochspannungsleitung ziehen. Wenn die Bahn also damit wirbt, alle Fernzüge führen zu 100 Prozent mit Grünstrom, müsste sie gleichzeitig auch erklären, dass der Regionalverkehr zu 100 Prozent mit schwarzem Strom fährt. Das klänge nur nicht ganz so gut.

Die Bahn sollte Ökostrom nicht nur zukaufen

Bilanziell könne die Bahn das so darstellen, wenn ihre Stromtochter genügend Ökostrom einkaufe, meint Energie-Experte Seebach, auch wenn rein physikalisch der Strom auch im Fernzug aus dem nächstgelegenen Kraftwerk komme. Aus Sicht des Öko-Instituts sollte die Bahn als größter Stromverbraucher Deutschlands aber stärker selbst den Ausbau der Erneuerbaren Energien fördern, anstatt ihre Klimabilanz nur durch den Zukauf von Ökostromanteilen aufzubessern. „Die Bahn hat durch ihre konzerneigene Tochter DB Energie alle Möglichkeiten, hier eigene Impulse zu setzen“, so Seebach.

Die neudeutsch „Greenwashing“ genannte Marketing-Trickserei habe die Bahn gar nicht nötig, findet VCD-Experte Kosok. „Sie sollte damit werben, dass sie umweltfreundlich ist und ihr Strommix immer grüner wird. Aber nicht damit, klimaneutral zu sein. Denn das ist sie nicht.“