Essen. Streit um das Kohledeputat vor dem Essener Arbeitsgericht: Die RAG soll höhere Abfindungen zahlen. Ex-Bergmann Gottwald ist dennoch enttäuscht.

Als sein Fall in Saal 319 des Essener Arbeitsgerichts aufgerufen wird, steht Albert Gottwald aus der ersten Reihe der Zuschauerplätze auf und setzt sich neben seine Anwältin. Hinter ihm hängt ein Foto vom Doppelbock der Zeche Zollverein, das ein wenig Farbe in den Raum bringen soll. Draußen fällt beharrlich Nieselregen. Gottwald, der in diesem Monat 78 Jahre alt wird, ist es wichtig, selbst vor Gericht zu erscheinen, um sein Anliegen vorzutragen. Der ehemalige Bergmann ist erbost über seinen früheren Arbeitgeber RAG. Beim Abschied vom Unternehmen habe sich ihm ein Versprechen ins Gedächtnis eingebrannt, erzählt er: „Gottwald, du kriegst ein Leben lang deine Kohlen.“ Doch weil es nun anders ist, schwelt ein Streit, seit Jahren schon.

Über Generationen hinweg war das Kohledeputat, die traditionelle Gratislieferung für die Belegschaft, ein Privileg der Bergleute. Doch Ende 2018 hat auch die letzte deutsche Zeche, Prosper-Haniel in Bottrop, ihren Betrieb eingestellt, womit auch das Deputat Geschichte sein sollte. Mit Abfindungen wollte die RAG einen Schlussstrich ziehen, so auch bei Albert Gottwald. Er habe vom Unternehmen ungefragt „2400 Euro und ein paar Gequetschte“ auf sein Konto überwiesen bekommen, berichtet der frühere Bergmann. Zufrieden ist er damit nicht. „Ich will das Geld nicht haben, ich möchte Kohlen“, sagt er und fügt – an die Adresse der RAG gerichtet – hinzu: „Wenn die mich heute anrufen, haben die morgen das Geld zurück.“

Mit diesem Kohlenofen heizt der ehemalige Bergmann Albert Gottwald in seinem Haus in Castrop-Rauxel.
Mit diesem Kohlenofen heizt der ehemalige Bergmann Albert Gottwald in seinem Haus in Castrop-Rauxel. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich


Doch die Gratiskohle, die sich Gottwald erhofft, wird er aller Voraussicht nach nicht bekommen, wie Arbeitsrichterin Janny Sell erklärt. Ein Tarifvertrag, auf den sich die Gewerkschaft IGBCE und die RAG vor Jahren geeinigt haben, sieht vor, dass es statt des Deputats Abfindungen geben soll. Auch im Essener Gerichtssaal geht es lediglich um die Frage, ob die Höhe der Einmalzahlung richtig bemessen ist. Gottwald will das nicht akzeptieren. „Für 2500 Euro kann ich mir anderthalb Jahre Kohlen kaufen. Dann ist das Geld weg“, rechnet er vor.

„Die Enttäuschung kann ich Ihnen leider nicht nehmen“

„Die Enttäuschung kann ich Ihnen leider nicht nehmen“, sagt Richterin Janny Sell. Sie versucht, Gottwald zu einem Perspektivwechsel zu bewegen. Er könne sich doch auch sagen: „Es ist ja toll, was ich die ganzen Jahre bekommen habe.“

Das Zechenhaus der Gottwalds steht in einer ruhigen Straße in Castrop-Rauxel, die als Sackgasse endet. In der Küche verbreitet in Wintertagen ein Kohlenofen wohlige Wärme. Der Einbau einer neuen Heizung übersteige die finanziellen Kräfte der Familie, sagt Albert Gottwald, und seine 80-jährige Frau Hannelore pflichtet ihm bei. Sie hätten doch nicht damit rechnen können, dass die Lieferungen irgendwann eingestellt werden, insofern auch nicht für eine neue Heizung gespart.


„Ich fühle mich verraten und verkauft“, klagt Gottwald. Es sei immer gesagt worden, kein Kumpel falle ins Bergfreie, sagt er. Aber die Bergleute, die noch mit Kohle heizen, würden doch ins Bergfreie fallen.

Gottwalds Rechtsanwältin Britta Weickgenannt weist darauf hin, dass sie im Namen Gottwalds und rund 150 weiterer Mandanten eine Verfassungsbeschwerde beim höchsten deutschen Gericht in Karlsruhe eingereicht habe. Die Karlsruher Richter seien seine letzte Hoffnung, sagt Gottwald.

Zehn Verfahren an einem Tag gegen die RAG

Am Essener Arbeitsgericht sind es an diesem Tag insgesamt zehn Verfahren, in denen ehemalige RAG-Beschäftigte ebenso wie Gottwald eine höhere Abfindung einfordern. Die für Presseanfragen zuständige Arbeitsrichterin Katja Buschkröger berichtet nach Abschluss der Verhandlungen, den Klägern sei eine um zehn Prozent höhere Abfindung zugesprochen worden. Die früheren Bergleute erhalten demnach zwischen 180 Euro und 520 Euro mehr.


Zur Erinnerung: Die RAG hat vor einem Jahr für einen befristeten Zeitraum bei allen anhängigen Verfahren eine pauschale Erhöhung der Abfindungen in Höhe von 15 Prozent angeboten, also mehr als nun von den Klägern vor Gericht erstritten.

Schon bevor Richterin Janny Sell ihre Entscheidung verkündet hat, ist Albert Gottwald verbittert und konsterniert nach Hause gefahren. „Sie sehen mich sprachlos“, sagt er im Flur vor dem Saal. „Und das kommt selten vor.“