Berlin. Arzneimittelimporteure machen Hersteller für Engpässe verantwortlich. Ein SPD-Politiker fordert ein Gesetz für Versorgungssicherheit.

Als der Grippe-Impfstoff vor einem Jahr knapp wurde, ging alles schnell. Mehrere Arzneimittelimporteure erhielten eine Sondergenehmigung des Bundesgesundheitsministeriums, für Nachschub zu sorgen. Binnen drei Wochen hatte der Chef des größten deutschen Händlers Kohlpharma, Jörg Geller, den Impfstoff besorgt. In Griechenland. Der Engpass in Deutschland war dadurch vermindert – die Patienten konnte wieder geimpft werden.

Nicht immer gelingt es, so fix für Ersatz zu sorgen. Aber es ist ein Beispiel, das zeige: „Durch Importe von Medikamenten können bestehende Knappheiten beseitigt werden“, sagt Geller, der zugleich Vorstand des Verbands der Arzneimittel-Importeure Deutschlands (VAD) und Präsident des europäischen Dachverbands der Arzneimittelimporteure (EAEPC) ist. Bundesweit gibt es rund 60 Arzneimittelimporteure, wobei die vier größten – Kohlpharma, Emra-Med, Eurim-Pharm und Orifarm – knapp 60 Prozent des Umsatzes von rund drei Milliarden Euro der Branche erzielen.

Pharmaunternehmen stellen zu wenig Medikamente her

Seit Monaten fehlen in Deutschland immer wieder einzelne Arzneimittel. Mal sind es Blutdrucksenker, mal Antidepressiva oder Schmerzmittel. Aktuell sind 274 Lieferengpässe beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gemeldet. Dies heißt nicht, dass Patienten gar nicht mehr behandelt werden. Denn für die meisten Medikamente gibt es unter den 103.000 zugelassenen Produkten ein ähnlich wirkendes Präparat eines anderen Herstellers.

Dennoch steigt die Zahl der Lieferengpässe seit Jahren. Nach Ansicht der Arzneimittelimporteure sind die Hersteller der Hauptgrund für die Misere. „Die Pharmahersteller verursachen die Knappheit, weil sie zu wenig Medikamente herstellen und auf den Markt bringen“, sagt Geller. „Viele Hersteller schotten durch Quotierungen und Rabattverträge die Märkte zusätzlich ab. Manche Produzenten schließen sogar ganze Länder von der Belieferung aus, weil ihnen dort die Verkaufspreise zu niedrig sind. Dadurch wird künstlich eine Knappheit erzeugt.

„Druck auf Hersteller muss erhöht werden“

Auch der Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach, sieht die Hersteller als Hauptschuldige. „Die Pharmaunternehmen kalkulieren zu knapp und nehmen Engpässe billigend in Kauf, um am Ende daraus noch Gewinne zu schlagen. Verlierer sind die Patienten, Versicherten und Ärzte, die unter der problematischen Versorgungslage leiden und durch Zuzahlungen zur Kasse gebeten werden.“

Von der Politik fordern die Importeure deshalb strengere Anforderungen an die Hersteller. „Der Druck auf die Hersteller muss erhöht werden.“ Ziel müsse es sein, dass die Firmen die notwendige Menge an Medikamenten produzieren, damit die Warenversorgung in Europa wieder funktioniere. Dazu gehöre die Pflicht für eine längere Lagerreichweite und die Auflage, Knappheit frühzeitig zu melden. „Es ist nicht nachvollziehbar, dass ein so reiches Land wie Deutschland mit einer Arzneimittelknappheit kämpfen muss“, meint Geller.

Karl Lauterbach: „Ohne Gesetz verändert sich hier nichts“

Karl Lauterbach fordert wiederum ein Gesetz, um Engpässe zu vermeiden. „Schon im Rahmen der Rabattverträge müssten Sanktionen vereinbart werden, sollten Lieferungen nicht eingehalten werden.“ Komme es zu Umstellungen für Patienten, müsse die Preisdifferenz vom Hersteller bezahlt werden, dessen Medikament nicht verfügbar ist.

„Es darf nicht weiterhin so sein, dass Patienten bei Engpässen zuzahlen müssen, während die Hersteller dafür nicht zur Kasse gebeten werden.“ Für Medikamente und Wirkstoffe, bei denen immer wieder Engpässe auftauchen, sollte die Produktion am besten nach Deutschland zurückverlagert werden, so Lauterbach: „Ohne Gesetz verändert sich hier nichts.“

Grund für die Engpässe sind laut Geller aber auch die teilweise sinkenden Preise im Pharmamarkt. Immer mehr Hersteller haben ihre Produktion in Länder verlegt, wo die Herstellung günstiger ist – unter anderem nach Indien, China oder Israel. „Deutschland ist längst nicht mehr die Apotheke der Welt.“ Manche Medikamente – wie Ibuprofen – würden so billig verkauft, dass sich die Herstellung kaum mehr lohne, sodass sie weltweit knapp werden.

Antibiotika in der Tiermast: Verbote gefordert

Hochproblematisch sei die Situation bei Antibiotika. „Es gibt in Europa keinen Hersteller mehr, der Antibiotika produziert“, sagt Geller. „Gleichzeitig führt der Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht zu einem Riesenproblem. Wir werden dadurch in einiger Zeit kein wirksames Antibiotikum mehr haben, das wirkt.“

Geller fordert deshalb auch dringend ein Verbot von Antibiotika in der Tiermast: „Das würde übrigens ganz nebenbei zu einer artgerechteren Tierzucht führen, da die Tiere großzügiger gehalten werden müssen.“ Zudem müsste wieder in die Erforschung alternativer Antibiotika investiert werden.

Die Arzneimittelimporteure sehen eine ihrer Geschäftsaufgaben darin, Deutschland mit preisgünstigen Medikamenten zu versorgen. „Dazu werden Arzneimittel in europäischen Nachbarländern zu einem günstigeren Preis eingekauft und hierzulande wieder an Großhändler und Apotheken weiterverkauft“, erläutert Geller. „Im Durchschnitt sind die Medikamente aus dem Ausland rund zehn Prozent billiger.“

Einsparungen von 2,6 Milliarden Euro

2018 kamen 12,9 Prozent aller verschreibungspflichtigen Arzneimittel in Deutschland aus dem Import – vor allem aus Frankreich, Großbritannien und Italien. Die Einsparungen für die Krankenkassen und Patienten beziffert Geller auf rund 264 Millionen Euro. Hinzu kommen nach einer Studie indirekte Einsparungen von 2,6 Milliarden Euro. Diese entstehen dadurch, dass durch Importe das Preisniveau insbesondere für Arzneimittel, die dem Patentschutz unterliegen, immer weiter sinkt.

Die deutschen Arzneimittelimporteure handeln mehr als 3000 Produkte. In der Regel sind es rezeptpflichtige Medikamente, die durchschnittlich mehr als 70 Euro je Packung kosten. „Alle Import-Arzneimittel sind Originalmedikamente aus der EU – nur billiger“, sagt Geller.

Hintergrund: Das regelt das Brexit-Abkommen

Die Knappheit am europäischen Arzneimittelmarkt könnte sich laut Geller im nächsten Jahr mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU noch verschärfen. „Wir befürchten, dass wir nach dem Brexit nicht mehr in Großbritannien Medikamente einkaufen können.“ Gleichzeitig könne Großbritannien aber weiter in der EU Medikamente einkaufen. „Dann ist der Markt schnell im Ungleichgewicht.“

Parallelimporte und Reimporte in Europa

Beim Einführen von Arzneimitteln handelt es sich um Parallelimporte oder um Reimporte. Bei Parallelimporten produziert ein Hersteller etwa in Irland. Er beliefert von dort europäische Länder, gleichzeitig führen deutsche Importeure vom dortigen Markt die Medikamente ein.

Bei Reimporten werden Medikamente in Deutschland produziert und ins Ausland exportiert. Von dort kaufen die deutschen Importeure die Medikamente günstiger ein und führen sie wieder nach Deutschland ein.