Bochum. Vor fünf Jahren rollte in Bochum der letzte Opel vom Band. „GM wollte das Werk weghaben“, sagt der frühere Betriebsratschef Rainer Einenkel.
Rainer Einenkel kommt mit einem Citroën. Einen Opel fährt er schon lange nicht mehr. Zehn Jahre lang war Einenkel Betriebsratschef im Bochumer Autowerk. Vor fünf Jahren hat er miterlebt, wie dort das letzte Auto vom Band rollte. „So etwas vergisst man nicht“, sagt Einenkel. Als Ort für ein Gespräch über die Werksschließung und die Zeit danach hat Einenkel eine McDonald’s-Filiale am Rande des Opel-Areals ausgewählt. Es gibt Espresso und einen unverstellten Blick auf das einstige Werksgelände. In der Ferne leuchtet das Gelb des neuen Paketzentrums von DHL. Daneben wird noch gebaut. Wo sich einst das Presswerk von Opel befand, rollen Bagger.
Einenkel ist jetzt 65. Nach der Werksschließung ist er in die Transfergesellschaft gewechselt, die einen Großteil der Belegschaft aufgefangen hat. Es folgte eine Phase der Arbeitslosigkeit. Mittlerweile ist Einenkel Ruheständler. Die einstige Opel-Mutter General Motors überweist regelmäßig eine Betriebsrente.
„Die Schließung zog sich über zehn Jahre hin“
„GM wollte das Werk weghaben“, erinnert sich Einenkel. „Die Schließung zog sich über zehn Jahre hin. Das hat sich in der Gefühlswelt der Menschen niedergeschlagen.“ In dieser Phase entschied sich Einenkel dafür, Angriff als die beste Verteidigung zu betrachten. Wann immer er konnte, trommelte er für Opel in Bochum.
Als das Unternehmen am 5. Dezember 2014 die Autoproduktion in der Ruhrgebietsstadt einstellte, ging für Einenkel ein Lebensabschnitt zu Ende. Er habe eine gewisse Zeit gebraucht, um dies zu verinnerlichen, sagt er. 43 Jahre im Betrieb, die Betriebsratsarbeit, ein Mandat im Opel-Aufsichtsrat, „60-Stunden-Wochen“ und unzählige Schlachten mit der Konzernleitung hinterlassen Spuren in der Seele. „Wir haben sehr emotional zu der Firma gestanden“, erzählt Einenkel.
Zeitzeuge einer vergangenen industriellen Ära
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Jetzt steht das Leben mit seiner Frau und seinen drei Kindern im Vordergrund, nicht mehr die Opel-Familie. Seinen Tag verbringt Einenkel mit langen Waldspaziergängen im Städtedreieck Witten-Bochum-Dortmund, mit Gartenarbeit und Fotografieren. „Dann habe ich meinen Frieden“, sagt er.
Nebenbei tritt Einenkel als Zeitzeuge einer vergangenen industriellen Ära auf. Kürzlich war er beim örtlichen Lions-Club, um auf die Schließung zurückzublicken. Im Mai ist Einenkel beim Tag der Arbeit aufgetreten. Das Interesse an Opel als Stück Stadtgeschichte sei groß, erzählt er. Er höre oft die Aufforderung: „Erzähl uns doch mal was darüber.“ Fast jeder Bochumer habe schließlich einen Verwandten, Freund oder Vereinskameraden, der mal bei Opel gearbeitet habe.
Wenn dieser Tage über die Zukunftspläne für die Opel-Fläche gesprochen wird, erinnert Einenkel auch an die vielen gutbezahlen Arbeitsplätze, die verschwunden sind. Von den rund 3500 Menschen, die am letzten Tag bei Opel beschäftigt waren, hätten zwar viele eine neue Beschäftigung gefunden, aber viele Stellen seien schlechter bezahlt, gibt der ehemalige Betriebsratschef zu bedenken. Über Facebook-Gruppen hält er Kontakt zu früheren Kollegen.
Zukunftspläne für das Bochumer Opel-Areal
Die Hallen von Opel in Bochum sind abgerissen – und die Post-Tochter DHL hat in relativ kurzer Zeit neue Gebäude aufgebaut. Seit wenigen Tagen läuft der Betrieb in einem riesigen Paket-Verteilzentrum. Die Liste der Unternehmen und Institute, die sich darüber hinaus auf dem Opel-Gelände ansiedeln wollen, ist lang: Der Onlinehändler Babymarkt, die Krankenkasse Viactiv, die Ruhr-Universität und die IT-Firma Escrypt, eine Tochter des Weltkonzerns Bosch, gehören dazu. Auch ein neues Max-Planck-Institut für Cyber-Sicherheit kommt in die Revierstadt. Etwa 6000 Jobs sind es, die nun nach Darstellung von Oberbürgermeister Thomas Eiskirch auf der Fläche entstehen. Hoffnungen ruhen zudem auf Volkswagen Infotainment – die Konzerntochter von VW entwickelt Kommunikations- und Steuergeräte für Autos.
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Einenkel spricht anerkennend über die Zukunftspläne für das Opel-Areal. Es sei schon einiges auf die Beine gestellt worden – „und hoffentlich kommt noch mehr dazu“. Versöhnlich wirkt, dass der Citroën-Berlingo, den Einenkel nun fährt, aus der Produktion des heutigen Opel-Mutterkonzerns PSA stammt. Für das Auto habe er sich entschieden, weil es sich sehr gut für den Transport seiner beiden Hunde eigne, „zwei griechische Mischlinge“, wie er sagt, aus dem Tierheim. Die Hunde sollen auf einer Müllkippe gelebt haben, bevor sie nach Deutschland gebracht wurden. Bei Rainer Einenkel haben sie jetzt ein neues Zuhause.