Düsseldorf. Zur Schadensregulierung beim Wildunfall reichen hochgeladene Fotos. Ergo-Deutschlandchef Kassow glaubt dennoch an Zukunft von Geschäftsstellen.
Die Ergo-Gruppe ist nach der Allianz der zweitgrößte deutsche Versicherer. Ihr Deutschlandchef Achim Kassow sitzt im 24. Stock des markanten Büroturms unweit des Düsseldorfer Rheinufers. In der Ergo-Zentrale arbeiten rund 4000 Menschen. Im Ruhrgebiet arbeiten die Regionaldirektionen Duisburg, Essen und Dortmund mit rund 335 Vertriebspartnern zusammen. Deren Arbeit verändert die Digitalisierung, wie Kassow im Gespräch mit Frank Meßing berichtet.
Herr Kassow, Banken und Versicherungen werden immer digitaler und verlagern Dienstleistungen ins Internet. Werden die Geschäftsstellen und Außendienstmitarbeiter der Ergo bald der Vergangenheit angehören?
Achim Kassow: Klares Nein! Unsere Agenturen und Vermittler haben einen ganz wichtigen Job – der sich aber, das stimmt, verändert. Zugespitzt gesagt: Unsere Mitarbeiter vor Ort geben heute nicht mehr nur die elektronische Versicherungsbestätigung heraus. Sie sind heute Berater, Partner für unsere Kunden. Gerade in digitalen Zeiten. Je mehr die Technik unser Leben prägt, desto wichtiger wird das persönliche Gespräch. Hier sind wir gut aufgestellt: Im Umkreis von zehn Kilometern gibt es deutschlandweit mindestens eine Ergo-Agentur.
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Wird Künstliche Intelligenz den Job Ihrer Schadensabteilung übernehmen, wenn es darum geht zu überprüfen, ob wirklich ein Fuchs ins Auto des Kunden gelaufen ist und die Beule verursacht hat?
Künstliche Intelligenz verändert unsere Prozesse fundamental. Früher haben wir bei jeder Art von Tierschaden einen Sachverständigen herausgeschickt, damit der sich vor Ort ein Bild macht. Heute lädt der Kunde bei kleineren Beschädigungen, beispielsweise durch einen Fuchs, die Fotos selber direkt in seiner Online-Schadenmeldung hoch und wir kalkulieren den Schaden mittels moderner Bilderkennungsmethoden, und das in maximal zwei Stunden. Das hilft uns – aber auch dem Kunden, der nun das Geld oft schneller auf dem Konto hat.
Verbraucher kaufen mit dem Smartphone ein und können mit wenigen Clicks jetzt sogar Kredite abschließen. Gehen Sie als Versicherer da mit?
Auch wir wollen die Abläufe einfach gestalten, deshalb haben wir unsere IT kräftig modernisiert. Ich sage aber auch: Ein Smartphone-Display hat nicht genug Platz für das ganze Leben eines Menschen. Vor allem beim Abschluss komplexerer Produkte wie einer privaten Kranken- oder Lebensversicherung will der Kunde weiter persönlich beraten werden. Es mag altmodisch klingen, aber es geht auch in digitalen Zeiten um Vertrauen – und dafür müssen Sie sich manchmal in die Augen gucken.
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Oft ist man enttäuscht, dass der Beitragsrechner für Versicherungen im Internet einen viel niedrigeren monatlichen Satz ausspuckt als beim konkreten Vertragsabschluss dann herauskommt.
Man darf die Menschen nicht verunsichern und ihnen das Gefühl geben, sie hätten etwas falsch gemacht. Deshalb gilt bei uns ein Preis – egal, über welchen Kanal Sie bei uns Verträge abschließen.
Wenn Sie als Versicherungskonzern die digitale und die stationäre Welt parallel betreiben, bedeutet das auch doppelten Aufwand?
Durchaus. Ich mache es mal konkret: Wir erwarten für 2019 ein Geschäftsergebnis von rund 400 Millionen Euro – und haben seit 2016 fast eine Milliarde Euro in unsere IT investiert. Das ist ein enormer finanzieller Kraftakt. Die Investitionen brauchen wir aber, um den veränderten Erwartungen unserer Kunden zu genügen. Wir bieten unseren Kunden vermehrt digitale Services und verschlanken gleichzeitig die internen Prozesse, das senkt Kosten. Der technische Fortschritt ermöglicht es uns, Prüfvorgänge und stark routinemäßige Verwaltungstätigkeiten zu automatisieren.
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Erwarten Sie ein Ende der Zinsflaute?
Leider nein. Ich glaube vielmehr, dass wir uns mitten in einer regelrechten Niedrigzins-Ära befinden. Das trifft uns hart und natürlich auch unsere Kunden. Ganz deutlich ist dies bei Lebensversicherungen. Deshalb haben wir hier unsere Produktpalette deutlich modernisiert, unsere Kunden können damit breiter investieren und Kapitelmarktchancen nutzen.
Elektromobilität, autonomes Fahren, Carsharing, E-Scooter – ist Ergo auf die Absicherung der neuen Formen von Mobilität vorbereitet?
„New mobility“ ist ein gewaltiges Thema für uns Versicherer. Es gibt immer mehr Mobilitätsformen – und hierfür brauchen wir neue Versicherungsangebote. So wird ja mittlerweile oft diskutiert, ob eigentlich jeder sein eigenes Auto braucht und ob es Sinn macht, dass es die meiste Zeit des Tages ungenutzt abgestellt ist. Die klassische Variante, dass unsere Kunden ein eigenes Auto fahren und über Jahrzehnte bei uns versichert sind, ist vermutlich nicht mehr die Zukunft. Carsharing oder Autoleasing mit flexibler Laufzeit werden stattdessen immer wichtiger. Auch werden wir unsere Reisen künftig immer stärker digital durchplanen und dabei für eine Strecke das Mietauto, die Bahn und vielleicht auch noch das Flugzeug nutzen. Aber das wirft natürlich auch viele Fragen für uns auf. Zum Beispiel, ob sich das Verhalten eines Nutzers ändert, wenn ihm das Auto nicht mehr gehört, also ob das Risiko für einen Unfall oder Schaden steigt. Darauf müssen wir uns einstellen.
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Ergo will jetzt auch chinesische Autofahrer versichern. Gibt es in Deutschland und Europa nicht mehr genug zu tun?
China zählt, neben Deutschland und den USA, zu den drei wichtigsten Automobilmärkten. Durch unsere neue Partnerschaft mit Great Wall Motors bekommen wir nun direkten Zugang zum chinesischen Automobilmarkt – und das Potenzial dort ist riesig. Allein letztes Jahr wurden in China 22 Millionen Autos neu zugelassen, in Deutschland waren es gerade einmal rund drei Millionen. Deshalb ist China für uns so interessant, hier können wir neue Geschäftsmodelle entwickeln und ausprobieren. Unser Heimatmarkt Deutschland bleibt aber für uns enorm wichtig, wir haben deshalb jüngst unsere Angebote in der Kfz-Versicherung deutlich verschlankt und modernisiert.
Werden Sie auch autonom fahrende Autos versichern, mit denen Sie überhaupt noch keine Erfahrung haben?
Noch fahren diese Autos nur auf Teststrecken oder „unter Aufsicht“. Insofern muss man sehen, wie sich das weiterentwickelt. Es liegt aber in der Natur unseres Geschäfts, dass wir Risiken versichern. Das war mit den ersten Eisenbahnen und Autos nicht anders.