Düsseldorf. Raffinerie-Abfall von Shell ist jahrelang als „Petrolkoks“ verkauft worden. Auch die Steag mischte mit. NRW-Umweltministerin schaltet sich ein.
Raffinerie-Rückstände des Mineralölkonzerns Shell, die vom NRW-Umweltministerium mittlerweile als gefährlicher Abfall eingestuft werden, sind nicht nur in Kraftwerken, sondern auch in der Bottroper Kokerei des Stahlkonzerns ArcelorMittal zum Einsatz gekommen. Das geht aus einem Bericht hervor, den Landesumweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) vorgelegt hat. Demnach sind knapp 12.000 Tonnen des Materials, das als „Petrolkoks“ deklariert wurde, in den Jahren 2015 bis 2017 in der Kokerei von ArcelorMittal verbraucht worden.
Nach heutigem Stand seien die Raffinerie-Rückstände aus der Schwerölvergasung des Shell-Standorts Wesseling „als gefährlicher Abfall einzustufen“, heißt es im Bericht des Ministeriums, und der Einsatz des Materials in Kraftwerken oder industriellen Anlagen „hätte mit dem Wissen von heute nicht als Petrolkoks“ genehmigt werden dürfen.
Tonnenweise Raffinerie-Ruß in Kohlekraftwerken
ArcelorMittal erklärte indes auf Anfrage, dass die Verwendung von Petrolkoks von der zuständigen Bezirksregierung genehmigt worden sei. Shell hatte ebenfalls betont, der „abfiltrierte Ruß“ aus der Raffinerie sei mit behördlichen Genehmigungen genutzt worden.
Allein in den Steag-Kraftwerken Herne und Lünen sind dem Ministeriumsbericht zufolge über mehrere Jahre hinweg rund 87.500 Tonnen beziehungsweise 65.000 Tonnen der Raffinerie-Rückstände verbrannt worden. Insgesamt sind zahlreiche Industriestandorte betroffen, darunter zwei weitere Kraftwerke, eine Zinkhütte und zwei Ziegeleien, wie das Umweltministerium mitteilte. Die Namen der Betreiberfirmen sind in dem Bericht für den Umweltausschuss des Landtags geschwärzt, da noch keine Zustimmung der Unternehmen zu einer Veröffentlichung vorliegt.
„Ein solcher Etikettenschwindel ist nicht akzeptabel“
„Dass sich nun nach Jahren herausstellt, dass vermeintlicher Petrolkoks aus der Shell-Raffinerie eigentlich gefährlicher Abfall ist, wirft Fragen auf“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Michael Hübner, unserer Redaktion. „Ein solcher Etikettenschwindel ist nicht akzeptabel.“ Die Landesregierung sei gefordert, für Transparenz zu sorgen. „Es gehört an die Öffentlichkeit, in welchen Anlagen die Raffinerie-Rückstände eingesetzt worden sind.“
Auch der Mineralölkonzern Shell sollte „die Karten auf den Tisch legen“, mahnte Hübner. „Shell dürften über Jahre hinweg erhebliche finanzielle Vorteile entstanden sein. Schließlich ist Material, das eigentlich als Sondermüll entsorgt werden muss, als Produkt auf den Markt gekommen.“
NRW-Umweltministerin Heinen-Esser verteidigte die Schwärzungen der Unternehmensnamen im Bericht für den Landtagsausschuss. „Die geschwärzten Unternehmen berufen sich auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“, erklärte sie über den Kurznachrichtendienst Twitter. „Wir sehen das anders, müssen den Firmen aber zwingend Gelegenheit zur Anhörung geben. Das ist geltende Rechtslage in Deutschland.“
NRW-Umweltministerium verweist auf „intensive Recherchen“
Das NRW-Umweltministerium ist eigenen Angaben zufolge im Zusammenhang mit der Beseitigung von Ölpellets aus der Raffinerie des Aral-Mutterkonzerns BP in Gelsenkirchen-Scholven auf die Vorgänge rund um die Shell-Raffinerie in Wesseling bei Köln aufmerksam geworden. Daher habe es Nachforschungen zu den Rückständen aus der Schwerölvergasung von Shell gegeben.
Bei „intensiven Recherchen“ haben sich nach Angaben des Ministeriums Hinweise darauf ergeben, dass die Raffinerie-Rückstände nicht als „Petrolkoks“ einzustufen sind. Gründe seien ein hoher Wassergehalt und eine Belastung mit Schwermetallen. So weise der Raffinerie-Rückstand von Shell im Vergleich zu „handelsüblichem Petrolkoks“ nach bisherigem Kenntnisstand höhere Gehalte von Nickel, Vanadium und Schwefel auf.
Wie viel Material als „Petrolkoks“ in Kraftwerken verbrannt wurde, wollte Shell auf Anfrage nicht mitteilen. Shell verwies auf „Wettbewerbsgründe“. Abnehmer sei die Gladbecker Firma Mineralplus gewesen – eine Steag-Tochter. Auf der Website des Unternehmens steht: „Wir sind spezialisiert auf die Entsorgung von industriellen Abfällen und auf die Produktion von Baustoffen aus Abfällen.“
Mitarbeiter der Wanne-Herner Eisenbahn besorgt
Mitarbeiter der Wanne-Herner Eisenbahn (WHE), die im örtlichen Hafen in Kontakt mit dem Raffinerie-Rückstand gekommen waren, hatten sich besorgt gezeigt. Sie berichteten unter anderem über Reizungen von Luftwegen, Augen und Haut.
In dem nun vorliegenden Bericht des Umweltministeriums heißt es zu einer möglichen Belastung der Luft im Umfeld der Steag-Standorte: „Eine erste Sichtung der für den Einsatzzeitraum noch vorliegenden Ergebnisse der Emissionsüberwachung der beiden Steag-Kraftwerke in Herne und Lünen ergab, dass dort keine Hinweise auf eine Überschreitung der entsprechenden Grenzwerte für Vanadium und Nickel vorliegen.“
SPD-Fraktionsvize Hübner sieht gleichwohl Klärungsbedarf. „Es muss zu jedem Zeitpunkt ausgeschlossen werden können, dass eine gesundheitliche Gefährdung der Menschen an den Verbrennungsstandorten ausgeschlossen ist und war“, sagte er. „Hier erwarte ich auch Transparenz.“