Essen. Die Chemie-Branche schlägt Alarm, weil die dringend nötige Sanierung der Kanalschleusen im Ruhrgebiet stockt. Der Grund: Dem Bund fehlt Personal.
Die maroden Kanäle und Schleusen im Ruhrgebiet sind nach Einschätzung des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) ein „nicht mehr kalkulierbares Risiko und nicht akzeptabel“. Am Vortag der geplanten Anhörung im NRW-Landtag fordern die Unternehmen den Bund auf, rasch den „eklatanten Personalmangel bei den zuständigen Bundesbehörden“ zu beseitigen. Nach Angaben des VCI fehlen allein 42 Stellen, um den Wesel-Datteln-Kanal zu ertüchtigen. „Ohne Schleusensanierung fällt die Wirtschaft ins Wasser“, warnt der VCI NRW.
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Die Lage ist dramatisch: Die Nischenpoller an den sechs Schleusen des Wesel-Datteln-Kanals sind so marode, dass menschliche „Festmacher“ eingestellt werden mussten, die Schiffe beim Schleusungsvorgang sichern. Tore sind verrostet und Kammern bröckeln. Auch die Brücken über dem Kanal gelten als reparaturbedürftig. Dabei gehört der Wesel-Datteln-Kanal zu den bedeutendsten Verkehrsadern in Deutschland.
10.000 Beschäftige im Chemiepark Marl betroffen
Auf ihn ist vor allem der Chemiepark Marl mit rund 10.000 Mitarbeitern und rund 3,5 Millionen Tonnen Schiffsumschlag pro Jahr angewiesen. Der Verbundstandort ist die größte Produktionsstätte für den Essener Chemiekonzern Evonik, der seit geraumer Zeit unter dem schlechten Zustand der Schleusen leidet. „Wenn wir unsere Schiffe, die Rohstoffe nach Marl bringen sollen, nicht voll beladen können, haben wir ein Problem“, sagte Evonik-Chef Christian Kullmann unlängst im WAZ-Interview. Er forderte eine rasche Lösung. „Falls es der Bund nicht schafft, springen wir notfalls auch als Unternehmen ein. Entscheidend ist, dass die Schleusen schnell repariert werden: Zeitverzögerungen kosten Geld“, so Kullmann.
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Den Forderungen des Evonik-Chefs schließt sich nun die gesamte Chemiebranche in NRW an: „Der gegenwärtige Verfall ist bereits nicht mehr mit Gegenmaßnahmen aufzuholen. Das ist aus Sicht des Industriestandortes NRW ein nicht mehr kalkulierbares Risiko und nicht akzeptabel“, sagt Gerd Deimel, Sprecher des VCI NRW Aktionsbündnisses Verkehrsinfrastruktur. Der Wesel-Datteln-Kanal spiele bei der Versorgung der Bevölkerung, der Grundstoffindustrie und der weiterverarbeitenden Unternehmen eine „entscheidende Rolle“.
Bundesverwaltung fehlen 42 Mitarbeiter
Deimel kritisiert, dass die Sanierung des Wesel-Datteln-Kanals bereits im Bundesverkehrswegeplan 2016 „mit hoher Dringlichkeit“ versehen worden sei. Bislang sei aber keinerlei Bauaktivität angestoßen worden. Im Gespräch mit der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) hat der Verband nach eigenen Angaben nun erfahren, dass 42 Stellen fehlten, die für den Ausbau des Wesel-Datteln-Kanals erforderlich seien. Für das weitere westdeutsche Kanalnetz seien zusätzlich zwölf Arbeitsplätze unbesetzt. Ein Sprecher des federführenden Bundesverkehrsministeriums wollte die Zahlen auf Anfrage nicht bestätigen.
Bei einer Regionalkonferenz Ende Mai im Duisburger Landschaftspark Nord hatten Bundes- und Landesregierung noch Aufbruchstimmung verbreitet. Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, kündigte damals an, dass der Bund zwei Milliarden Euro in das westdeutsche Kanalnetz investieren werde. Bis zum Jahr 2030, so der CDU-Politiker, sollten alle Kanalbrücken in der Region angehoben werden, um Binnenschiffen mit zwei Lagen Containern die Durchfahrt zu ermöglichen.
Um Schleusen, Düker und Uferbefestigungen zu überholen, versprach Ferlemann ein zusätzliches Planungsteam mit bis zu zehn Ingenieuren ins Revier zu entsenden, um den Modernisierungsstau abzuarbeiten. „Das Ruhrgebiet ist einfach wichtiger“, sagte er vor einigen Wochen in Duisburg. Die Verlegung der Mitarbeiter sei aktuell „in der Umsetzung“, teilte das Ministerium mit. Auch Hendrik Schulte, Staatssekretär im NRW-Verkehrsministerium, hatte bei derselben Veranstaltung betont, dass es an vielen Kanal-Bauwerken im Ruhrgebiet schon „später als fünf vor zwölf“ sei.
Dieser Einschätzung schließt sich auch die Chemieindustrie an. Bei einer Anhörung am Mittwoch um 16 Uhr im Düsseldorfer Landtag will ihr Verband noch einmal Druck auf die Politik ausüben. „Ein Handeln der zuständigen Bundesbehörden ist jetzt dringend geboten. Darauf sollten alle NRW-Akteure drängen“, fordert Gerd Geimel vom Aktionsbündnis. Der VCI NRW vertritt die Interessen von rund 500 Chemieunternehmen mit 100.000 Mitarbeitern.