Hagen. Der Manager Jürgen Jentsch über „Survival Chinese“ und wieso die Verdoppelung der Kapazität von CD Waelzholz im Eiltempo klappt.
Der SPD-Politiker Sigmar Gabriel wird nicht müde, vor dem aufstrebenden China zu warnen, nicht erst seit gestern. Er hat es schon getan, als er noch Außenminister war, und das ist ja schon eine Weile her. Es vergeht kaum eine Veranstaltung, auf der der Genosse nicht das Szenario beschreibt, dass China und die USA als G2 die Welt unter sich aufteilen. Vorerst. Denn das eigentliche Ziel der Asiaten ist in jeder Beziehung wirtschaftlich die Nummer eins zu werden. China ist zielstrebig dabei, Schlüsseltechnologien nicht mehr nur abzukupfern, sondern zu bestimmen. Der Hagener Jürgen Jentsch beobachtet die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft hautnah und hat eine Menge Sympathien für die chinesische Mentalität entwickelt.
Survival Chinese
Der 63-jährige Manager von CD Waelzholz (CDW) baute in Taicang nahe Shanghai das erste Kaltwalzwerk eines deutschen Unternehmens in der Volksrepublik auf.
Ginge es nach Jentsch, „sollte an jeder Schule Chinesisch unterrichtet werden. Chinesisch wird genauso wichtig wie Englisch“, ist der Manager des Hagener Unternehmens CD Waelzholz überzeugt. Seit Jahren lebt der gebürtige Hohenlimburger mit seiner Frau in China, heute in der 20 Millionen Einwohner großen Metropole Shanghai.
Für Jentsch war Asien damals eine große Unbekannte. Dennoch: „Es war eigentlich nicht mutig. Wir waren beide um die 50 und meine Frau ist ohnehin Kosmopolitin.“ Auch der Ingenieur der Werkstoffkunde hatte Lust auf einen Tapetenwechsel und die Herausforderung, in Taicang mit dem Werksbau Pionierarbeit zu leisten: „Komplett mit Glühe, Walze und Schere.“ Bereits seit 2007 ist das Kaltwalzunternehmen CD Waelzholz in Taicang aktiv mit einem Service-Center und einem Joint Venture, das gemeinsam mit dem süddeutschen Federnspezialisten Kern Liebers betrieben wird.
Das Wachstum im asiatischen Markt und die Anforderung von Kunden, die ihre Zulieferer vor Ort wissen wollen, haben mittlerweile viele südwestfälische Mittelständler ins Reich der Mitte gelockt (siehe Infobox).
Unternehmen aus Südwestfalen in China
Allein im Bezirk der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer zu Hagen unterhalten 35 Firmen eine Niederlassung in China, 25 sogar eine eigene Produktionsstätte, wie eben CD Waelzholz. 2018 exportierten aus dem SIHK-Bezirk 140 Unternehmen nach China, den in dieser Beziehung mittlerweile fünftgrößten Markt für die Unternehmen in der Region.
Aus dem Bereich der IHK Siegen exportieren 148 Unternehmen nach China, 18 verfügen dort über eine Niederlassung, sieben über eine eigene Produktion.
Für Nordrhein-Westfalens Wirtschaft insgesamt ist die Bedeutung Chinas als Handelspartner in den letzten Jahren enorm gestiegen. Produkte im Wert von 11,8 Milliarden Euro wurden 2018 von hier in Richtung China exportiert. Ein Plus von 6,2 Prozent gegenüber 2017 und beinahe ähnlich so viel wie die Ausfuhren in die USA (13,2 Milliarden Euro Export aus NRW im Jahr 2018).
CD Waelzholz betreibt seit 2014 in Taicang, einer Millionenstadt etwa 60 km nördlich von Shanghai, das erste deutsche Kaltwalzwerk in China. Hervorgegangen ist das Werk aus dem Service Center Waelzholz New Material Co., Ltd., eine 100-prozentige Waelzholz-Tochter, die seit 2007 den asiatischen Markt mit Bandstahlprodukten versorgt. Das Kaltwalzwerk mit rund 180 Beschäftigten verfügt über modernste Produktionsanlagen auf einer Produktionsfläche von über 10.000 qm. Gerade wird eine weitere, rund 10.000 qm große Halle gebaut. Die Inbetriebnahme der neuen Anlagen ist für Ende 2020 geplant.
Mentalitätswechsel
Jürgen Jentsch gehört im Raum Taicang, wo viele deutsche Unternehmen angesiedelt sind, zu den erfahrenen Managern oder – wie er es selbst ausdrückt – „Expats“. Englisch ist in der Managerszene in China nach wie vor die Umgangssprache. Zwar hatte der Hohenlimburger vor dem Wechsel nach Asien Chinesisch-Unterricht und die Besonderheiten der Kultur kennengelernt, „aber richtig sprechen können meine Frau und ich heute noch nicht“. Als „Survival chinese“ bezeichnet der 63-Jährige seine Kenntnisse. Es reiche für das Taxifahren oder um einzukaufen. Rund 60.000 verschiedene Zeichen gebe es in der Sprache. 4000 bis 5000 seien bekanntlich nötig, um sich auf Bildzeitungsniveau zu bewegen.
Dass die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und China in den letzten zwei, drei Jahrzehnten deutlich enger geworden sind, sei auch daran abzulesen, dass die junge Generation deutscher „Expats“ mittlerweile sehr wohl chinesisch spreche und auch Kontakte zu Einheimischen pflege – während Jentsch und seine Frau sich überwiegend in Shanghai unter Europäern bewegten.
Ehrlichkeit zahlt sich aus
Für den Job sei aus Sicht des Waelzholz-Managers aber etwas anderes entscheidend: „Wichtig ist, dass sie gegenüber den Mitarbeitern ehrlich sind, die Menschen fair behandeln und ein möglichst konstantes Verhalten an den Tag legen.“ Im Grunde gleiche Werte, wie sie auch hierzulande selbstverständlich sein sollten. Unterschiede gibt es dennoch: „Was in China gnadenlos gut ist, ist die Flexibilität. Im chinesischen Denken werden Dinge nicht langfristig vorbereitet, sondern sofort angegangen. So sind Projekte innerhalb kürzester Zeit umsetzbar.“ Das gelte nicht nur für staatliche Infrastrukturprojekte wie die Industriegebiete, sondern auch im Betriebsalltag.
Zwei Jahre wird Jürgen Jentsch noch an der Spitze von CD Waelzholz in Taicang stehen, dann läuft seine Arbeitserlaubnis ab. Mit 65 Jahren ist in China Schluss für ausländische Spitzenkräfte. Bevor es zurück ins beschauliche Deutschland geht, steht für Jentsch noch einmal die Verdoppelung der Kapazität im Kaltwalzwerk. Der Rohbau für eine neue Halle steht bereits. Ende 2020 soll die Produktion anlaufen, um von dort den gesamten asiatischen Markt gesichert mit hochwertigen Kaltwalzprodukten in gewohnter Hagener Qualität beliefern zu können. Dann erst wird Jentsch die Koffer packen und die Zelte im Reich der Mitte abbrechen. Zurück in die Heimat geht es 2021 – nicht ins Sauerland, wo Jentsch herkommt. Es zieht ihn und seine Frau in die Rheinmetropole Köln, die gegenüber dem mächtigen Shanghai heute schon beinahe ländlich erscheint.