Herne. Wenn Klimaschutz aus den Stadtteilen heraus organisiert wird, kann die Energiewende gelingen. Zu dem Schluss kommt Innovation City.

Über Jahrzehnte hat das Ruhrgebiet von der Steinkohle gelebt und sie zur eigenen Energieversorgung mit rauchenden Schloten auch verfeuert. Ausgerechnet dieses Ruhrgebiet soll nun Vorreiter für den Klimaschutz in Deutschland und darüber hinaus werden. Dass das funktionieren kann, davon ist Burkhard Drescher überzeugt. Der Chef der Klimainitiative Innovation City hat nicht nur in der Modellstadt Bottrop unter Beweis gestellt, dass durch Häuserdämmung, neue Fenster und Heizungen sowie Photovoltaik auf dem Dach eine Menge des Klimakillers CO2 eingespart werden kann. In den vergangenen drei Jahren hat Drescher auch die Potenziale von 20 Wohngebieten in 17 weiteren Revierstädten untersucht. Sein Ergebnis: „Klimaschutz ist machbar, wenn er von unten organisiert wird.“

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Es war 2016, als der große „Roll out“ von Innovation City begann. Von Wesel bis Hamm und Oer-Erkenschwick bis Mülheim suchte die Initiative 20 Quartiere aus, in denen zusammen 212.000 Menschen in 38.623 Gebäuden leben und arbeiten. Mit 58 Quadratkilometern ist die Fläche so groß wie der New Yorker Stadtteil Manhattan. Das Team um Geschäftsführer Burkhard Drescher führte seither 283 Gespräche mit mehr als 2000 Akteuren – Kommunen, Versorger, Immobilien-Eigentümer. Die Ergebnisse präsentierten sie am Montag im Herner Kulturzentrum.

1738 Revierbürger befragt

Danach gaben knapp 40 Prozent der überdies befragten 1738 Revierbürger an, ihre Wohnungen oder Häuser in den nächsten fünf Jahren energetisch sanieren zu wollen. Eine Botschaft, die bei der nach Herne geeilten Bundesumweltministerin Svenja Schulze besonders gut ankommt. „Die Modernisierung von Gebäuden macht mir wirklich große Sorgen“, sagt die SPD-Politikerin. Sie fordert mehr Tempo. Denn neben der Industrie zählen Häuser mit einem Anteil von über 40 Prozent zu den größten CO2-Verursachern. „Das Dämmen der Fassaden reicht nicht aus. Innovation City zeigt, dass es viele innovative Lösungen gibt“, so Schulze. „Vom Ruhrgebiet kann das Signal ausgehen, dass Klimaschutz von unten funktioniert“, erklärt die ehemalige NRW-Wissenschaftsministerin.

„Heute ist Essen Grüne Hauptstadt“

Viel Lob erhält Innovation City auch von NRW-Europaminister Stephan Holthoff-Pförtner (CDU). Als Willy Brandt Anfang der 60er Jahre bei einer Rede in der Essener Innenstadt vom „blauen Himmel über der Ruhr“ sprach, habe er als Schüler „vor Lachen auf dem Boden gelegen“. Holthoff-Pförtner: „Heute ist Essen Grüne Hauptstadt.“

Wie dramatisch die Lage werden könnte, macht Hannes Taubenböck, Professor am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln, deutlich. Im Falle eines durch Klimaveränderung bedingten extremen Hochwassers des Rheins seien allein in Duisburg fast 300.000 Menschen nicht nur durch voll gelaufene Keller betroffen – 60 Prozent der Einwohner. „Beim Klimaschutz müssen wir deshalb zusammenarbeiten und größer denken“, so Taubenböck.

270.000 Fässer Heizöl einsparen

Die beunruhigenden Zahlen, die Innovation City im Ruhrgebiet gesammelt hat, unterstreichen die Forderung des Wissenschaftlers: Allein in den 20 untersuchten Wohngebieten gehen pro Jahr knapp eine Million Tonnen CO2 in die Luft. „Diese Menge würde 1440 Mal den Gasometer in Oberhausen füllen“, sagt Drescher. 45 Prozent davon seien durch einfache Maßnahmen wie Austausch von Heizungen und Fenstern sowie Fassadendämmung einzusparen. Das entspreche 270.000 Fässern Heizöl.

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Allein die Nutzung der Sonne könne den Strombedarf in den 20 Quartieren komplett decken. Derzeit erzeugen die in den ausgewählten Gebieten vorhandenen Photovoltaik-Anlagen aber nur 13.500 Megawattstunden pro Jahr. Das Potenzial sieht Innovation City bei einem Vielfachen: 1,12 Millionen Megawattstunden. Um diese riesige Energiemenge konventionell zu gewinnen, müssten 474.000 Tonnen Braunkohle verfeuert werden. Und: Wenn alle Bürger ihre alten Elektrogeräte austauschen und ihr Verhalten ändern, sehen die Experten ein zusätzliches Stromsparpotenzial von fast 17.000 Megawattstunden. Damit könnten mehr als 123.000 moderne Kühlschränke der höchsten Effizienzklasse A++ betrieben werden.

Förderung durch die KfW

Für jedes der 20 Wohngebiete hat Innovation City inzwischen ein Klimaschutz-Konzept an die jeweiligen Kommunen überreicht. Sie müssen nun entscheiden, was sie verwirklichen. „Finanzielle Hemmnisse gibt es nicht“, betont Drescher. „Es geht darum, dass es gemacht wird.“ Die Kreditanstalt für Wiederaufbau bietet an, die 65 Prozent der Kosten für die energetische Sanierung in den Projekten zu übernehmen. Den Rest müssen die Städte aufbringen. In Herne haben sich dafür die Stadtwerke als Partner angeboten.