Essen. . Handel verlor 2018 rund 3,75 Milliarden Euro durch Ladendiebstähle von Kunden und Mitarbeitern. Letztere ließen deutlich mehr mitgehen als 2017.
Die eigenen Beschäftigten haben ihre Arbeitgeber im Einzelhandel 2018 um mehr als eine Milliarde Euro erleichtert. Auch Kunden und Lieferanten ließen mehr mitgehen als ein Jahr zuvor. Das ergab eine Ladendiebstahls-Studie des Kölner Handelsinstituts EHI. Es werde „gestohlen, was nicht niet- und nagelfest ist“, sagte Studienautor Frank Horst.
Obwohl der Handel vor allem mit Videokameras in Sachen Sicherheit weiter aufrüstet, wird immer mehr gestohlen: 2018 stieg der Schaden durch Ladendiebstähle um 7,1 Prozent auf insgesamt 3,75 Milliarden Euro. Laut EHI geht etwa jeder 100. Euro an der Kasse vorbei. Mit Abstand am deutlichsten – um fast ein Fünftel (19 Prozent) – nahmen dabei Diebstähle zu, die den eigenen Mitarbeitern angelastet werden. Kunden klauten Waren im Wert von 2,38 Milliarden Euro, ein Plus von 4,4 Prozent. Lieferanten und externe Servicekräfte bereicherten sich um 350 Millionen Euro (+9,4 Prozent).
- Besonders häufig in Hand-, Hosen- oder Jackentaschen landen kleine, aber wertvolle Waren.
- In Supermärkten und Drogerien gern genommen werden etwa Rasierklingen oder Hautcremes.
- Im Textilgeschäften sind teure Designer-Shirts und Schuhe schnell verschwunden, in Parfümerien exklusive Düfte, in Baumärkten Akkuschrauber, in Elektronikmärkten Smartphones.
- Mit einem Schaden von 1,4 Milliarden Euro ist der Lebensmittelhandel die am stärksten betroffene Branche.
- Es folgen der Textilhandel mit 450 Millionen Euro, die Baumärkte (300 Millionen Euro) und die Drogeriemärkte (250 Millionen Euro).
Dabei investieren die Einzelhändler in Deutschland Jahr für Jahr mehr Geld in Sicherheitsmaßnahmen: 2018 gaben sie insgesamt 1,45 Milliarden Euro für Videokameras, elektronische Warensicherung, Wachpersonal und Mitarbeiter-Schulungen aus – gut sieben Prozent mehr als im Jahr zuvor. Offenkundig zeitigt das allenfalls bei den Kundendiebstählen eine gewisse Wirkung, den eigenen Mitarbeitern fällt es den Zahlen zufolge eher leichter, Waren unbemerkt mitzunehmen.
Zugleich bringen die Händler immer weniger Diebstähle zur Anzeige – laut Polizeistatistik waren es 2018 rund 339.000 Fälle und damit gut vier Prozent weniger als im Vorjahr. Das liege vor allem am fortwährenden Rückgang einfacher Ladendiebstähle. Dagegen hätten sich schwere Diebstähle „in den letzten zwölf Jahren nahezu verdreifacht“, heißt es in der Studie. Weiter auf dem Vormarsch seien gewerbsmäßig organisierte Diebstähle durch Banden. Sie sorgten für rund ein Viertel des Gesamtschadens.
„Auch wir bei Media Markt und Saturn beobachten seit einigen Jahren eine Zunahme von Diebstählen bandenmäßig organisierter Täter“, erklärte eine Sprecherin der Elektronikmärkte auf Anfrage unserer Redaktion. Der Fokus liege dabei auf mobilen Endgeräten wie Smartphones. Die Waren würden erkennbar gesichert, etwa durch sogenannte „Alarm Spider“, aber auch durch unsichtbare Diebstahlsicherungen, teilten die Ketten mit.
Der Handel sieht auch Politik und Justiz in der Pflicht gegenzusteuern. „Wir hoffen sehr, dass die Politik sich dieses Themas endlich annimmt“, sagte etwa Oliver Pieper, Geschäftsführer der gleichnamigen Parfümeriekette, dieser Zeitung. Man übergebe immer wieder Diebe der Polizei, ohne dass es letztlich zu Strafmaßnahmen komme. „Dies ist für alle Beteiligten sehr frustrierend“, so Pieper.
In die gleiche Kerbe schlägt der Supermarkt-Branchenführer Edeka. Die Diebe wüssten, „dass die meisten Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt“ würden, sagte eine Sprecherin von Edeka Rhein-Ruhr, „deshalb stehlen viele immer wieder.“ Die Händler würden mit diesem massiven Problem weitgehend allein gelassen.
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Das EHI erstellt diese Studie jedes Jahr, hat diesmal Unternehmen mit insgesamt rund 22.500 Geschäften repräsentativ befragt. Die Diebstahls-Bilanz firmiert unter dem unspektakulären Titel „Inventurdifferenzen“. Tatsächlich entgehen den Händlern aber auch jedes Jahr erhebliche Einnahmen durch hausgemachte Versäumnisse. So fehlten 2018 bei den Inventuren rund 560 Millionen Euro an Umsatz, weil etwa Waren falsch, also zu günstig ausgezeichnet wurden. Verdorbene oder zu Bruch gegangene Waren schlagen ebenfalls zu Buche. Lebensmittelhändler beklagen in Extremfällen Umsatzeinbußen wegen verdorbener oder zu Bruch gegangener Waren von bis zu 2,5 Prozent des Gesamtumsatzes. Die Handelsexperten EHI sehen darin „organisatorische Mängel“, deren Behebung bares Geld wert sei.
Mitsamt der Diebstähle entstanden den Einzelhändlern so „Inventurdifferenzen“ von insgesamt 4,3 Milliarden Euro – fünf Prozent mehr als 2017. Zusammen mit den Ausgaben für Sicherheitsmaßnahmen kostet dieses Thema den Handel laut EHI mehr als 1,3 Prozent seines Gesamtumsatzes. Diese Mehrkosten zahlt in der Regel der ehrliche Kunde über höhere Ladenpreise.