Das neue Werk des Sauerländer Automobilzulieferers Kirchhoff in Rumänien legt einen guten Start hin. Aber das Land verliert viele Fachkräfte.

Pitesti. Der Autozulieferer Kirchhoff hält sich an feste Regeln, wenn er im Ausland investiert. Die Wichtigste: „Gehe nur dorthin, wo es nach Metall riecht.“ Heißt: Die Umgebung sollte perfekt zu dieser Fertigung passen. Das neue Werk im rumänischen Pitesti entspricht dieser Regel zu 100 Prozent. Mehr „Metallgeruch“ ist kaum denkbar, denn ein paar Kilometer weiter produziert die Renault-Tochter Dacia auf Hochtouren, und die zieht die Zulieferer an wie ein Magnet das Eisen.

Produktionsanlauf im Mai

Erst vor vier Wochen ging Kirchhoff hier in der Großen Walachei an den Start, und schon denken die Südwestfalen an Expansion. Als Arndt G. Kirchhoff jetzt in Begleitung von NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) seine jüngste Fertigungsstätte besuchte, verteilte Werksleiter Gabriel Porojan symbolträchtige Geschenke an seine deutschen Gäste: Kleine Modelle der hier sehr bekannten Skulptur „Endlose Säule“. Der rumänische Künstler Constantin Brancusi hatte diese Säule einst als eine Art „Himmelsleiter“ geschaffen. Das Präsent passt gut zu einer Firma, die in Rumänien hoch hinaus möchte.

Perfekte Kopie von Posen

Der Automobilzulieferer Kirchhoff aus dem Sauerland (Iserlohn/Attendorn) hat im Mai 2019 ein neues Werk in Pitesti/Rumänien eröffnet. Im Juni besuchte eine NRW-Delegation um Arbeitsminister Karl-Josef Laumann das Werk und ließ sich von Kirchhoff-Chef Arndt G. Kirchhoff (im Bild) die Produktionsbedingungen erläutern.
Der Automobilzulieferer Kirchhoff aus dem Sauerland (Iserlohn/Attendorn) hat im Mai 2019 ein neues Werk in Pitesti/Rumänien eröffnet. Im Juni besuchte eine NRW-Delegation um Arbeitsminister Karl-Josef Laumann das Werk und ließ sich von Kirchhoff-Chef Arndt G. Kirchhoff (im Bild) die Produktionsbedingungen erläutern. © WP - Korfmann | Matthias Korfmann

In nur einem Jahr hat Kirchhoff dieses Werk an den Start gebracht. Es ist die perfekte Kopie einer Fabrik im polnischen Posen. In nur neun Monaten wurden 40 rumänische Mitarbeiter in anderen Kirchhoff-Werken fit gemacht für ihre Jobs. „Sie konnten schon alles, bevor sie zum ersten Mal durchs Werktor gingen“, erzählt Arndt G. Kirchhoff.

Sauber und hell ist die brandneue Halle, und es riecht – natürlich – nach Metall. 90 verschiedene Auto-Teile werden hier hergestellt. Für VW, Ford, BMW, Daimler, PSA (Peugeot/Citroen) und bald wohl auch für den großen Nachbarn Dacia. „Jederzeit könnte die Halle erweitert oder um eine Etage aufgestockt werden, bei laufendem Betrieb“, erklärt Gabriel Porojan stolz. Der laufende Betrieb ist übrigens unüberhörbar. Riesige Servopressen wummern drinnen um die Wette. Manche Mitarbeiter tragen Gehörschutz, andere nicht. Sicherheitsschuhe schützen ihre Füße.

Überdurchschnittliche Bezahlung

Anja Weber, Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes in NRW, die zu der Delegation aus Deutschland gehört, fragt Werksleiter Porojan, ob es hier einen Betriebsrat gibt. Nein, gibt der Rumäne zu, den gebe es nicht. Jedenfalls noch nicht. Für rumänische Verhältnisse sind diese Jobs ordentlich bezahlt. Etwa 650 Euro verdienen die Männer und Frauen hier im Schnitt im Monat, sagt der Werksleiter. Das sind gut hundert Euro mehr als der Lohndurchschnitt in der Umgebung und 200 Euro über dem Mindestlohn. Aber der Fachkräftemangel ist in Rumänien mindestens so dramatisch wie in Deutschland. Das EU-Ausland lockt mit Gehältern weit über dem rumänischen Level. Vier Millionen Rumänen sind daher zum Arbeiten ausgewandert. Ein Riesenproblem für Unternehmen hier in Südosteuropa.

Rumänien verliert Fachkräfte

Expansion in Rumänien

Kirchhoff Automotive hat in Rumänien bisher insgesamt 50 Millionen Euro investiert. Schon im Jahr 2012 wagten die Westfalen den Schritt in dieses EU-Land. Sie eröffneten damals ein Werk auf dem Ford-Gelände in der Stadt Craiova, in dem heute rund 300 Mitarbeiter beschäftigt sind. In der Stadt Pitesti flossen zehn Millionen Euro in den Aufbau der zweiten Produktionsstätte.

Für 2019 wird in den rumänischen Kirchhoff-Werken ein Umsatz von 26 Millionen Euro erwartet. 2020 wird bereits mit 32 Millionen Euro gerechnet. Gemessen am Gesamtumsatz der Kirchhoff Gruppe mit über zwei Milliarden Euro und rund 12000 Beschäftigten, ist das Rumänien-Geschäft zwar übersichtlich, aber perspektivisch wachsend.

Bei dem Automobilzulieferer Thyssenkrupp Bilstein in Sibiu (früher: Hermannstadt), der schon seit 1996 in Rumänien Stoßdämpfer produziert, ist das Ringen um Fachkräfte eine tägliche Herausforderung. Wegen der wachsenden Nachfrage nach Autoteilen stiegt die Zahl der Mitarbeiter in nur drei Jahren von 450 auf 1000. In den nächsten Jahren werde Bilstein hier wohl 1000 weitere Ingenieure brauchen, heißt es. Aber wo sollen diese Qualifizierten herkommen? „Wir verlieren viele angehende Ingenieure und Mechatroniker nach Deutschland“, ärgert sich Werksleiter Radu Betea. Der für rumänische Verhältnisse exzellente Durchschnittslohn von 1100 Euro bei Bilstein ist für viele Nachwuchskräfte kein Grund, zu bleiben.

Inspiration für NRW

NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann lobte bei seiner Reise Kirchhoff und Bilstein dafür, dass sie solide und moderne Arbeitsplätze in Rumänien schaffen. Von fairen Arbeitgebern könnten viele der nach Deutschland ausgewanderten Rumänen nur träumen. „Die Arbeitnehmer-Freizügigkeit darf nicht dazu führen, dass Menschen ausgebeutet werden“, sagte er. Dass es im EU-Partnerland Rumänien möglich ist, relativ schnell und unkompliziert Industrien aufzubauen, beeindruckt den Minister. Ein bisschen könne sich NRW davon inspirieren lassen, findet er. „Wir brauchen dringend Industrie und Wertschöpfung und sollten nicht nur über die grünen Themen reden. Das sage ich all jenen, die meinen, die Welt bestehe nur aus Windmühlen“, sagte Laumann in Hermannstadt.