Essen. . Es ist ein radikaler Schwenk, den Konzernchef Kerkhoff bei Thyssenkrupp vollzieht. Das Manöver hat Gründe. Doch neue Konflikte sind programmiert.

Schon am Morgen kommt Hektik auf bei Thyssenkrupp. Während Konzernchef Guido Kerkhoff noch mit EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager zum Thema Stahlfusion telefoniert, flattern erste Anfragen von Journalisten ins Haus. Platzt wirklich das seit Jahren angestrebte Bündnis mit dem indischen Konzern Tata? Wird auch die geplante historische Teilung von Thyssenkrupp in zwei neue, eigenständige Firmen plötzlich wieder abgesagt? Tatsächlich. Entsprechende Gerüchte bestätigen sich am Freitag schnell.

Noch am späten Vormittag lässt Kerkhoff aus dem Essener Firmen-Quartier eine sogenannte Ad-hoc-Mitteilung verschicken. Um 13 Uhr folgt eine Telefonkonferenz, in der er seinen radikalen Kursschwenk erläutert. Es sei Zeit geworden, den „Resetknopf“ zu drücken, sagt der Vorstandschef. „Wir bauen ein vollkommen neues Thyssenkrupp.“ Alles neu macht der Mai.

Konzern steht harte Sanierung bevor

Auf den ersten Blick scheint sich zwar zunächst weniger zu ändern als bei der im vergangenen Jahr auf den Weg gebrachten Konzern-Aufspaltung. Doch mit der nun vorgesehenen Holding-Struktur ist ein tiefgreifender Wandel von Thyssenkrupp verbunden. In der Zentrale in Essen stehen Einschnitte bevor, die Kosten in der Verwaltung sollen massiv sinken. Eine harte Sanierung kommt auch auf die Beschäftigten in der Auto- und der Anlagenbausparte zu.

Hinzu kommt: Galt bislang die lukrative Aufzugsparte als Kernbereich eines starken Industriekonzerns unter der Marke von Thyssenkrupp als unantastbar, ändert sich dies mit dem nun geplanten Börsengang. Investoren spekulieren bereits auf eine mögliche Fusion des Thyssenkrupp-Geschäfts mit dem Konkurrenten Kone.

Siemens-Strategie wirkt wie eine Blaupause

Grundsätzlich offen zeigt sich Vorstandschef Kerkhoff auch für Partnerschaften von Thyssenkrupp in den Geschäftsbereichen Autoteile und Anlagenbau. Wie eine Blaupause für den Thyssenkrupp-Umbau wirkt dabei die Transformation des Industrie-Riesen Siemens, der ebenfalls auf eine schlanke Holding mit möglichst eigenständigen Geschäftsbereichen setzt. „Manche Geschäfte werden sich außerhalb von Thyssenkrupp besser entwickeln können“, konstatiert Kerkhoff.

Ironie der Geschichte: Hieß es zuletzt jahrelang, Thyssenkrupp wolle nicht mehr Stahlkonzern sein, dürfte nun der Stahl als Kern im Konzern bleiben. Von den 27.000 Beschäftigten in diesem Bereich arbeitet ein Großteil in NRW – an Standorten wie Duisburg, Bochum und Dortmund. Wohlgemerkt: Auch die Pläne für eine neue Stahlkonzern-Zentrale in Amsterdam sind Geschichte.

„Am Ende nur die Kneipe in der Konzernzentrale“

„Vor acht Monaten hat Herr Kerkhoff die Teilung vorgeschlagen, die jetzt nicht mehr machbar sein soll. Erklären muss er uns das schon“, sagt Markus Grolms, der die IG Metall als Vizeaufsichtsratschef vertritt. „Es ist schon enttäuschend, wenn von der Strategie des Vorstands am Ende nur die Kneipe in der Konzernzentrale überbleibt.“ Zur Erinnerung: Kerkhoff hatte auf dem Essener Firmengelände eine Kneipe eröffnet, um dort mit den Beschäftigten über die Zweiteilung diskutieren zu können.

Es war auch der Druck der Börse, der Kerkhoff zu einem Schwenk bewegte. In der Telefonkonferenz spricht er selbst die „Zweifel an der Teilung“ an, die es bei Investoren gegeben habe. „So positiv der Plan zunächst aufgenommen wurde, so sehr wurde er in Folge wieder in Frage gestellt“, räumt Kerkhoff ein. Es sei klar geworden: „Den von uns beabsichtigten Neustart bekommen wir so nicht mehr hin.“ Bemerkenswert ist, wie stark der Aktienkurs nach oben jagt, als durchsickert, dass Kerkhoff umsteuert. Es wirkt wie ein Befreiungsschlag.

Aktionär Cevian fordert Neuausrichtung „ohne Tabus“

Doch der Druck, den der Großaktionär Cevian ausübt, bleibt hoch. Cevian-Gründungspartner Lars Förberg erklärt die bisherige Strategie von Thyssenkrupp für „gescheitert“ und fordert nun eine Neuausrichtung „ohne Tabus“.

Die Worte lassen erahnen, dass weitere Konflikte absehbar sind. „Wir werden nicht zulassen, dass nun die wertvollen Teile von Thyssenkrupp verwertet und der Rest sich selbst überlassen wird“, sagt der frühere IG Metall-Chef Detlef Wetzel, der Vizechef im Aufsichtsrat der Stahlsparte ist. „Wir brauchen eine Lösung mit Perspektiven für alle Geschäfte.“ Mit dem „Reset“ von Kerkhoff beginnen viele Diskussionen neu.