Essen. . Autohersteller kämpfen um den besten Warnton für ihre E-Autos. Ab Juli werden sie Pflicht. Verkehrsforscher sehen die Regelung kritisch.
Elektro-Autos sind den Politikern der Europäischen Union zu leise. Ab dem ersten Juli dieses Jahres müssen Neuwagen deshalb künstlich lauter gemacht werden. Das sieht eine EU-Verordnung vor. Denn die kaum hörbaren Motorgeräusche führten dazu, dass die Wagen von Fußgängern nicht wahrgenommen würden. Ferdinand Dudenhöffer, Verkehrsexperte der Uni Duisburg-Essen, erklärt, er habe diese Einschätzung mit einem Experiment widerlegt und kritisiert die „völlig unsinnige Verordnung“.
Der ADAC weist darauf hin, dass Verbraucher die leisen Elektromotoren „gemeinhin als angenehm“ empfänden. Auf der anderen Seite sei aber gerade das „stille Herannahen“ gefährlich für Fußgänger, wie eine Sprecherin dieser Redaktion sagte.
E-Autos als Gefahr für Blinde
Dudenhöffer lässt dieses Argument nicht gelten. „Statt sich zu freuen, dass der Verkehr ruhiger wird, machen die Regulierer Vorschriften“, ärgert sich der Leiter des Duisburger CAR-Instituts. Bei einem Test mit Blinden habe sich gezeigt, dass diese die leiseren E-Autos im Duisburger Stadtverkehr sogar früher hörten als Verbrenner.
Michael Mohr vom Blinden- und Sehbehindertenverband Nordrhein widerspricht dem vehement: „Ein Blinder nimmt ein E-Auto de facto nicht wahr, wenn es langsam fährt“, sagte er. Doch nicht nur Sehbehinderte hätten Schwierigkeiten mit den leisen Gefährten. „Das ist für Senioren eine genauso große Gefahr“, so Mohr.
Geräusch soll Sound des Verbrennungsmotors ähneln
Ab dem 1. Juli verkaufte Elektro-und Hybrid-Fahrzeuge neu auf den Markt kommender Modelle müssen mit dem sogenannten Acoustic Vehicle Alerting System (AVAS) ausgerüstet sein, ab 2021 wird das System für alle Neuwagen Pflicht. Es erzeugt einen Ton, der beim Beschleunigen von einer tiefen zu einer höheren Frequenz wechselt und zwischen 56 und 75 Dezibel laut sein muss. Er soll laut Verordnung mit den Geräuschen eines Verbrennungsmotors der gleichen Fahrzeugklasse vergleichbar sein. Ein Klangbeispiel hat die Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) veröffentlicht.
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Die Verordnung sieht Warngeräusche allerdings nur beim Rückwärtsfahren und bei Geschwindigkeiten von unter 20 Stundenkilometern vor. Durch die Abrollgeräusche der Reifen erzeugen die Fahrzeuge bei höheren Geschwindigkeiten eigene Fahrgeräusche. Für die meisten gängigen E-Automodelle kann das Fußgängerwarnsystem bereits als Zusatzausstattung bestellt werden. Es kommt mit mehr oder weniger futuristischem Sound, manchmal sogar mit mehreren Tonalternativen daher. Die Kosten beginnen bei rund 100 Euro.
Designer haben die Geräusche aufwendig entwickelt
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Für die Hersteller begann mit der EU-Vorgabe ein Wettlauf um den Ton mit dem größten Wiedererkennungswert. Denn „der Sound ist ein wichtiges Differenzierungsmerkmal“, wie Dudenhöffer erklärt. In den Laboren der Autobauer haben Ton-Designer in den vergangenen Jahren am perfekten Geräusch getüftelt. Bei BMW kamen nach Angaben eines Konzernsprechers dabei unter anderem neun verschiedene Synthesizer und ein Geigenbogen zum Einsatz. Das Ergebnis soll ein Ton sein, der „elegant und umarmend wirkt“ und „zum Auftritt eines BMW passt“.
VW beschreibt den Ton etwas bescheidener, er sei dem Motorgeräusch eines Verbrenners nachempfunden: „Wir präferieren für den Warnton solche realistischen Geräusche, die sich beim Beschleunigen ändern“, sagte ein Unternehmenssprecher dieser Redaktion. Alle E- und Hybridautos seien bereits jetzt mit dem Warnsystem erhältlich.
Auch bei Mercedes ist AVAS bereits bestellbar. Den Sound beschreibt eine Unternehmenssprecherin als „Summen“. Sie betont, dass das Sounddesign bei der Marke einen großen Stellenwert habe, EU-Vorgaben in diesem Fall aber wenig Spielraum für Kreativität ließen. „Die Systeme sind kein nettes Beiwerk“, macht sie deutlich. Denn sie dienten der Sicherheit.
Auch E-Bikes und Tretroller kommen lautlos daher
Weitere elektrische Gefährte dürfen auch in Zukunft quasi lautlos im Verkehr unterwegs sein: Für E-Bikes und Tretroller gibt es bisher keine Vorgabe. Dabei geht von den Gefährten, die zum Teil sogar auf dem Fußweg fahren dürfen, laut Mohr eine ebensogroße Gefahr für Fußgänger aus: „Die hören Sie genauso wenig wie ein E-Auto.“ Dass ein Warnsystem für diese Fahrzeuge Pflicht wird, glaubt er jedoch nicht.
Günther Schuh ist Geschäftsführer der Aachener E-Auto-Marke E-Go und Produktionsforscher an der RWTH Aachen. Er glaubt, dass die Verordnung zu spät kommt. „Wir haben jetzt schon genug Gefahrenpotenzial auf den Straßen“, sagt er. Neben E-Autos seien auch viele Fahrräder mit Elektroantrieb unterwegs. Schuh glaubt, dass deswegen schon ein Gewöhnungsprozess bei den Verkehrsteilnehmern eingesetzt habe. Wenn dann einige Fahrzeuge Töne erzeugen und andere nicht, schaffe das nur noch mehr Verwirrung, so seine These.