Essen. . Digitalisierung und Energiewende bedrohen viele Arbeitsplätze. IG-Metall-Chef Hofmann fordert Klarheit für die Beschäftigten – und Perspektiven.

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann zählt nicht zu den lautesten Gewerkschaftern. Doch das aus seiner Sicht konzeptlose Management der Energie- und Verkehrswende in Deutschland macht ihn regelrecht sauer, wie beim Besuch unserer Redaktion deutlich wird. Auch der Kohleausstieg gefährde Arbeitsplätze, weil nicht klar sei, wie er genau funktionieren soll.

Die Abkehr vom Verbrennungsmotor ist Teil der Energiewende. Sie trifft vor allem die Stromindustrie. Ist es nicht an der Zeit, dass auch die Autoindustrie etwas zum Klimaschutz beiträgt? Sie haben die Vorgabe aus Brüssel an die Autoindustrie, 37,5 Prozent weniger CO2 bis 2020 auszustoßen, kritisiert. Warum?

Hofmann: Das Problem bei der Klimapolitik ist, dass sich schnell alle auf Ziele verständigen, ohne zu sagen, wie sie erreicht werden können. Ich will aber ein besseres Klima und nicht bessere Klimaziele. An dieser Stelle kneift die Politik. Das Verkehrsabkommen wird sich absehbar um weitere 20 Prozent erhöhen, was die Klimaziele torpediert. Wer das verhindern will, müsste massiv investieren, in die Infrastruktur und in den ÖPNV. Die meisten Bürger würden genau das als Aufgabe der Politik ansehen. Aber hier herrscht bis dato Fehlanzeige. Das diskreditiert die Klimapolitik.

Auch für die Beschäftigten des Siemens-Werks in Mülheim wünscht sich Hofmann mehr Planungssicherheit durch die Politik.
Auch für die Beschäftigten des Siemens-Werks in Mülheim wünscht sich Hofmann mehr Planungssicherheit durch die Politik. © Foto: Marc Albers

Der Kohleausstieg wird die Strompreise weiter steigen lassen. Auch wenn Teile der Industrie Ermäßigungen erhalten – wie sehr trifft das die Industrie?

Hofmann: Die Strompreise sind für manchen Industriebetrieb existenziell. Wir haben bei der Energiewende noch nichts geschafft, sondern nur beschlossen, die Kohlekraftwerke abzuschalten. Wie die Lücke geschlossen werden soll, bleibt völlig offen. Im Siemens-Turbinenwerk in Mülheim bangen Beschäftigte um ihre Arbeitsplätze, weil unklar ist, ob große oder dezentrale kleine Gaskraftwerke die Lücke schließen sollen. Und in der Windkraftbranche haben wir zuletzt 6000 Stellen verloren, weil niemand in Offshore-Anlagen investiert, solange nicht klar ist, wann die dafür nötigen Netze stehen. Wo die Politik keine Planungssicherheit schafft, geraten Arbeitsplätze in Gefahr.

Auch die Digitalisierung bedroht Arbeitsplätze. Die Industrie 4.0 ist seit vielen Jahren Ihr Thema. Doch Deutschland wird bescheinigt, bei der Digitalisierung noch ein Entwicklungsland zu sein.

Hofmann: Das stimmt so nicht. In der Prozessindustrie sind wir weit vorne, etwa bei der Vernetzung von Maschinen. Doch wir decken nicht die ganze Wertschöpfungskette ab. Unsere digitalen Systeme basieren alle auf Cloud-Lösungen und da geht nichts ohne Google, Microsoft & Co. Die Chinesen haben sich Alternativen geschaffen, wir in Europa nicht. So geht ein großer Teil der Wertschöpfung an ausländische Internetriesen, die hierzulande kaum Steuern zahlen und uns in Abhängigkeiten zwingen.

Was tun?

Hofmann: Wer zum Beispiel morgen einen VW besitzt, bei dem fährt Microsoft mit, bei einem BMW Amazon. Das treibt mich um. Wir brauchen eigene europäische Alternativen, deren Standards wir selbst setzen und wir die Hoheit über die Daten behalten.

Kostet die Digitalisierung nun Jobs oder nicht? Schließlich entstehen auch neue.

Hofmann: Prognosen sehen das etwa in der Waage. Aber: Wenn 1,5 Millionen Jobs wegfallen und 1,5 Millionen neue entstehen, bleibt die Frage offen, wer was machen soll. Wie gelingt es, die Beschäftigten aus den heutigen Jobs in die neuen Jobs zu bringen? Das geht bei vielen nicht ohne eine berufliche Neuorientierung. Da sind die Unternehmen in der Verantwortung, aber auch der Staat. Das kann gelingen, aber wir werden als Gewerkschaften darum kämpfen müssen.

Wir haben Rekordbeschäftigung und Fachkräftemangel. Wie passt das zu den Drohszenarien?

Hofmann: Naja – was droht, ist ein gleichzeitiger Fachkräftemangel in den einen Branchen und ein Fachkräfteüberschuss in den anderen. Denn klar ist doch: Aus dem Bandarbeiter wird oft kein Pfleger. Man kann Menschen, die in der Industrie oder bei Banken und Versicherungen ihre Arbeit verlieren, nicht einfach ins Handwerk oder ins Pflegeheim schicken. Zumal sie das, was sie dort verdient haben, da nicht annähernd erhalten. Solange etwa in der Pflege so mies bezahlt wird, wie heute, klappt dies nicht mit der beruflichen Mobilität.

>>> Das sagt der IG-Metall-Chef zum Umstieg der Autoindustrie auf Elektroantriebe. Und warum er den deutschen „Tunnelblick“ beklagt.