Essen. . Am Freitag will die Kohlekommission der Bundesregierung den Ausstieg aus der Kohleverstromung beschließen. Es geht um das Klima – und ums Geld.
Für den Freitagmorgen, 8 bis 8.05 Uhr, sind die Hauptstadtfotografen geladen, Gruppenbilder im Wirtschaftsministerium anzufertigen. Von der Kohlekommission der Bundesregierung vor Beginn ihrer womöglich entscheidenden Sitzung. Die Energieexperten und -lobbyisten der Republik stellen sich demnach auf einen historischen Tag ein – auf die wegweisende Entscheidung für den nächsten Kohleausstieg.
Nach dem Ende des Steinkohlenbergbaus im Ruhrgebiet soll Deutschland nun auch aus dem Braunkohle-Tagebau und vor allem aus der klimaschädlichen Verstromung von Braun- und Steinkohle aussteigen. Mehrfach wurden die entscheidenden Fragen nach einem Enddatum, einem Ausstiegspfad sowie Strukturhilfen für die Kohleregionen und Entschädigungen für die Konzerne verschoben. Nun sieht die Tagesordnung ein ausdrücklich „offenes Ende“ vor, um genau diese offenen Knackpunkte zu klären.
Die Lobbymaschinerie läuft noch einmal heiß
Nicht von ungefähr läuft die Lobbymaschinerie mit Blick auf diesen Freitag noch einmal so richtig heiß. Die Industrie warnt vor zu hohen Strompreisen, mahnt einen behutsamen Ausstieg an, um die Versorgungssicherheit zu wahren. Die Gewerkschaft IGBCE schließt sich dem mit Blick auf die im Tagebau und in den Kohlekraftwerken Beschäftigten an, führende Politiker aus den betroffenen Ländern NRW, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg ebenfalls. Klimaschützer, Umweltverbände und grüne Politiker hingegen sehen das eigentliche Ziel aus dem Blick geraten – den möglichst schnellen Ausstieg, damit möglichst wenig Klimagas CO2 bis Mitte des Jahrhunderts in die Atmosphäre gelangt.
Letztlich geht es bei vielen zentralen Fragen am Ende ums Geld. Vor allem die ostdeutschen Länder, deren Tagebau-Regionen viel mehr noch als das Rheinische Revier von der Braunkohle als Monokultur abhängig sind, machen ihre Zustimmung von hohen Milliardenzahlungen an Strukturhilfen abhängig. 60 Milliarden Euro sollen es sein. NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) fordert „einen zweistelligen Milliardenbetrag“ allein für NRW. Und zwar umso mehr, je eher die RWE-Braunkohlekraftwerke abgeschaltet werden.
Also eher mehr, denn die älteren Kraftwerke im Westen müssten nach den Plänen der Kommission als erste abgeschaltet werden, die neueren in Ostdeutschland als letzte. In der Tendenz ist das klar, auch, dass bereits bis 2022 mehrere Braunkohleblöcke vom Netz gehen. Der WDR berichtete am Donnerstag, Diskussionsstand in der Kommission sei, in NRW bis 2030 etwa zwei Drittel der Braunkohleblöcke vom Netz zu nehmen, nur drei Kraftwerke sollen noch ein paar Jahre länger laufen.
Bahn-Vorstand Pofalla und die heikle Datteln-Frage
Es wird um jedes Gigawatt gestritten, allein schon, weil mutmaßlich jedes Gigawatt Steuergeld kosten wird. Die Kommission schlägt im Entwurf ihres Abschlussberichts vor, alle Entscheidungen bis 2030 im Einvernehmen mit den Betreibern zu treffen. Dafür werden ausdrücklich Entschädigungen empfohlen, die sich an den bisher gezahlten Summen für Braunkohlekraftwerke orientieren sollen, die abgeschaltet, aber als Reserve bereitgehalten werden – also rund 600 Millionen Euro je Gigawatt Leistung. Derzeit sind in NRW noch rund zehn Gigawatt Braunkohle am Netz und sieben Gigawatt Steinkohle. Bis 2030 soll in allen Szenarien mehr als die Hälfte davon abgeschaltet werden.
Neben RWE als Braunkohlebetreiber dürften vor allem die frühere Eon-Tochter Uniper und die Essener Steag mit ihren Steinkohlekraftwerken betroffen sein. Sie sollen auch als Reserve für wind- und sonnenarme Zeiten möglichst schnell durch klimaschonendere Gaskraftwerke ersetzt werden. Während sich die Steag, die einem Stadtwerke-Konsortium aus dem Ruhrgebiet gehört, auf Anfrage nicht zu möglichen Auswirkungen äußern wollte, wird Uniper nicht müde, die Bedeutung ihres Mega-Kraftwerks Datteln 4 zu betonen. Das umstrittene Milliardenprojekt, das dieses Jahr ans Netz gehen soll, dürfe nicht dem Kohleausstieg geopfert werden, betonte Uniper. Dabei denkt der Konzern womöglich schon mehr an die Entschädigungen als daran, das Pannen-Kraftwerk tatsächlich ans Netz zu bringen. So betont Vorstand Eckhardt Rümmler: „Für ein mögliches Ansinnen, Datteln4 politisch stoppen zu wollen, müssten erhebliche rechtliche und finanzielle Hürden überwunden werden.“
Tatsächlich erwägt die Kommission Entschädigungen auch für Kraftwerke, die noch gar nicht am Netz sind. Von einer Abfindung für Uniper, die Datteln 4 beerdigen würde, könnte pikanterweise einer der vier Vorsitzenden der Kohlekommission sehr profitieren: Ronald Pofalla. Der ist hauptberuflich Vorstand bei der Deutschen Bahn, die Hauptabnehmer des Dattelner Stroms sein sollte, aber seit Jahren versucht, aus ihren Verträgen rauszukommen. Erstens, weil der vereinbarte Strompreis ihr zu hoch ist, zweitens, weil die Bahn aus Imagegründen auf grünen Strom umsteigen will.