Gelsenkirchen. . Vivawest-Geschäftsführerin Claudia Goldenbeld kündigt im Interview den Bau Tausender neuer Wohnungen an und zeigt Verständnis für Miet-Deckel.
Knapper werdender Wohnraum und steigende Mieten machen vor allem Großstadt-Bürgern zu schaffen. Über Neubauten, Mietpreisbremsen und die Kosten des Klimaschutzes sprach Vivawest-Chefin Claudia Goldenbeld im WAZ-Interview mit Frank Meßing.
Frau Goldenbeld, in Deutschland herrscht Wohnungsnot. Was tut Vivawest dagegen?
Claudia Goldenbeld: Wir werden bis zum Jahr 2023 rund 1,3 Milliarden Euro in den Neubau investieren. Unser Ziel ist es, bis dahin 6300 Wohnungen fertiggestellt zu haben – knapp die Hälfte davon im Ruhrgebiet. Das zeigt auch, wo unsere Wurzeln liegen. Wir bauen aber auch längs der Rheinschiene und in Münster. Das sind nicht nur vage Planungen, dahinter stecken konkrete Projekte. Aktuell sind bereits 2500 Wohnungen im Bau.
Gerade erst hat Creditreform hohe Mieten zum Armutsrisiko erklärt. Sind neue Wohnungen von Vivawest bezahlbar?
Die Kosten für das Wohnen haben sich in den Ballungsräumen zu einer zentralen sozialen Frage in Deutschland entwickelt. Die durchschnittliche Kaltmiete der rund 120.000 Vivawest-Wohnungen beträgt 5,64 Euro pro Quadratmeter. Das ist aus meiner Sicht bezahlbar. Das Spektrum bewegt sich aber zwischen 3,50 und zwölf Euro. Die hohen Mieten sind vor allem in Münster, Düsseldorf und Köln zu finden. Ich kann einerseits die Politik verstehen, dass sie die Mieten angesichts der Entwicklung in Ballungsräumen deckeln will. Andererseits bewegt sie sich in einem Zielkonflikt, denn die Deckelung bremst die Neubau-Investitionen.
Die Nachfrage insbesondere in den Ballungsgebieten ist aber groß.
Es muss ja nicht jeder unbedingt in der Großstadt wohnen. Köln etwa benötigt jährlich 6000 neue Wohnungen. Gebaut werden aber nur halb so viele. Was spricht dagegen, dass Menschen, die in Großstädten arbeiten, in den rheinischen Speckgürtel oder an den Niederrhein ziehen? Dort gibt es noch ausreichendes und bezahlbares Bauland. Bedingung ist allerdings, dass die Politik dort Verkehrsanbindungen, Bildungseinrichtungen und eine gute Breitband-Versorgung schafft, um Anreize für das Pendeln zu schaffen.
An welchen Stellschrauben kann Vivawest vor dem Hintergrund der steigenden Bau-kosten selbst drehen, um Neubau-Wohnungen bezahlbar zu halten? Im Branchen-Durchschnitt liegen die Mieten bei zehn Euro pro Quadratmeter und darüber.
20 Prozent unserer Neubau-Wohnungen werden öffentlich gefördert sein. Das ist ein Angebot für Geringverdiener mit Wohnberechtigungsschein. Zudem setzt Vivawest beim Neubau auf Standardisierung und effiziente Prozesse, um die Baukosten möglichst gering zu halten. Wir verzichten zwar auf serielles Bauen mit vorgefertigten Teilen. Mit unseren Partnern haben wir aber Standards bei der Wohnungsausstattung festgelegt. Wir müssen ja nicht jedes Mal das Rad neu erfinden.
Ihre Wettbewerber klagen über rasant steigende Grundstückspreise und langatmige Genehmigungsprozesse.
Auch wir stellen fest, dass die Kommunen nun darunter leiden, dass sie aus Sparzwängen heraus viel Personal abgebaut haben. Ruhrgebietsstädte wie Essen, Dortmund und Bochum haben sich aber den Wohnungsbau auf ihre Fahnen geschrieben. Da bewegt sich etwas bei den Genehmigungsverfahren.
Im Sommer hat Vivawest 3750 Wohnungen im Ruhrgebiet an den Wettbewerber LEG verkauft. Wenden Sie sich von Ihrem Kernmarkt ab?
Überhaupt nicht. Wir planen den Bau von 1000 Wohnungen in Essen, 800 in Dortmund und 300 in Bochum. Mit den Erlösen aus dem Verkauf im Sommer finanzieren wir unsere Neubauprojekte. Weitere Verkäufe im großen Rahmen planen wir nicht.
Mieter haben zunehmend Sorge vor energetischen Modernisierungen, weil ihre Miete dadurch abermals steigt. Können Sie Kunden die Angst nehmen?
Bis zum Jahr 2023 wird Vivawest 800 Millionen Euro überwiegend in die energetische Sanierung von 11.000 Wohnungen investieren. Das sind 1800 pro Jahr. Wir gehen mit dem Thema sehr sensibel um. Wir modernisieren keinen Mieter aus seiner Wohnung heraus. Wir kündigen Modernisierungen und die Auswirkungen auf die Miete frühzeitig an. In sozialen Härtefällen kommen wir den Mietern entgegen, von Staffelungen der Mieterhöhung bis hin zum Wohnungstausch. Bislang haben davon aber nicht viele Mieter Gebrauch gemacht.
Rund die Hälfte der CO2-Emissionen in Deutschland verursachen Gebäude. Tun Vivawest und die Branche genug gegen den Klimakiller?
50 Prozent unserer 120.000 Wohnungen sind bereits energetisch modernisiert. Vivawest hat die CO2-Einsparungsziele der Bundesregierung längst übertroffen. Viele Wohnungen in Deutschland sind aber in privater Hand. Da passiert zu wenig.
Wie digital wird das Wohnen bei Vivawest?
Das ist ein großes Thema für uns und hat viele Facetten. In Bochum beispielsweise läuft ein Pilotprojekt zu Smart Home. Unsere Mieter können dort ihre Jalousien und Beleuchtung per Smartphone steuern. Außerdem werden wir unser Kundenportal als digitalen Kontaktkanal weiter ausbauen. Sehr intensiv arbeiten wir daran, Wohnungssuchenden eine 360-Grad-Besichtigung im Internet zu ermöglichen – inklusive dem Umfeld der Wohnung. Das erleichtert potenziellen Kunden, aber auch uns die Arbeit.
Ihre Karriere begann bei Ruhrkohle und RAG. Was bedeutet das Ende des Steinkohlenbergbaus für Sie persönlich?
Auch ich spüre Wehmut. Ich habe den Bergbau viele Jahre hautnah begleitet. Er hat das Wirtschaftswunder nach dem Krieg erst möglich gemacht. Es ist eine unglaubliche Leistung, dass trotz der Schließung aller Zechen kein Kumpel ins Bergfreie gefallen ist. Wir werden weiterhin Zechensiedlungen in unserem Bestand halten. Das sind unsere Wurzeln.
>>> Info: Claudia Goldenbeld ist seit 2013 Vivawest-Geschäftsführerin. Die Ökonomin war lange Jahre für die Ruhrkohle, später die RAG AG als Controllerin tätig, zwischen 2007 und 2011 auch für den Chemiekonzern Evonik. Vivawest bewirtschaftet in NRW gut 120.000 Wohnungen.