Essen. . Thyssenkrupp-Chef Guido Kerkhoff im Interview: Ein Ausverkauf sei mit ihm nicht zu machen, sagt er. Aber ein Dax-Abstieg zeichnet sich ab.
Sein Auftrag lautet, Thyssenkrupp in zwei Hälften zu spalten. Dafür hat Guido Kerkhoff gerade einen Fünf-Jahres-Vertrag als Konzernchef erhalten. Wie er die Probleme des Traditionskonzerns lösen will, erläuterte er im Interview mit Ulf Meinke und Stefan Schulte.
Herr Kerkhoff, wie ernst ist die Lage bei Thyssenkrupp?
Kerkhoff: Die ungeklärte Frage nach der künftigen Strategie hat in den vergangenen Wochen für Unruhe gesorgt. Es waren viele unterschiedliche Stimmen in der Öffentlichkeit zu hören, deshalb ist es für die Mitarbeiter wichtig, dass jetzt Klarheit herrscht. Finanziell haben wir bereits in den vergangenen Jahren viel erreicht, der Konzern steht heute deutlich besser da als in den Krisenjahren 2011/12...
... Sie sehen Thyssenkrupp heute also nicht in einer Krise?
Kerkhoff: Ich sehe Thyssenkrupp heute nicht in einer Krise, sondern deutlich stabiler als in der Vergangenheit. Bilanziell sind wir noch nicht so gut wie wir sein wollen, aber wir haben deutliche Fortschritte gemacht. Deshalb verstehe ich unsere Strategie auch als Fortführung unseres bereits vor sieben Jahren eingeschlagenen Weges. Das ist ein logischer Schritt nach den Veränderungen der letzten Jahre.
Wie bitte? Sie teilen den Konzern entzwei.
Kerkhoff: Wir schaffen zwei Thyssenkrupps, zwei starke Unternehmen, deren Zukunftskonzepte von uns entwickelt werden. Eine stärkere Fokussierung der einzelnen Geschäftsbereiche treiben wir doch seit Jahren voran, bei den Werkstoffen haben wir uns vom Edelstahl und den Stahlwerken in Übersee getrennt. Wir haben uns in den vergangenen Jahren so stark verändert wie kein anderer Dax-Konzern. Das setzen wir jetzt konsequent fort. Und da, wo Thyssenkrupp drauf steht, wird auch in Zukunft Thyssenkrupp drin sein. Für unser Konzept haben wir eine breite Zustimmung der Arbeitnehmerseite, der Krupp-Stiftung und auch der Finanzinvestoren erhalten.
Der Volksmund würde Heuschrecken sagen. Diese hatten einen radikalen Umbau gefordert. geben Sie diesem Druck mit der Spaltung nach?
Kerkhoff: Sie sehen an der breiten Zustimmung, dass das nicht stimmt. Ich habe zu jeder Zeit klar gemacht, dass ein Ausverkauf mit mir nicht zu machen ist. Unser Konzept ist von allen Seiten sehr positiv aufgenommen worden. Das zeigt, es adressiert die Zukunftsfähigkeit der Geschäfte und ist damit im Interesse aller Beteiligten. Mir ist wichtig: damit ist es auch die beste Lösung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Aber was soll durch eine Spaltung des Konzerns denn besser werden?
Kerkhoff: Beide Unternehmen können sich alleine besser entwickeln, weil ihre Profile mit Werkstoffen wie Stahl auf der einen und Industrieprodukten wie Aufzügen und Autoteilen auf der anderen Seite geschärft werden. Sie werden unabhängig voneinander an der Börse notiert sein. Beide werden auch finanziell stärker sein.
Klingt nach Hexerei, wie soll das gehen?
Kerkhoff: Indem wir bei Thyssenkrupp Industrials die stillen Reserven der Aufzugsparte heben. Thyssenkrupp Materials wird durch eine Rückbeteiligung an Industrials gestärkt.
Die wie hoch ausfällt? Wir hören von rund 30 Prozent.
Kerkhoff: Das wird sich im nun beginnenden Teilungs-Prozess zeigen. Es wird aber eine Minderheitsbeteiligung von deutlich unter 50 Prozent sein. Mir ist wichtig, dass beide Unternehmen finanziell so stark aufgestellt sind, dass sie sich in ihren jeweiligen Märkten bestmöglich entwickeln können. Beide Unternehmen werden unabhängig sein, keiner wird dem anderen reinreden können.
Zunächst wird das über die Beteiligung aber so sein. Wie lange sollen die beiden Thyssenkrupps denn auf diese Weise verwoben bleiben?
Kerkhoff: Klar ist, dass die Rückbeteiligung von Materials an Industrials zeitlich befristet sein wird.
Nochmal: Was bringt die Trennung den einzelnen Problembereichen? Die Marine hat schon Hiesinger keine Freude mehr bereitet. Und Industrial Solutions mit dem Industrieanlagenbau steckt in der Krise.
Kerkhoff: Wir sind nach wie vor der größte Hersteller von konventionell angetriebenen U-Boote weltweit, die Marine bleibt ein strategisch wichtiges deutsches Geschäft, das wir weiterentwickeln wollen. Industrial Solutions wird neu aufgestellt, die begonnene Sanierung werden wir konsequent fortsetzen. Unsere Industriegütergeschäfte sind auf global wachsenden Märkten tätig, alle Megatrends wie etwa das Bevölkerungswachstum spielen unseren Produkten wie Aufzügen, Autoteilen, Fluggastbrücken und Zementanlagen in die Karten. Und das Geschäft mit Werkstoffen betreiben wir seit 200 Jahren. Da sind wir Qualitätsführer. Aus dieser Position der Stärke heraus hat Materials gute Konsolidierungschancen ...
... etwa auch durch Zukäufe?
Kerkhoff: ...zum Beispiel. Ich bin sicher, dass auch das Werkstoffunternehmen an der Börse gut ankommen wird.
Der Aufsichtsrat wurde in den vergangenen Wochen vom Gewerkschafter Markus Grolms geführt, was sehr ungewöhnlich ist für eine so entscheidende Phase eines Dax-Konzerns. Hat Ihnen das geholfen?
Kerkhoff: Aber ja, Markus Grolms hat einen exzellenten Job gemacht, die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat war sehr konstruktiv, mutig und entscheidungsfreudig. Das ist schon etwas ganz besonderes in der Industriegeschichte und zeigt, wie wir bei Thyssenkrupp miteinander umgehen.
Wie kommen Sie mit Krupp-Stiftungschefin Ursula Gather klar?
Kerkhoff: Ich hatte seit Beginn meiner Arbeit als Vorstandsvorsitzender mehrere gute Gespräche mit Frau Gather und freue mich sehr über die klare Unterstützung der Stiftung als Ankeraktionär.
Ihr Vorgänger Heinrich Hiesinger und Aufsichtsratschef Ulrich Lehner sind auch mangels Rückendeckung der Stiftung gegangen. Ist jetzt alles wieder gut?
Kerkhoff: Ich kann nur für mich im hier und jetzt sprechen. Ich spüre die Rückendeckung von der Stiftung und von Frau Gather persönlich und darüber freue ich mich sehr.
Beim neuen Konzern Industrials dürfte die Krupp-Stiftung ihre faktische Verhinderungsmehrheit bei den anstehenden Hauptversammlungen verlieren, da der Anteil der Aktionäre verwässert wird. Wird das Unternehmen damit angreifbarer?
Kerkhoff: Die Krupp-Stiftung behält eine signifikante Beteiligung und bleibt, wenn sich nichts ändert, größter Aktionär.
Mit der Zweiteilung verliert Thyssenkrupp aller Voraussicht nach den Status des Dax-Konzerns? Schmerzt das?
Kerkhoff: Wir schaffen zwei starke Unternehmen, die sich besser entwickeln können als Thyssenkrupp in der derzeitigen Aufstellung. Da ist zusammen mehr drin als zuvor. Das ist für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entscheidend. Es geht hier nicht um Eitelkeiten. Der Dax ist kein Selbstzweck.
Sehen Sie beide Gesellschaften – Materials und Industrials – im MDax?
Kerkhoff: Das hängt von den Bewertungen der Unternehmen ab und lässt sich heute nicht abschließend sagen. Auf jeden Fall steckt in beiden Unternehmen viel Potenzial.
Der Stahl wird auch im neuen Unternehmen Materials als reine Finanzbeteiligung geführt. Sie haben die Option eines Börsengangs selbst gestaltet. Bleiben am Ende nur Werkstoffhandel, Schmiede und Großwälzlager übrig und reicht das für einen eigenständigen Konzern?
Kerkhoff: Unser Stahl-Joint-Venture ist die eindeutige Nummer zwei in Europa. Wir haben die Garantie gegeben, dass wir gemeinsam mit unserem Partner Tata mindestens sechs Jahre lang gemeinsam die Mehrheit halten wollen. Auch mit dem Namen Thyssenkrupp Tata Steel demonstrieren wir unsere enge Verbundenheit. Das ist deutlich mehr als eine reine Finanzbeteiligung. Mit dem Stahlhandel sind wir die Nummer eins in Europa. Wir agieren also beim künftigen Materials-Konzern aus einer Position der Stärke.
Können Sie sich auch vorstellen, beim Stahl die Mehrheit zu Thyssenkrupp zurückzuholen?
Kerkhoff: Jetzt lassen Sie uns zunächst einmal die neuen Unternehmen aufbauen und dann werden wir sehen, wie sich beide Konzerne entwickeln. Auf beiden Seiten gibt es viele Möglichkeiten, die Geschäfte bestmöglich zu entwickeln.
Kündigungen wegen der Konzern-Teilung haben Sie ausgeschlossen, aber die begonnenen Sparprogramme laufen weiter. Wie heftig wird der Stellenabbau bei Industrial Solutions?
Kerkhoff: Das neu eingesetzte Team ist dabei, den Plan zu erarbeiten. Eine weitere Sanierung und eine stärkere Fokussierung auf die richtigen Märkte sind da erforderlich. Aber wir haben eine sehr starke technologische Basis. Darauf bauen wir auf.
Auch in der Konzernzentrale in Essen bauen Sie Arbeitsplätze ab?
Kerkhoff: Die Zusage, dass es aufgrund der Teilung nicht zu betriebsbedingten Kündigungen kommen wird, gilt. Unabhängig davon sind wir dabei, unsere Verwaltungskosten auf allen Konzernebenen signifikant zu senken. Das gilt auch für die Zentrale. Da haben wir bereits mehr erreicht, als wir uns bis jetzt vorgenommen hatten. Das setzen wir weiter um.
Mit der Zweiteilung benötigen Sie doch auch neue Führungsmannschaften.
Kerkhoff: Ja, das stimmt. Aber natürlich schauen wir darauf, dass wir möglichst effizient arbeiten.
Welcher Thyssenkrupp-Konzern zieht eigentlich im Hauptgebäude des Essener Quartiers ein? Umgekehrt: Für wen bleibt nur ein Nebengebäude?
Kerkhoff (lacht): Das ist doch nebensächlich. Wenn wir entscheiden, wer wo sitzt, haben wir mit Sicherheit schon viele andere wichtige Dinge auf den Weg gebracht.
Wenn Sie uns schon nicht verraten wollen, wo genau Ihr Büro sein wird. Für welchen Teil von Thyssenkrupp möchten Sie denn künftig arbeiten – Materials oder Industrials? Ihr Vertrag als Chef gilt schließlich für fünf Jahre?
Kerkhoff: Es ist jetzt ganz wichtig, dass wir die Teilung sachgerecht und sorgfältig vorbereiten. Darauf werden meine Vorstandskollegen und ich uns jetzt konzentrieren. Wir werden ganz bewusst unsere Neutralität wahren und keine Gedanken an irgendetwas anderes verschwenden. Die Sache geht vor.