Duisburg. . Technik-Revolution? Eine Pilotanlage bei Thyssenkrupp macht die Produktion von Stahl nahezu ohne das klimaschädliche CO2 möglich.

Auch die chinesischen Gäste schauten gestern sehr genau hin, als bei Thyssenkrupp im Duisburger Norden das eher schmutzige Hüttengas in gebräuchliche Einzelteile zerlegt wurde. Inklusive des klimaschädlichen CO2.

Weltweit ist es das erste Mal, dass Gase aus der Stahlproduktion nutzbringend und umweltfreundlich umgewandelt werden. Aktuell wird aus Hüttengas der Kraftstoff Methanol hergestellt. „Wir starten in eine neue Welt“, meinte denn auch stolz Bundesumweltministerin Anja Karliczek, die den Produktionsstart miterleben wollte.

Ihr Haus unterstützt das Projekt „Carbon2Chem“ (übersetzt: Kohlenstoff zu Chemie) mit 60 Millionen Euro. „Die Bundesregierung leistet damit auch einen Beitrag zum Strukturwandel an Rhein und Ruhr. Klimaziele kann man nicht einfach verordnen, man muss sie auch technisch umsetzen können“, so die Ministerin zur NRZ.

Stahlwerke als Energiepuffer

Auch Thyssenkrupp-Vorstandschef Guido Kerkhoff ist optimistisch: „Unsere Vision von der nahezu CO2-freien Stahlproduktion nimmt Gestalt an. Mit unserer Technik können Stahlwerke als Energiepuffer zur Stabilisierung der Netze wirken.“

Doch noch passiert die Umwandlung der Hüttengase in einer Pilotanlage an der Alsumer Straße. Es soll aber nicht mehr lange dauern, bis der Prozess auch in den Großanlagen funktioniert.

Bis dahin ist noch eine Menge Forschung und Feinarbeit nötig. Die Technologie ist komplex. Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts aus Oberhausen forschen, messen und justieren in der Pilotanlage.

Hüttengas wird schon seit langer Zeit genutzt

Weltweit gibt es rund 50 Strahlwerke, die die Carbon2Chem-Technik nutzen können. Aber auch andere Branchen, etwa die Zementindustrie, könnten sie anwenden. Dass am Ende der Stahlfertigung chemische Grundstoffe wie Stickstoff oder Wasserstoff quasi als Abfälle herausströmen, dürfte die Industrie ziemlich verändern. Es wäre nur folgerichtig, wenn hinter einem Stahlwerk künftig ein Chemiewerk angesiedelt wird. Oder ein Energieunternehmen. Die Grundstoffe wären ja dank der Technologie vorhanden.

Hüttengas wird übrigens schon seit langer Zeit genutzt, indem es verbrannt und über eine Turbine in Energie umgewandelt wird. Dabei fällt allerdings viel CO2 ab, das bekanntlich unser Klima beeinträchtigt. Auch Fernwärme ist eine Art Abfallprodukt der Stahlindustrie, die im Umfeld der Industrie unzählige Haushalte wärmt.

Die Carbon2-Chem-Technologie hingegen würde die Kohlendioxid-Produktion erheblich eindämmen. Letztlich wird die Stahlproduktion damit auch wirtschaftlicher. Das ist gerade für die Industrie an Rhein und Ruhr entscheidend. So konkurriert das Stahlwerk in Duisburg künftig auch mit dem Tata-Standort in Ijmuiden an der holländischen Küste. Und auch mit dem Tata-Werk in Wales, das gerade modernisiert wird. Der interne Druck auf die Standorte wächst.

>>> WAS MAN AUS HÜTTENGAS ALLES HERSTELLEN KANN

Hüttengas besteht zu 44 Prozent aus Stickstoff, 23 % Kohlenmonoxid, 21 % CO2, 10 % Wasserstoff und zu 2 % aus Methan. Alle sind für die Chemieindustrie wichtig: Stick- und Wasserstoff ergeben Ammoniak, woraus sich Mineraldünger machen lässt. Kohlen- und Wasserstoffe werden zu Methan, mit dem etwa Autos fahren können.

Das Technikum von Thyssenkrupp nutzen auch Projektpartnern wie Covestro. Clariant hat den Katalysator für die Methanolherstellung, Katalysatoren und Chemikalien für die Gasreinigung geliefert. Die Fraunhofer-Gesellschaft wird drei Labore betreiben. Auch das Max-Planck Institut wird im Technikum aktiv werden.