Essen. . In der Kohle-Kommission hat Ex-Kanzleramtsminister Pofalla mit einem Vorstoß für ein Enddatum für das letzte Kraftwerk für einen Eklat gesorgt.
Die Polizisten schwitzen im Hambacher Forst unter ihren Helmen, während die Kohlegegner ihnen in T-Shirts gegenüberstehen. Dieser Herbst beginnt heiß und wird es vorerst bleiben. Meteorologen erklären das täglich an ihren Wetterkarten, die Häufung der Hitzerekorde, Missernten und Unwetter lässt Forscher aber längst auf den beginnenden Klimawandel hinweisen. Es wird im langjährigen Schnitt wärmer in Europa, wofür Klimaforscher vor allem das Treibhausgas Kohlendioxid verantwortlich machen. Und weil Braunkohlekraftwerke besonders viel CO2 in die Atmosphäre blasen, spitzt sich die Ausstiegs-Debatte zu.
Die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission soll ein Enddatum für die Kohleverstromung festlegen, tritt aber auf der Stelle. Nun hat der Co-Vorsitzende und Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla mit einem Vorstoß einen Eklat ausgelöst. Der sieht ein Ausstiegsdatum zwischen 2035 und ‘38 vor. Den Stromriesen, Gewerkschaften und betroffenen Landesregierungen ist das viel zu früh, den Klimaschützern viel zu spät. Klingt eigentlich, als hätte Pofalla die Mitte ganz gut getroffen. Einem Konsens näher gekommen ist er damit aber nicht. Stattdessen fordern Kommissionsmitglieder in der heutigen Sitzung eine Klarstellung.
9000 Arbeitsplätze im Rheinischen Revier
Das Problem ist komplex: Die Braunkohle liefert nach wie vor ein Viertel des Stroms in Deutschland und damit die Hälfte der wetterunabhängigen Grundlast. Sie durch Ökostrom und klimaschonendere Gaskraftwerke zu ersetzen, bedarf großer Anstrengungen in Netz- und Speichertechnik und wird nicht ohne Folgen für den Strompreis bleiben. Andererseits lässt sich der CO2-Ausstoß nirgends so schnell und effektiv senken wie in den Braunkohlerevieren am Niederrhein und in Ostdeutschland. Je schneller der Umstieg erfolgt, desto heikler wird es aber für die dortigen Arbeitsplätze, allein im Rheinischen Revier sind es gut 9000.
Einen sozialverträglichen Ausstieg hinzukriegen, ist demnach eine Jahrhundertaufgabe. Davor hat sich allerdings eine Bundesregierung nach der anderen gedrückt, die Große Koalition das Problem nun in eine Kommission ausgelagert, dieser aber einen sehr engen Zeitrahmen gesetzt. Grund: Kanzlerin Angela Merkel will im Dezember nicht mit leeren Händen zum Weltklimagipfel nach Kattowitz reisen. Bis dahin soll die Kommission dem Energiesektor Einsparziele vorsetzen, die nicht ohne Abschaltung von Kohlekraftwerken erreichbar sein werden. Deshalb sollen gleichzeitig Strukturhilfen für die betroffenen Regionen beschlossen werden.
Erbitterter Kampf um die Positionen
Mit Einsetzung der Kommission aus Branchenvertretern, Gewerkschaftern, Wissenschaftlern und Klimaschützern hat die Regierung freilich den schwierigsten Weg gewählt – auf der Suche nach dem breitestmöglichen Kompromiss. Dass Konzerne mit gültigen Betriebsgenehmigungen bis Mitte des Jahrhunderts und Klimaschützer, die am liebsten sofort aus der Kohle aussteigen würden, nicht mal eben eine Jahreszahl ausknobeln, sondern erbittert um ihre Positionen ringen würden, war vorhersehbar.
Der erkennbar lancierte Pofalla-Plan soll offenbar die festgefahrene Debatte in Gang bringen und ein Datum setzen, über das sich reden lässt. Die Mitglieder auf beiden Seiten fühlen sich freilich von Pofalla überrumpelt, weil sie erst aus der Presse von seinen Ideen erfahren mussten. Umweltschützer wie Gewerkschafter sehen sich unisono als Lobby-Staffage missbraucht.
Merkel wird etwas bieten müssen
Im Jahr des Steinkohleausstiegs hätte sich die Politik erinnern können, wie lange und hart sie darum zu Beginn des Jahrtausends gerungen hat. Und bei der Braunkohle geht es nicht um eine staatlich subventionierte Industrie, sondern um ein rentables Geschäft, für das die Konzerne Genehmigungen der jeweiligen Länder haben, in NRW bis etwa 2045.
Wenn der Klimawandel nun eine Abkehr von der günstigsten, aber klimaschädlichsten Stromquelle verlangt, kann die Politik ihre Haltung entsprechend korrigieren. Will sie Verwerfungen verhindern, muss sie aber den betroffenen Konzernen und den Regionen angemessene Kompensationen und Strukturhilfen gewähren. Umso mehr, je früher der Ausstieg datiert wird. Letztlich geht es um die Frage, was der Bundesregierung der Klimaschutz wert ist. Wenn die Kanzlerin von der Kommission nicht bis Dezember im Stich gelassen werden will, wird sie allen Seiten etwas bieten müssen.