Essen. . Die Handwerks-Präsidenten kritisieren, dass das Ruhrgebiet zu lange auf Großkonzerne gesetzt habe. Einen sozialen Arbeitsmarkt lehnen sie ab.
Über Chancen und Schwächen des Handwerks im Ruhrgebiet sprachen die Andreas Ehlert (Präsident der Handwerkskammer Düsseldorf), Berthold Schröder (Präsident der Handwerkskammer Dortmund) und Josef Trendelkamp (Vizepräsident der Handwerkskammer Münster) mit WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock und WAZ-Wirtschaftsredakteur Frank Meßing. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Welche Rolle spielt das Handwerk im Ruhrgebiet?
Mit rund 282 000 Beschäftigten in knapp 45 000 Betrieben zählte das Handwerk im Jahr 2016 zu den wichtigsten Arbeitgebern im Revier. Nach Zahlen der Handwerkskammern arbeitet jeder achte Erwerbstätige in der Region im Handwerk. Überdurchschnittliches Gewicht hat es etwa in Oberhausen, Herne und der Emscher-Lippe-Region, wo der Rückzug der Industrie besonders spürbar ist. Insgesamt spielt das Handwerk im Ruhrgebiet aber eine geringere Rolle als im NRW-Schnitt: Im Revier kommen auf 1000 Einwohner 8,6 Handwerksbetriebe (NRW: 11,4). Das schlägt sich auch bei den Auszubildenden nieder: Auf 1000 Einwohner kommen 3,8 Azubis, NRW-weit sind es 4,6.
Wie kommt es, dass das Handwerk im Ruhrgebiet hinterher hinkt?
„Das Ruhrgebiet hat zu lange auf zu große Einheiten wie Kohle und Stahl, aber auch auf die Großkonzerne gesetzt. Dadurch sind ökonomische Monostrukturen entstanden, die wirtschaftlich unflexibel sind“, urteilt Andreas Ehlert. „Die politische Kultur der Region Ruhr war zu sehr von einer Mentalität von Versorgung und Solidarität geprägt.“ Ehlert fordert deshalb einen Mentalitätswechsel hin zu „kleineren Einheiten, zu mehr Selbstbestimmung und Selbstverantwortung“. Daraus könne eine Kultur erwachsen, die Innovationen hervorbringt.
Leidet auch das Handwerk unter Nachwuchssorgen?
Jeder fünfte Inhaber eines Handwerksbetriebs ist über 60 Jahre alt. In NRW stehen 40 000, im Ruhrgebiet 10 000 Firmen vor einem Generationswechsel in den nächsten Jahren. „Wir laufen auf eine Welle von Übergaben zu“, sagt erthold Schröder. „Wir beobachten aber einen Trend, dass Übergaben innerhalb der Familie rückläufig sind.“ Umso wichtiger ist es für das Handwerk, dass Schulabgänger ins Handwerk und nicht gleich zur Universität gegen. „Das Handwerk ist ein wunderbares Instrument, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen“, wirbt Andreas Ehlert für die Branche. „Wir zahlen gute Gehälter. Das ist im akademischen Bereich nicht immer der Fall.“ Im Kammerbezirk Düsseldorf hätten inzwischen über 20 Prozent der Handwerks-Azubis das Abitur in der Tasche. Dennoch gebe es immer noch Vorbehalte, einen Handwerksberuf zu ergreifen. „In manchen Familien ist es eine kleine Katastrophe, wenn sich das Kind zu einer Lehre entschließt. Dabei gibt es im Handwerk sehr gute Aufstiegschancen“, sagt Josef Trendelkamp.
Wie hat sich der Ausbildungsmarkt entwickelt?
Nach Angaben der Kammern ist der Ausbildungsmarkt im Ruhrgebiet in den vergangenen Jahren stärker geschrumpft als anderswo. In Duisburg, Mülheim, Oberhausen und Wesel betrug das Minus rund 20 Prozent, im gesamten Kammerbezirk 13 Prozent. Andreas Ehlert zeigt sich „schockiert“, weil „die Mobilität junger Leute nirgends so gering“ sei wie im Ruhrgebiet. Im Kreis Wesel etwa gebe es im Handwerk keinen einzigen Azubi, der aus Duisburg komme. Dabei sieht das Handwerk in der Ausbildung einen zentralen Schlüssel für die Zukunft der Schulabsolventen. „Berufliche Bildung ist der Motor für Integration, sozialen Aufstieg und Karriereperspektiven“, sagt Ehlert. Die Branche kritisiert aber, dass Schulen und Berufskollegs im Ruhrgebiet personell und finanziell nicht angemessen ausgestattet seien.
Warum lehnt das Handwerk so vehement die Pläne für einen sozialen Arbeitsmarkt ab?
Die Bundesregierung plant in ausgewählten Städten, für Langzeitarbeitslose staatlich finanzierte Arbeitsplätze zu schaffen. Das Handwerk lehnt den Vorstoß ab. „Das wird ein kostspieliger Schuss in den Ofen“, prophezeit Ehlert. „Ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor zementiert soziale Abhängigkeit und er stellt eine gefährliche Konkurrenz zum ersten Arbeitsmarkt dar.“ In Deutschland gibt es nach Auffassung des Präsidenten bereits ausreichend Programme und Instrumente, um schwer qualifizierbare Menschen zu unterstützen. Ehlert redet nicht lange um den heißen Brei: „Im Handwerk können wir mit angelernten Hilfsarbeitern nichts anfangen.“ Berthold Schröder warnt gar vor „Kollateralschäden“ etwa für Maler und Gartenbauer, wie es sie bereits bei den 2012 ausgelaufenen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) gegeben habe.
Ist der Staat Konkurrent des Handwerks?
„Die überdehnte wirtschaftliche Betätigung bringt erhebliche Risiken für die öffentlichen Haushalte mit sich und schwächt den ortsansässigen Mittelstand“, heißt es im Positionspapier. Das Handwerk kritisiert, dass der Leistungswettbewerb im Ruhrgebiet „zu schwach ausgeprägt“ sei.
Was erwartet das Handwerk von der Ruhrkonferenz?
„Wir gehen davon aus, dass in dem mehrjährigen Prozess die Ruhrkonferenz Impulse und Empfehlungen des Handwerks substanziell aufnimmt und weiterführt“, sagt Andreas Ehlert. Der Düsseldorfer Präsident ist davon überzeugt, dass die bevorstehende Ruhrkonferenz im Vergleich zu Vorgänger-Formaten von der Landesregierung „noch nie so ernst gemeint“ sei. Ehlert: „Wir haben hohe Erwartungen und werden selbst einen großen Beitrag leisten.“
Was sagen die Handwerks-Präsidenten zu Kritik an langen Wartezeiten und gestiegenen Preisen für Handwerksleistungen?
Berthold Schröder will das Thema nicht überbewerten. „Ja, man muss länger auf einen Termin warten als vor fünf oder sechs Jahren“, räumt der Dortmunder Präsident ein. Gründe seien die gute Baukonjunktur und der wachsende Fachkräftemangel. Steigende Preise aufgrund der hohen Nachfrage seien aber nicht in allen Gewerken zu beobachten. „Im Baubereich ziehen die Preise wegen gestiegener Kosten an. Die Mehrheit der Baubetriebe hat die Preise trotz blendender Auftragslage aber stabil gehalten“, sagt Josef Trendelkamp.
>>> Ruhr Forum Handwerk am 4. September in Essen
Die Debatte um die Zukunft des Handwerks im Ruhrgebiet wollen die Kammern mit einem „Ruhr Forum Handwerk“ anstoßen. Die Veranstaltung findet am Dienstag, 4. September, von 18 bis 21 Uhr im Erich-Brost-Pavillon der Zeche Zollverein, Essen, statt.
An der Podiumsdiskussion, die WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock moderiert, nehmen unter anderem NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach, RVR-Direktorin Karola Geiß-Netthöfel und Oberhausens Oberbürgermeister Daniel Schranz teil.
Anmeldungen bis zum 28.8.2018 unter ilka.berg@hwk-do.de